Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada Gesammelte Werke bei Null Papier

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Zi­vi­lis­ten ver­lo­ren sich voll­stän­dig in die­sem Ge­wim­mel, sie wa­ren be­deu­tungs­los, lang­wei­lig un­ter die­sen Uni­for­men, wie ja auch das zi­vi­le Volk drau­ßen auf den Stra­ßen und in den Fa­bri­ken nie eine Be­deu­tung der Par­tei ge­gen­über er­langt hat­te. Die Par­tei war al­les und das Volk nichts.

      So wur­de auch ein Tisch am Ran­de des Saa­l­es fast gar nicht be­ach­tet, an dem ein Mäd­chen und drei jun­ge Män­ner sa­ßen. Kei­ne von den vier Per­so­nen trug eine Uni­form, nicht ein­mal ein Par­tei­ab­zei­chen war zu se­hen.

      Ein Paar, das jun­ge Mäd­chen und ein jun­ger Mann, war zu­erst ge­kom­men; spä­ter hat­te ein an­de­rer jun­ger Mann um die Er­laub­nis ge­be­ten, sich her­an­set­zen zu dür­fen, und schließ­lich hat­te noch ein vier­ter Zi­vi­list um die glei­che Er­laub­nis nach­ge­sucht. Das jun­ge Paar hat­te auch ein­mal den Ver­such ge­macht, in dem Ge­wühl zu tan­zen. In die­ser Zeit wa­ren die bei­den an­de­ren Män­ner in ein Ge­spräch mit­ein­an­der ge­kom­men, in ein Ge­spräch, an dem sich das zer­drückt und er­hitzt zu­rück­kom­men­de Paar auch ge­le­gent­lich be­tei­lig­te.

      Ei­ner der Män­ner, an­fangs der Drei­ßi­ger, mit ho­her Stirn und schon zu­rück­wei­chen­dem Haar­wuchs, hat­te sich weit mit sei­nem Stuhl zu­rück­ge­lehnt und eine Wei­le schwei­gend das Ge­wühl auf der Tanz­flä­che und die Ne­ben­ti­sche ge­mus­tert. Nun sag­te er, wo­bei er die an­de­ren kaum an­sah: »Ein schlecht ge­wähl­ter Ver­samm­lungs­ort. Wir sind fast der ein­zi­ge nur mit Zi­vil be­setz­te Tisch hier im Saal. Wir fal­len auf.«

      Der Ka­va­lier des jun­gen Mäd­chens sag­te lä­chelnd zu die­sem, sei­ne Wor­te wa­ren aber für den Mann mit der ho­hen Stirn be­stimmt: »Im Ge­gen­teil, Gri­go­leit, wir wer­den über­haupt nicht be­ach­tet, höchs­tens ver­ach­tet. Die Herr­schaf­ten den­ken nur dar­an, dass ih­nen die­ser so­ge­nann­te Sieg über Frank­reich für ein paar Wo­chen Tan­zer­laub­nis ge­bracht hat.«

      »Kei­ne Na­men! Un­ter kei­nen Um­stän­den!«, sag­te der Mann mit der ho­hen Stir­ne scharf.

      Ei­nen Au­gen­blick schwie­gen alle. Das Mäd­chen mal­te mit dem Zei­ge­fin­ger et­was auf den Tisch, es sah nicht auf, ob­wohl es fühl­te, dass alle es an­sa­hen.

      »Je­den­falls, Tru­del«, sag­te der drit­te Mann mit dem Un­schulds­ge­sicht ei­nes groß­ge­wor­de­nen Säug­lings, »ist jetzt der rich­ti­ge Au­gen­blick für dei­ne Mit­tei­lung. Was gib­t’s? Die Ne­ben­ti­sche sind fast un­be­setzt, al­les tanzt. Los!«

      Das Schwei­gen der bei­den an­de­ren Män­ner konn­te nur Zu­stim­mung be­deu­ten. Tru­del Bau­mann sag­te sto­ckend, ohne hoch­zu­se­hen: »Ich habe, glau­be ich, einen Feh­ler be­gan­gen. Je­den­falls habe ich mein Wort nicht ge­hal­ten. In mei­nen Au­gen ist es frei­lich kein Feh­ler …«

      »Oh, höre auf!«, rief der Mann mit der ho­hen Stir­ne ver­ächt­lich. »Willst du jetzt auch in die Ge­wohn­hei­ten der Gän­se ver­fal­len? Schnat­te­re nicht, sage ge­ra­de­her­aus, was ist!«

      Das Mäd­chen sah hoch. Es sah lang­sam einen nach dem an­de­ren die drei Män­ner an, die sie, wie es ihr schi­en, mit grau­sa­mer Käl­te an­blick­ten. In ih­ren Au­gen stan­den zwei Trä­nen. Sie woll­te spre­chen, sie konn­te es nicht. Sie such­te nach ih­rem Ta­schen­tuch …

      Der mit der ho­hen Stirn lehn­te sich zu­rück. Er ließ einen lei­sen, ge­dehn­ten Pfiff er­tö­nen. »Sie soll nicht schnat­tern? Sie hat ja schon ge­schnat­tert! Seht sie bloß an!«

      Der Ka­va­lier an Tru­dels Sei­te wi­der­sprach rasch: »Un­mög­lich! Die Tru­del ist gol­decht. Sage ih­nen, dass du nicht ge­schwatzt hast, Tru­del!« Und er drück­te ihr auf­mun­ternd die Hand.

