Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada Gesammelte Werke bei Null Papier

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Tod ganz nahe ist, ver­zei­hen Sie mir, und tun Sie mir noch einen letz­ten Ge­fal­len.«

      Und er wird sei­nen Frie­den mit mir schlie­ßen, weil ich ein Ster­ben­der bin, und man ei­nem Ster­ben­den nichts ab­schlägt, und wird fra­gen, was für ein Ge­fal­len das ist.

      Und ich wer­de wie­der zu ihm spre­chen: »Herr Me­di­zi­nal­rat, ge­hen Sie ins Arzt­zim­mer und mi­schen Sie mir mit ei­ge­ner Hand aus Al­ko­hol und Was­ser einen Schnaps, nur ein Was­ser­glas voll. Nicht so einen, dass ich so­fort hin­stür­ze und nichts von ihm habe, wie da­mals, son­dern einen, der mich wirk­lich noch ein­mal glück­lich macht.«

      Und er wird mir mei­nen Wunsch er­fül­len und mit dem Glas an mein La­ger tre­ten, und ich wer­de trin­ken, nach so vie­len Jah­ren der Ent­beh­rung end­lich wie­der trin­ken, Schluck für Schluck, in lan­gen Ab­stän­den, voll das un­end­li­che Glück aus­kos­tend.

      Und ich wer­de noch ein­mal jung wer­den, und ich wer­de die Welt blü­hen se­hen mit al­len Früh­lin­gen und al­len Ro­sen und den jun­gen Mäd­chen von eh und je. Eine aber wird vor mich tre­ten und wird ihr blei­ches Ge­sicht über mich, der vor ihr auf die Knie fällt, nei­gen, und ihre dunklen Haa­re wer­den mich ganz ein­hül­len. Ihr Duft wird um mich sein, und ihre Lip­pen auf den mei­nen lie­gen, und ich wer­de nicht mehr alt und ver­un­stal­tet, son­dern jung und schön sein, und mei­ne rei­ne d’al­cool wird mich hin­auf zu sich zie­hen, und wir wer­den ent­schwe­ben in Rausch und Ver­ges­sen, aus de­nen es nie ein Er­wa­chen gibt!

      Und wenn mir so ge­schieht in mei­ner To­des­stun­de, wer­de ich mein Le­ben seg­nen, und ich wer­de nicht um­sonst ge­lit­ten ha­ben.

      ENDE

Wer einmal aus dem Blechnapf frisst

      Vorwort des Verfassers

      Ei­ne der ers­ten Ta­ten der Na­zis war es, dass sie die­ses Buch vom Blech­napf auf die schwar­ze Lis­te setz­ten. Eine der ers­ten Ta­ten des neu­en de­mo­kra­ti­schen Deutsch­lands ist es, die­ses Buch wie­der zu dru­cken. Dies scheint mir bei­na­he sym­bo­lisch: Jede Zei­le in die­sem Ro­man wi­der­strei­tet der Auf­fas­sung, die von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten über den Ver­bre­cher ge­hegt und durch­ge­führt wur­de an ih­nen. Jetzt ist wie­der Platz für Hu­ma­ni­tät, für eine Hu­ma­ni­tät, die wohl frei ist von je­der Ge­fühls­du­se­lei, die aber des Sat­zes ein­ge­denk bleibt: Ihr lasst den Ar­men schul­dig wer­den …

      Ich habe bei die­sem Neu­druck kei­ne Zei­le ge­än­dert der ers­ten Auf­la­ge ge­gen­über. Vi­el­leicht den­ke ich heu­te in man­chen Din­gen an­ders als da­mals vor elf Jah­ren, als ich die­ses Buch schrieb. Um so mehr ein Grund, nichts zu än­dern. Wir kön­nen un­se­re Bü­cher nicht in je­der Le­ben­s­pha­se um­schrei­ben. Und im großen Gan­zen hat für mein Ge­fühl noch Gül­tig­keit, was ich da­mals schrieb.

      So gehe denn hin­aus, Buch, in die Welt. Ich hof­fe, dass auch du für dein Teil ein we­ni­ges bei­trägst zur Hu­ma­ni­sie­rung der Men­schen – nach zwölf Jah­ren der Ver­ro­hung.

      Ber­lin, am 1. De­zem­ber 1945

      H. F.

ERSTES KAPITEL – Reif zur Entlassung

      1

      Der Straf­ge­fan­ge­ne Wil­li Ku­falt geht in sei­ner Zel­le auf und ab. Fünf Schrit­te hin, fünf Schrit­te her. Wie­der fünf Schrit­te hin.

