Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser

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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser

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er etwas vom Boden auf: eine alte Brille war es, die Gläser eiförmig, in Stahlfassung. Und Dr. Laduner reichte die Brille dem Wachtmeister, der sich auf die Kniee niederlassen mußte, um sie zu erreichen. Dabei lag um die Lippen des Arztes ein Lächeln, das gar nicht mehr dem Visitenlächeln glich, im Gegenteil, es war weich, ein wenig wehmütig… Ein Lächeln, wie es entsteht, wenn man Dinge aus einer vergangenen Zeit betrachtet, nach der man Sehnsucht hat, weil man meint, sie sei anders gewesen und besser als die unsrige…

      … Wieder der Hof voll Sonne, wieder die glotzenden Fenster, grell blendend wie die Augen von Traumungetümen, und die Stiegen und die Halle des Mittelbaues… Dr. Laduners weiße Leinenhosen waren beschmutzt, auf der linken Achsel seines Hemdes war ein Rußfleck…

      »Seine Taschen waren leer?« fragte der Arzt. »Sie haben sie doch untersucht, Studer…«

      »Sie waren leer…« sagte Studer.

      »Soso… leer… merkwürdig…«

      Schweigen.

      Dann: »Blumenstein kann die Sektion machen. Es wäre ja Blödsinn, einen Gerichtsarzt zuziehen zu wollen…«

      Studer zuckte die Achseln. Ihm konnte es gleich sein. Aber Blumenstein? Wer war schon Blumenstein? Am liebsten hätte er sein Büchlein zu Rate gezogen, man wurde ja mit Namen überschwemmt hier in der Anstalt… Blumenstein?… War das nicht der lange Arzt, der wie ein Storch auf einem Bein gestanden hatte, heute morgen im Wachsaal B? Der Schwager des Direktors? Der vierte Arzt?… Warum sollte Dr. Blumenstein die Sektion machen?…

      Sie standen vor der Türe des Ärztebüros, und drinnen knallte es. Ein vielstimmiges Gelächter folgte… Studer begann, Dr. Laduners Eigenheiten zu kennen: den Schlag auf die Klinke, das Aufreißen der Tür…

      Beim Fenster stand der welsche Assistent und hob gerade von neuem eine Kartonmappe, um sie mit aller Wucht auf den kleinen Schreibmaschinentisch niedersausen zu lassen, an dem mit rotem, verängstigtem Gesicht die kleine baltische Ärztin saß, die heute morgen den Rüffel wegen des Bundesratsattentäters Schmocker hatte einstecken müssen…

      »Neuville! Lassen Sie die Kindereien!« rief Dr. Laduner streng.

      Dr. Blumenstein saß ganz in der Nähe der Tür und hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt. Er saß bequem zurückgelehnt und rauchte eine Zigarette mit Kartonmundstück. Trotzdem ähnelte er einem Riesensäugling.

      Auf dem Aufsatz, der den Tisch in der Mitte teilte, stand ein Telephon. Dr. Laduner hob den Hörer ab, stellte eine Nummer ein, wartete. In der Stille war deutlich das Knacken zu hören, als am andern Ende abgehängt wurde.

      »Laduner! Ja! Dr. Laduner. Rufet den Jutzeler ans Telephon…«

      Lautloses Warten. Dr. Blumenstein wagte nicht, seine Füße von der Tischplatte zu entfernen. Erst als Laduner mit der Linken eine Schachtel aus seiner Hosentasche gefischt hatte und mit der Zigarette eine auffordernde Geste machte, verstaute Dr. Blumenstein seine langen Beine unter dem Tisch und reichte Dr. Laduner ein angezündetes Hölzchen über den Tisch.

      »Ja?« fragte Laduner ins Telephon. »Ihr seid's, Jutzeler? Nehmet den Gilgen und den Blaser. Holt eine Bahre… Ihr geht dann in die Heizung beim K. Dort werdet ihr den Direktor finden… Wie?… Ja, er ist tot… Gut zudecken, nicht wahr?… Es wird ja nichts nützen, in einer Viertelstunde wird es die ganze Anstalt wissen… Und ihr bringt ihn ins T… Dr. Blumenstein wird die Sektion machen… Ihr könnt helfen, Jutzeler… Übrigens, der Weyrauch soll ins Büro kommen… Ja, das ist alles…« Laduner legte den Hörer auf die Gabel und sagte, zu Studer gewandt:

      »T ist auch eine Abteilung… Im Alphabet kommt das T vor dem U. Bei uns ist das T die letzte Station… Die Totenkammer… Leicht zu merken, wegen des Anfangsbuchstabens…«

      Nach einer Pause, in der alle schwiegen, rutschte er vom Tisch.