      Der Säug­ling rich­te­te sei­ne run­den, sehr blau­en Au­gen ab­war­tend, fast aus­drucks­los auf das Mäd­chen. Der Lan­ge mit der ho­hen Stirn lä­chel­te ver­ächt­lich. Er drück­te sei­ne Zi­ga­ret­te im Aschen­be­cher aus und sag­te höh­nisch: »Nun, mein Fräu­lein?«

      Tru­del hat­te sich ge­fasst, sie flüs­ter­te mu­tig: »Doch, er hat recht. Ich habe ge­schwatzt. Mein Schwie­ger­va­ter brach­te mir die Nach­richt vom Tode mei­nes Otto. Das hat mich ir­gend­wie um­ge­wor­fen. Ich habe ihm ge­sagt, dass ich in ei­ner kom­mu­nis­ti­schen Zel­le ar­bei­te.«

      »Na­men ge­nannt?« Nie­mand hät­te ge­ahnt, dass der harm­lo­se Säug­ling so scharf fra­gen könn­te.

      »Na­tür­lich nicht. Ich habe über­haupt nichts wei­ter ge­sagt. Und mein Schwie­ger­va­ter ist ein al­ter Ar­bei­ter, der wird nie ein Wort sa­gen.«

      »Dein Schwie­ger­va­ter ist ein an­de­res Ka­pi­tel, du bist das ers­te! Du sagst, du hast kei­ne Na­men ge­nannt …«

      »Und du wirst mir das glau­ben, Gri­go­leit! Ich lüge nicht. Ich habe frei­wil­lig ge­stan­den.«

      »Sie ha­ben eben schon wie­der einen Na­men ge­nannt, Fräu­lein Bau­mann!«

      Der Säug­ling sag­te: »Aber seht ihr denn nicht ein, dass es ganz egal ist, ob sie jetzt Na­men ge­nannt hat oder nicht? Sie hat ge­sagt, dass sie in ei­ner Zel­le ar­bei­tet, sie hat ein­mal ge­schnat­tert, sie wird wie­der schnat­tern. Le­gen die be­wuss­ten Her­ren ihre Hand auf sie, quä­len sie ein biss­chen, so wird sie re­den, gleich­gül­tig, wie viel sie bis­her ver­ra­ten hat.«

      »Ich wer­de nie zu de­nen re­den, und wenn ich ster­ben müss­te!«, rief Tru­del mit flam­men­den Wan­gen.

      »Oh!«, sag­te der Hochstir­ni­ge, »Ster­ben ist sehr ein­fach, Fräu­lein Bau­mann, aber manch­mal kom­men vor dem Ster­ben noch recht un­an­ge­neh­me Din­ge!«

      »Ihr seid un­barm­her­zig«, sag­te das jun­ge Mäd­chen. »Ich habe einen Feh­ler be­gan­gen, aber …«

      »Ich fin­de auch«, ließ sich der auf dem Sofa ne­ben ihr ver­neh­men. »Wir wer­den uns Ihren Schwie­ger­va­ter an­se­hen, und wenn er ver­läss­lich ist …«

      »Un­ter den Hän­den von de­nen gib­t’s kei­ne Ver­läss­lich­keit«, sag­te Gri­go­leit.

      »Tru­del«, sag­te der Säug­ling sanft lä­chelnd, »Tru­del, du sag­test eben, du hät­test noch kei­ne Na­men ge­nannt?«

      »Ich habe es auch nicht ge­tan!«

      »Und du hast be­haup­tet, du wä­rest zum Ster­ben be­reit, ehe du so was tä­test?«

      »Ja! Ja! Ja!«, rief sie lei­den­schaft­lich.

      »Nun«, sag­te der Säug­ling und lä­chel­te ge­win­nend, »nun, Tru­del, wie wäre es, wenn du heu­te Abend noch stür­best, ehe du wei­ter­ge­plap­pert hast? Das wür­de uns eine ge­wis­se Si­cher­heit ge­ben und eine Mas­se Ar­beit er­spa­ren …«

      Eine To­ten­stil­le ent­stand

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