Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser

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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser

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      Das Schlafzimmer: Zwei Betten, das eine war nicht überzogen, das andere ungebraucht, kein Kopfeindruck auf dem Kissen. Die Decke war glattgestrichen…

      Was war es nur, was die ganze Wohnung durchdrang? Es war nicht allein der kalte Stumpenrauch, obwohl er zu der besonderen Atmosphäre gehörte, es war auch nicht der leichte Kognakgeruch, und doch war auch er nicht wegzudenken. Es war nicht der aufgeschlagene Casanova und das unüberzogene leere Bett und nicht der Staub und nicht der geschlossene Flügel und die Plüschvorhänge und die Birke mit den zerknitterten Blättern…

      Studer blieb mitten im Arbeitszimmer stehen, vor dem offenen Schrank, in dem wenige Bücher unordentlich herumlagen. Auf dem Schreibtisch war ein dreiteiliger Rahmen aufgestellt: Photographien… Mädchen, Männer, ein Brautpaar, Kinder… Enkel des alten Direktors?…

      »Aaahh«, machte Studer ganz laut.

      Jetzt konnte er ganz genau sehen, was die Wohnung durchdrang:

      Einsamkeit.

      Ein alter Mann, der zum Bärenwirt flieht, weil er die Einsamkeit nicht mehr aushält. Zwei Frauen sind ihm gestorben. Die Kinder weit weg… Die Enkel kommen nur in den Ferien… Und die jungen Pflegerinnen, mit denen man spazieren geht?… Ein alter Mann kämpft gegen die Einsamkeit, und es ist ein hoffnungsloser Kampf…

      Studer schlich davon, schlüpfte ins Stiegenhaus, hastete in den zweiten Stock, betrat die Wohnung. Frau Laduner kam ihm entgegen. Ein Pfleger habe nach ihm gefragt, sie habe ihn ins Gastzimmer geführt.

      Als Studer die Türe öffnete, saß der kleine Gilgen auf dem Rande eines Stuhls, und sein Gesicht war bleich und ängstlich…

      3.

      Gilgen kratzte sich die Glatze. Er hatte einen Rock angelegt, der viel geflickt war. Aus der Tasche des Rockes zog er nun ein Blatt Papier, vierfach zusammengefaltet, und reichte es Studer. Der Titel war mit schöner Rundschrift gemalt, und es war eine Art Widmung:

      »Dem sehr verehrten und sehr gütigen und sehr weisen Inspektor Jakob Studer von einem großen Kriegsverletzten gewidmet im Auftrage Mattos, des großen Geistes, dessen Reich sich weitet über das Erdenrund.«

      Und dann kam das sonderbare Stück Prosa, das Studer am Morgen gelesen hatte, aber es begann ein wenig anders:

      »Wenn der Nebel den Regen spinnt zu dünnen Fäden…« Und so weiter… und so weiter… Es kam der Abschnitt über die bunten Papiergirlanden, die über die Welt flattern, und dann flackern Kriege auf, es kam der Satz über die roten Bälle und die Revolutionen lodern zum Himmel… Es war ähnlich und doch anders. Diesmal berührte es Studer merkwürdig, und es fröstelte ihn ein wenig. Es war soviel passiert inzwischen… Er hatte den Direktor gefunden am Fuße der Eisenleiter… Er hatte die Wohnung gesehen und die Einsamkeit eines alten Mannes begriffen… Er hatte das Aufatmen Dr. Laduners gesehen und das Aufatmen seiner Frau…

      Und Wachtmeister Studer las den letzten Abschnitt von Schüls ungereimtem Gedicht. In diesem hieß es:

      »Matto! Er ist mächtig. Alle Formen nimmt er an, bald ist er klein und dick, bald schlank und groß, und die Welt ist sein Puppentheater. Sie wissen nicht, die Menschen, daß er mit ihnen spielt wie ein Puppenspieler mit seinen Marionetten… Und dabei sind seine Fingernägel lang wie die eines chinesischen Gelehrten, gläsern und grün…«

      Der gute Schül! Mattos Fingernägel schienen ihn zu beschäftigen… Aber, was war denn los? Studer fühlte sich unbehaglich, aber es war nicht mehr Schüls ›Dichtung‹, es war etwas anderes…

      »Wer spielt denn da in einem fort Handharpfe?« fragte er ärgerlich. Man konnte nicht feststellen, woher der Ton kam. Drunten im Ärztebüro schon hatte er die Musik gehört, fern und leise, hier war sie lauter zu hören, sie schien aus den Wänden zu dringen oder von der Decke herabzusickern…

      Er blickte auf den rothaarigen Gilgen und bemerkte, daß der kleine Mann bleich geworden war. Das sah sonderbar aus, die Sommersprossen traten so deutlich hervor wie Rostflecken auf mattem Stahl.