      »Blumenstein, Sie stellen die Todesursache fest. Das Protokoll bringen Sie mir… Ein Unglücksfall… Unser Direktor ist in der Heizung über eine Leiter hinuntergefallen…«

      Er schwieg. Die Fenster standen offen. Irgendwo draußen wurde Croquet gespielt, es tönte, wie wenn jemand verträumt immer den gleichen tiefen Ton auf einem Xylophon anschlüge… Und dann begann eine Handharpfe zu spielen… Die Blätter der Büsche vor dem Fenster waren im Schatten so dunkelgrün, daß sie schwarz wirkten…

      »Liebes Kind«, sagte Laduner zu der kleinen Baltin am Fenster, die immer noch, töricht und verstört, die Zeigefinger über den Tasten ihrer Schreibmaschine schweben ließ. »Suchen Sie mir doch bitte die Krankengeschichte des Pieterlen heraus. Und stellen Sie sein Signalement zusammen. Die Akten lassen Sie mir in die Wohnung bringen… Heute abend, Studer, wollen wir über Pieterlen sprechen…«

      Er schwieg.

      Und dann: »Über Pieterlen Pierre, das Demonstrationsobjekt…«

      Dr. med. Ernst Laduner, II. Arzt an der Heil- und Pflegeanstalt Randlingen, ging zu einem Wandschrank, zog seinen Arztkittel über seinen Tennisdreß, und während er bedachtsam mit dem Hörrohr auf den Handteller seiner linken Hand klopfte, sprach er nachdrücklich – und bei den letzten drei Worten hob er den Blick:

      »Im übrigen werden Sie sich in allem – an mich wenden!« Es klang, als ob ein Major der versammelten Mannschaft verkündet:

      »Das Bataillon – hört – auf – mein – Kommando!«

      Kurzes Zwischenspiel in drei Teilen

       Inhaltsverzeichnis

      1.

      Gehen Sie nur ruhig in die Wohnung hinauf und warten sie auf mich, Sie brauchen nicht zu läuten…« hatte Dr. Laduner gesagt.

      So stand nun Studer im kühlen Gang. Jemand spielte Klavier, eine einfache Melodie. Studer schlich näher. Die Klänge drangen durch die Tür, die dem Eßzimmer gegenüberlag. Studer lauschte. Das Klimpern klang kühl wie Amselsang an einem Aprilmorgen. Das Klavier schwieg, eine Knabenstimme sagte.

      »So Muetti, jitz sing du!« »Aber, Chaschperli, ich cha ja gar nid singe…« »Wowoll, Muetti… Weisch, ds französisch Lied…« Stuhlrücken. Ein kurzes Vorspiel…

      »Plaisir d'amour ne dure qu'un moment

       Chagrin d'amour dure toute la vie…«

      Eine Altstimme… Plötzlich war Studer weit weg, obwohl sein Kopf an der Türfüllung lehnte… Es versank die Anstalt Randlingen und der alte Mann, der das Genick gebrochen hatte, es versank Pierre Pieterlen, dessen Signalement man verbreiten sollte, es versank Dr. Laduner mit seinem Maskenlächeln, über das man sich den Kopf zerbrechen mußte…

      … Und vor Studer breitete sich aus ein Gewirr von Türmen und Dächern, aus dem dumpf ein Summen stieg, unterbrochen bisweilen von kurzen, schrillen Klängen. Nebelfahnen wehten, und glitzernd schlängelte ein Fluß sich durch die Häuserebene. Er stand auf der Höhe von Montmartre und sah auf Paris. Neben ihm saß eine Frau, sie sang und begleitete sich auf der Gitarre:

      »J'ai tout quitté pour ma charmante Sylvie…«

      Ihre

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