Die Entdeckung des Nordpols. Robert E. Peary
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Das Rennen mit einem oder mehreren Konkurrenten zu einem solchen Ziel war das Nutzlose schlechthin, ein Egotrip und Zeitvertreib – einzig aufs Siegen erpicht. Der holländische Kulturhistoriker Johan Huizinga schrieb diesbezüglich in seiner Monografie Homo Ludens (1938): »Die Hauptsache ist, ›gewonnen zu haben‹.« Und dann fügte er zur Bekräftigung des Gesagten hinzu: »Das reinste Beispiel für einen Triumph, der sich in nichts Sichtbares oder Genießbares umsetzt und nur im Gewinnen selbst besteht, bietet das Schachspiel.«
Wen wundert’s deshalb, dass der Bericht über Die Eroberung des Nordpols mit den Sätzen anfängt: »Man könnte wohl die Erreichung des Nordpols mit dem Gewinnen eines Schachspiels vergleichen, in dem alle die verschiedenen Züge, welche zu dem günstigen Schluss führten, lange, ehe das gegenwärtige Spiel begann, im Voraus überlegt worden waren. Es war für mich ein altes Spiel, ein Spiel, das ich dreiundzwanzig Jahre mit wechselndem Glück gespielt hatte.« Der Name des ausdauernden Teilnehmers: Robert Edwin Peary.
TRAUMWANDRER*
Die Partie, von der die Rede war, hatte de facto im Altertum begonnen und wurde seit dieser Zeit zwischen Menschen und Elementen um ein Inferno ausgetragen. Viele haben es beschrieben.
»Gleich über uns lagert der arktische Pol Und selten besucht ihn der strahlmilde Sol, Zu grimmig ist dieser Erd-Flecken. Saturnus, angeblich, steht dort auf der Wacht Und hütet den Schatz, den in finsterer Nacht Die Sterblichen nimmer entdecken. Du wirst es kaum glauben, und doch ist es wahr: Man findet im Nord-Land nicht einmal im Jahr Den Tag, wie er südwärts normal ist! Im Winter, da gibt es hier nirgendwo Licht, Im Sommer, da gibt es hier Dunkelheit nicht, Sodass jeder Tag eine Qual ist.«
Was der Norweger Petter Dass am Ende des 17. Jahrhunderts in seinem Gedichtzyklus Die Trompete des Nordlandes über jene Zone zusammengereimt (und teilweise dem griechischen Philosophen und Historiker Plutarch entnommen) hatte, stellte im Wesentlichen das dar, was man seit der explorativen Epoche Alexanders des Großen hierüber wusste.
Nachdem sich Pytheas, der Grieche aus Massalia, um 330 vor Christus an der Küste Norwegens bis zum Polarkreis hinaufgetastet hatte, lenkten die Europäer unermüdlich ihre Schiffe zu den hohen Breiten des Erdballs und fabulierten alsdann vom Regime des Saturn über ein Gefilde, in dem jede Erscheinung gemäß dem Weihemonat jenes Gottes – Dezember – frostig, feucht und feindselig ist.
Zu diesem grausigen Dunstkreis des Orcus zog es Wagehälse mit einer solchen anhaltenden Heftigkeit, dass sich im 13. Jahrhundert nach Christus der Verfasser des altnorwegischen Königsspiegels aufgerufen sah, den Wikingern diesen Drang unter Hinweis auf eine Reihe von Triebkräften der Erdensöhne zu erklären (von Bedürfnissen nebenbei, die selbstverständlich denen ähneln, mit deren Aufzählung dereinst das Vorwort des Herausgebers zu einem Text von Robert Edwin Peary einsetzen sollte ...): »Das Erste ist die Lust an Kampf und Ruhm, denn das ist menschliche Art, dorthin sich zu begeben, wo große Gefahr zu erwarten ist, und sich dadurch berühmt zu machen. Das Zweite ist die Wissbegierde, denn das liegt gleichfalls in der Natur des Menschen, die Dinge zu erkunden und zu untersuchen, von denen ihm erzählt wird, und zu erfahren, ob sie so sind, wie ihm gesagt wurde, oder nicht. Das Dritte ist die Aussicht des Gewinns, denn überall suchen die Menschen nach Gut, wenn sie hören, dass sich irgendwo Aussicht auf Gewinn darbietet, mag auch anderseits große Gefahr damit verbunden sein.«
Dieses Syndrom von Faktoren wurde achterlastig ... bis Profitjägerei das A und O bei Expeditionen ins Namenlose war und ihre Leiter dem Nordpol in einer verschlungenen Folge von Begebenheiten immer näher rückten. Im selben Augenblick nämlich, in dem der spanische Conquistador Vasco Nunez de Balboa am 25. September 1513 im Westen der Neuen Welt noch einen Ozean gesichtet hatte, war klar, dass sich der Strand, auf den Kolumbus inzwischen seinen Fuß gesetzt haben wollte, jenseits der Südsee erstreckte. Darum rüsteten die Piloten ihre Karavellen, um nach der Nordwestpassage zu fahnden ... mochten andere Skipper ihre Schaluppen wappnen, um nach der Nordostpassage zu forschen (wenn sie nicht gar wie Fernao de Magalhaes im Jahre 1520 um die Südspitze Amerikas segelten)! Während die einen ergo das Ruder nach Steuerbord legten, rissen es die anderen nach Backbord – jeder aus Raffgier darauf bedacht, entweder Sibirien oder die Landmasse des »Mundus Novus« gen Indien zu umfahren.