      »Was ist los, Gilgen?« fragte Studer.

      »Nüt, Herr Wachtmeister…« Und ob Studer wirklich wissen wolle, wer spiele? Das werde nicht festzustellen sein. In der Anstalt habe es so viele, die Handharpfe spielten, es könne aus irgendeiner Abteilung dringen…

      Studer gab sich zufrieden, obwohl ihn das Handharpfenspiel unleidig machte. Er hätte nicht sagen können, warum. Er versuchte, sich auf etwas zu besinnen, das ihm am Morgen aufgefallen war, es war etwas, das mit Handharpfenspiel zusammenhing, aber er konnte sich nicht besinnen…

      »Wachtmeister«, sagte der kleine Gilgen und stockte. Dann, als Studer ihm aufmunternd zugenickt hatte, kam die Bitte: – Studer möge doch den Dr. Laduner bitten, daß er nicht entlassen werde… – Entlassen? Warum sollte er entlassen werden?

      Eine traurige Geschichte erzählte der Gilgen. Er habe ein Hüüsli gekauft, vor vier Jahren… Achtzehntausend Franken. Siebentausend habe er angezahlt, der Rest sei erste Hypothek… Und es sei gut gegangen… Aber nun sei die Frau krank und in Heiligenschwendi oben, sie habe es auf der Brust… Schulden, ja!… Und dann habe er immer den Abteiliger Jutzeler vertreten, wenn der frei gehabt habe, und da habe er sich ein paarmal Respekt verschaffen müssen bei den jungen Pflegern, und die seien ihm dann aufsässig geworden… Hätten ihn verklagt, er trage die Wäsche und die Schuhe von Patienten… Der alte Direktor habe die Sache untersucht, und er habe den andern geglaubt. Er habe den Gilgen entlassen wollen… Da habe der Abteiliger Jutzeler gedroht, dem alten Direktor nämlich, man werde den Streik proklamieren, wenn der Gilgen entlassen würde… Der Direktor habe nur gelacht… Und er habe recht gehabt, zu lachen, denn es sei wenig Einigkeit unter den Pflegern… Kaum ein Dutzend, die organisiert seien… Der Rest sei froh, überhaupt eine Anstellung zu haben in dieser Krisenzeit… – Und nun?, fragte Studer. Er hatte Mitleid. – Nun habe er heut mittag, wie er heimgefahren sei, den Betreibungszettel gefunden… Natürlich, wenn ihm sein Lohn gepfändet werde, dann sei alles verpfuscht… Die Frau sei in keiner Krankenkasse… Er habe alles versucht, sagte der Gilgen, in der Freizeit habe er für Kollegen geschneidert, obwohl das ja eigentlich verboten sei, Doppelverdienertum… Bei den Pflegern wenigstens. Wenn die Frau vom Dr. Blumenstein im Dorfe Lehrerin sei und ihr Mann den Lohn ziehe in der Anstalt, so mache das nichts…

      Studer nickte… Es ging ungerecht zu in der Weit. Er hätte dem kleinen Gilgen von den zwölfhundert Franken erzählen können, die der Direktor von der Krankenkasse gezogen hatte… Aber er wollte nicht hetzen.

      Merkwürdig immerhin, daß der kleine Mann so großes Vertrauen zu ihm hatte. Der Pfleger Gilgen, den er gestern noch gar nicht gekannt hatte, mit dem er heute morgen einmal gejaßt hatte, dem er vielleicht ganz aus Zufall vom Dr. Laduner übergeben worden war, um auf der Abteilung B herumgeführt zu werden…

      Studer tröstete, so gut er konnte. Er werde sein Möglichstes tun. Dr. Laduner leite ja vorläufig die Anstalt, er werde bei ihm ein gutes Wort einlegen…

      Der Pfleger Gilgen ging ein wenig getröstet fort.

      Studer fiel es auf, daß er noch einen furchtsamen Blick nach der Zimmerdecke warf – aber dann vergaß er es wieder. Das Handharpfenspiel hatte aufgehört…

      Auf dem Rückweg von der Gangtür, zu der er den kleinen Gilgen begleitet hatte, blieb Studer vor der Tür zum Arbeitszimmer stehen. Ihm war eingefallen, daß er an seine

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