      Ei­nen Au­gen­blick bleibt er un­ter dem Fens­ter ste­hen. Es ist schräg auf­ge­stellt, so­weit die ei­ser­nen Blen­den das zu­las­sen, und her­ein dringt das Schar­ren vie­ler Füße, auch ein­mal der Ruf ei­nes Wacht­meis­ters: »Ab­stand hal­ten! Fünf Schrit­te Ab­stand!«

      Sta­ti­on C 4 hat Frei­stun­de, eine hal­be Stun­de ge­hen sie dort im Kreis, an der fri­schen Luft.

      »Nichts ha­ben Sie zu re­den! Ver­stan­den?!« ruft der Wacht­meis­ter drau­ßen, und die Füße schar­ren wei­ter.

      Der Ge­fan­ge­ne geht ge­gen die Tür, nun bleibt er dort ste­hen und lauscht in den Bau, der still ist.

      Wenn Wer­ner heu­te nicht schreibt, denkt er, muss ich zum Pfaf­fen ge­hen und bet­teln, dass sie mich in das Heim auf­neh­men. Wo­hin soll ich sonst? Über drei­hun­dert Mark macht mein Ar­beits­ver­dienst si­cher nicht. Die sind bald alle.

      Er lauscht im­mer noch. In zwan­zig Mi­nu­ten ist die Frei­stun­de vor­bei. Dann kom­men wir run­ter. Se­hen, dass ich vor­her noch was Ta­bak kramp­fe. Ich kann doch nicht die letz­ten zwei Tage ohne Ta­bak sein.

      Er öff­net das Schränk­chen. Sieht hin­ein. Aber na­tür­lich ist kein Ta­bak da. Die Ess­schüs­sel muss ich auch noch wie­nern, sonst kotzt Rusch mich an. Putz­po­ma­de …? Be­sorgt mir Ernst.

      Auf den Tisch legt er Ja­cke, Müt­ze, Hals­tuch. Wenn drau­ßen auch ein strah­len­der, war­mer Mai­tag ist, Hals­tuch und Müt­ze sind Vor­schrift.

      In zwei Ta­gen ist es ja über­stan­den. Dann kann ich mich an­zie­hen, wie ich mag.

      Er ver­sucht sich vor­zu­stel­len, wie sein Le­ben dann sein wird, aber er kann es nicht. Da gehe ich also die Stra­ße lang, und da ist eine Knei­pe, und ich ma­che ein­fach die Tür auf und sage: Ober, ein Glas Bier …

      Drau­ßen, in der Zen­tra­le, der Haupt­wacht­meis­ter Rusch schlägt mit dem Schlüs­sel ge­gen das Ei­sen­git­ter. Es hallt durch den gan­zen Bau, in sechs­hun­dert­vier­zig Zel­len ist es zu hö­ren.

      Schwein das, mit sei­ner ewi­gen Krach­ma­che­rei, murrt Ku­falt. Stimmt wie­der was nicht, Ru­sche­ken? Wenn ich nur wüss­te, was ich an­fan­ge, wenn ich raus­kom­me! Die wer­den mich doch fra­gen, wo­hin ich ent­las­sen wer­den will … Und wenn ich kei­ne Ar­beit weiß, wird mein Ver­dienst von hier an die Wohl­fahrt über­wie­sen, und ich darf mir alle Wo­chen ein biss­chen ho­len. Euch hust ich was! Lie­ber dreh ich noch mit Batz­ke ein großes Ding …!

      Er schaut ge­dan­ken­ver­lo­ren auf sei­ne Ja­cke, de­ren blau­er Är­mel mit drei wei­ßen Strei­fen Wä­sche­band ge­ziert ist. Was be­deu­tet, dass er »drit­te Stu­fe« ist, ein Ge­fan­ge­ner also, des­sen Füh­rung auf »nach­hal­ti­ge Bes­se­rung und Wohl­ver­hal­ten in der Frei­heit« schlie­ßen lässt.

      Hab ich krie­chen müs­sen, um die zu krie­gen! Und hat es ge­lohnt? Das biss­chen Ta­bak und eine hal­be Frei­stun­de mehr und Ra­dio ein­mal in der Wo­che abends und dass sie die Zel­le nicht ab­schlie­ßen tags­über …

      Das ist so: Ku­falts Zel­len­tür ist nicht ab­ge­schlos­sen, die Zel­len­tü­ren der drit­ten Stu­fe wer­den nicht ab­ge­schlos­sen, son­dern nur an­ge­lehnt. Aber es ist das eine selt­sa­me Art Ver­güns­ti­gung: Bei­lei­be darf er die Tür nicht auf­sto­ßen, auf den Gang tre­ten und auch nur zwei Schritt dort ma­chen! Das ist ver­bo­ten. Wenn er das tut, wird ihm die drit­te Stu­fe wie­der ent­zo­gen. Sie ist eben of­fen, die Tür, dass er das weiß, das ist Vor­be­rei­tung auf das Le­ben

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