»So erwachten sie zum Leben«, vermerkte Fridtjof Nansen, »die beiden großen Illusionen, welche jahrhundertelang den Sinn der Entdecker im Zauberbanne hielten. Wert als Handelsstraßen konnten sie nie erhalten, diese schwierigen Durchfahrten durch das Eis. Mehr als Traumbilder wurden sie nicht, aber Traumbilder von größerem Wert als wirkliche Kenntnis: Sie lockten die Entdecker immer weiter in die unbekannte Eiswelt hinein.«
Auf diese Weise wurden sie Vorkämpfer, deren Andenken in der geografischen Nomenklatur bewahrt ist wie zum Beispiel jenes eine in »Barentsburg«, »Barentsinsel«, »Barentssee«.
Willem Barents, seines Zeichens Cheflotse der Vereinigten Niederlande, war angewiesen worden, »die Meere des Nordens zu befahren«, und hatte tapfer schon zweimal, 1594 und 1595, den Circulus Arcticus überschritten, als er sich nunmehr 1596 in Amsterdam zum dritten Mal einschiffte.
Unter dem eher formalen Kommando Jacob van Heemskercks schaffte er zunächst eine Höhe von 79° 49’, ließ nachher jedoch ostwärts schwenken und erspähte daraufhin die Bäreninsel und den Südzipfel von Spitzbergen: 80° 11’! Zuletzt aber, als er im August bei den Oranje-Inseln lavierte, wurde seine Nussschale von treibenden Schollen gestoppt, auf der Stelle umschlossen und wie von Geisterhand zermalmt. Da war er mit seinen Leuten gezwungen, bis zum Winter »ein Haus zu bauen, um uns vor der Kälte und den wilden Tieren zu schützen, uns darin so gut wie möglich einzurichten und uns unter Gottes Schutz zu stellen«.
Diese Frömmigkeit wurde belohnt. Zwar litten die sechzehn unter dem Frost und der bleiernen Nacht, aber sie verstanden es einfallsreich, sich bei Gesundheit zu halten. Sie gingen auf die Robbenpirsch, richteten ein Schwitzbad ein, feierten allerlei Feste und verloren nie die Zuversicht, sodass sie, als die Sonne das Meer erneut verflüssigte, hoffnungsfroh am 14. Juni 1597 mit zwei Jollen unterhalb des »Behouden Huys« ablegten: der Heimat entgegen.
Barents, der sich physisch wie psychisch längst erschöpft hatte, starb am 20. Juni. Seine Mannschaft indessen traf bei der Halbinsel Kola wie durch ein Wunder auf den Segler, der ihre Ausfahrt vor einem Jahr begleitet hatte und jetzt die Geretteten nach Amsterdam zurückbrachte.
Sie hatten etliches bewiesen, vor allem aber eines: dass Überleben im White Out bei planvollem Verhalten möglich ist – wenn sich Fortuna einschaltet...
Dieses Quäntchen Optimismus ermunterte von nun an viele zur Fahndung nach einem nördlichen Schleichweg: 1615 den Engländer William Baffin, 1619 den Dänen Jens Munk und 1773 abermals einen Engländer: Constantine John Phipps. Zum Angriff auf Saturn, den König in dem Turnier, ermutigte es einstweilen nur Henry Hudson, auch er ein Engländer.
Ihm hatte mit der Einfalt der Unbedarften die britische Muscovy Company 1607 auferlegt, »den Pol zu entdecken«, worauf Henry Hudson gehorsamst den Anker lichten ließ und nach Norden segelte, bis er sich auf 80° 23’ am Packeiswall abgewiesen fand. Da drehte er bei und meldete zu Hause die Wahrnehmung einer vulkanischen Insel (die später »Jan Mayen« getauft ward). »You have done well by water ...«
Und weil das