Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
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Читать онлайн книгу Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans Fallada страница 31
So wurde auch ein Tisch am Rande des Saales fast gar nicht beachtet, an dem ein Mädchen und drei junge Männer saßen. Keine von den vier Personen trug eine Uniform, nicht einmal ein Parteiabzeichen war zu sehen.
Ein Paar, das junge Mädchen und ein junger Mann, war zuerst gekommen; später hatte ein anderer junger Mann um die Erlaubnis gebeten, sich heransetzen zu dürfen, und schließlich hatte noch ein vierter Zivilist um die gleiche Erlaubnis nachgesucht. Das junge Paar hatte auch einmal den Versuch gemacht, in dem Gewühl zu tanzen. In dieser Zeit waren die beiden anderen Männer in ein Gespräch miteinander gekommen, in ein Gespräch, an dem sich das zerdrückt und erhitzt zurückkommende Paar auch gelegentlich beteiligte.
Einer der Männer, anfangs der Dreißiger, mit hoher Stirn und schon zurückweichendem Haarwuchs, hatte sich weit mit seinem Stuhl zurückgelehnt und eine Weile schweigend das Gewühl auf der Tanzfläche und die Nebentische gemustert. Nun sagte er, wobei er die anderen kaum ansah: »Ein schlecht gewählter Versammlungsort. Wir sind fast der einzige nur mit Zivil besetzte Tisch hier im Saal. Wir fallen auf.«
Der Kavalier des jungen Mädchens sagte lächelnd zu diesem, seine Worte waren aber für den Mann mit der hohen Stirn bestimmt: »Im Gegenteil, Grigoleit, wir werden überhaupt nicht beachtet, höchstens verachtet. Die Herrschaften denken nur daran, dass ihnen dieser sogenannte Sieg über Frankreich für ein paar Wochen Tanzerlaubnis gebracht hat.«
»Keine Namen! Unter keinen Umständen!«, sagte der Mann mit der hohen Stirne scharf.
Einen Augenblick schwiegen alle. Das Mädchen malte mit dem Zeigefinger etwas auf den Tisch, es sah nicht auf, obwohl es fühlte, dass alle es ansahen.
»Jedenfalls, Trudel«, sagte der dritte Mann mit dem Unschuldsgesicht eines großgewordenen Säuglings, »ist jetzt der richtige Augenblick für deine Mitteilung. Was gibt’s? Die Nebentische sind fast unbesetzt, alles tanzt. Los!«
Das Schweigen der beiden anderen Männer konnte nur Zustimmung bedeuten. Trudel Baumann sagte stockend, ohne hochzusehen: »Ich habe, glaube ich, einen Fehler begangen. Jedenfalls habe ich mein Wort nicht gehalten. In meinen Augen ist es freilich kein Fehler …«
»Oh, höre auf!«, rief der Mann mit der hohen Stirne verächtlich. »Willst du jetzt auch in die Gewohnheiten der Gänse verfallen? Schnattere nicht, sage geradeheraus, was ist!«
Das Mädchen sah hoch. Es sah langsam einen nach dem anderen die drei Männer an, die sie, wie es ihr schien, mit grausamer Kälte anblickten. In ihren Augen standen zwei Tränen. Sie wollte sprechen, sie konnte es nicht. Sie suchte nach ihrem Taschentuch …
Der mit der hohen Stirn lehnte sich zurück. Er ließ einen leisen, gedehnten Pfiff ertönen. »Sie soll nicht schnattern? Sie hat ja schon geschnattert! Seht sie bloß an!«
Der Kavalier an Trudels Seite widersprach rasch: »Unmöglich! Die Trudel ist goldecht. Sage ihnen, dass du nicht geschwatzt hast, Trudel!« Und er drückte ihr aufmunternd die Hand.
Der Säugling richtete seine runden, sehr blauen Augen abwartend, fast ausdruckslos auf das Mädchen. Der Lange mit der hohen Stirn lächelte verächtlich. Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und sagte höhnisch: »Nun, mein Fräulein?«
Trudel hatte sich gefasst, sie flüsterte mutig: »Doch, er hat recht. Ich habe geschwatzt. Mein Schwiegervater brachte mir die Nachricht vom Tode meines Otto. Das hat mich irgendwie umgeworfen. Ich habe ihm gesagt, dass ich in einer kommunistischen Zelle arbeite.«
»Namen genannt?« Niemand hätte geahnt, dass der harmlose Säugling so scharf fragen könnte.
»Natürlich nicht. Ich habe überhaupt nichts weiter gesagt. Und mein Schwiegervater ist ein alter Arbeiter, der wird nie ein Wort sagen.«
»Dein Schwiegervater ist ein anderes Kapitel, du bist das erste! Du sagst, du hast keine Namen genannt …«
»Und du wirst mir das glauben, Grigoleit! Ich lüge nicht. Ich habe freiwillig gestanden.«
»Sie haben eben schon wieder einen Namen genannt, Fräulein Baumann!«
Der Säugling sagte: »Aber seht ihr denn nicht ein, dass es ganz egal ist, ob sie jetzt Namen genannt hat oder nicht? Sie hat gesagt, dass sie in einer Zelle arbeitet, sie hat einmal geschnattert, sie wird wieder schnattern. Legen die bewussten Herren ihre Hand auf sie, quälen sie ein bisschen, so wird sie reden, gleichgültig, wie viel sie bisher verraten hat.«
»Ich werde nie zu denen reden, und wenn ich sterben müsste!«, rief Trudel mit flammenden Wangen.
»Oh!«, sagte der Hochstirnige, »Sterben ist sehr einfach, Fräulein Baumann, aber manchmal kommen vor dem Sterben noch recht unangenehme Dinge!«
»Ihr seid unbarmherzig«, sagte das junge Mädchen. »Ich habe einen Fehler begangen, aber …«
»Ich finde auch«, ließ sich der auf dem Sofa neben ihr vernehmen. »Wir werden uns Ihren Schwiegervater ansehen, und wenn er verlässlich ist …«
»Unter den Händen von denen gibt’s keine Verlässlichkeit«, sagte Grigoleit.
»Trudel«, sagte der Säugling sanft lächelnd, »Trudel, du sagtest eben, du hättest noch keine Namen genannt?«
»Ich habe es auch nicht getan!«
»Und du hast behauptet, du wärest zum Sterben bereit, ehe du so was tätest?«
»Ja! Ja! Ja!«, rief sie leidenschaftlich.
»Nun«, sagte der Säugling und lächelte gewinnend, »nun, Trudel, wie wäre es, wenn du heute Abend noch stürbest, ehe du weitergeplappert hast? Das würde uns eine gewisse Sicherheit geben und eine Masse Arbeit ersparen …«
Eine Totenstille entstand