Die Entdeckung des Nordpols. Robert E. Peary

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Die Entdeckung des Nordpols - Robert E.  Peary Edition Erdmann

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Dänen pflanzten quer zur allgemeinen Stoßrichtung Wegmarken auf: Der eine, Hans Egede, gründete seit 1724 Siedlungen auf Grönland und ließ in Kopenhagen eine Perlustration (1742) der Gebiete und Bräuche der Eskimos drucken; der andere, Vitus Jonassen Bering, setzte mit einer Abteilung der Großen Nordischen Expedition von Asien zu den Ufern Amerikas über und näherte sich am 18. Juli 1741 Alaska so dicht, »dass man die schönen hart an der See gelegenen Waldungen wie nicht minder die großen Ebenen unter dem Gebirge landeinwärts mit größtem Vergnügen betrachten konnte«.

      Niemand vermochte Saturn zu schlagen.

      Auch dann nicht, als Daines Barrington 1773 die Royal Society in London überredet hatte, einen Verband in das Ringen um den Nordpol zu entsenden. Denn die »Racehorse« und die »Carcasse« mussten vor demselben Hindernis kapitulieren, vor dem Henry Hudson zurückgewichen war.

      VERSCHMÄHTE LIEBHABER

      Während demnach rund um den Saum der Arktis navigiert und rekognosziert und trianguliert und kartografiert wurde, verharrte sein Zentrum fernab und unerreichbar – für Poeten wie für Philosophen ein Reservat, mit dessen Erschließung die Selbstzerstörung des Menschen einhergehen würde.

      So besang der schwedische Lyriker Esaias Tegner in seiner Ballade Die Polarreise (1817) den Prototyp des Verblendeten, der sich soeben auf den Nordpol zubewegt:

       »Endlich kommt der Erde Wipfel. Siegend auf der Achse Gipfel Steht er. Horche, welch ein Brausen Aus der Tiefe! Welch ein Sausen Macht die Masse, die sich schwer Schwingt um ihre Achs’ umher!

       Nun erschrickt er, und verlegen Sinnt er nach der Rückkehr Wegen. Zaubermacht verwirrt den Festen: Wo ist Osten? Wo ist Westen? Wo ist Süden? Wo der Nord? Keine Spur, kein Ausweg dort!

       Aus der Tiefe tönt ein Rufen: ›Thor, auf deiner Weisheit Stufen! Himmelsstrich nicht, wie die andern, Hat der Punkt, drum Welten wandern. Auf schließt ihn der Tod allein. Kamst du dorthin, bleibst du sein.‹

       Stündlich wird der Schatten länger, Stündlich wird der Cirkel enger, Den die Sonn’ am Himmel malet, Bis kein Lichtatom mehr strahlet Doch das Ich des Stolzen friert, Bis die Welt sich neu gebiert.«

      Was als Warnung davor gedacht war, die letzten Geheimnisse der Schöpfung zu entweihen – und was sich am Anfang des 21. Jahrhunderts durchaus als ökologisches Menetekel deuten lässt –, korrespondierte nun für kurze Frist mit dem Zögern von Abenteurern, den Nordpol direkt zu attackieren.

      Stattdessen befestigten sie den Belagerungsgürtel um das ebenso abstoßende wie anziehende Nichts: Der Russe Ferdinand Petrowitsch Baron von Wrangel sondierte 1821 sechsundvierzig Tagesmärsche oberhalb der Bäreninsel; die Österreicher Julius Ritter von Payer und Karl Weyprecht entdeckten 1873 Franz-Joseph-Land; und der Amerikaner George Washington De Long sah 1881 als Erster die Neusibirischen Inseln.

      Immerhin wurde, während die »Parts Unknown« peu ä peu von den Atlanten verschwanden, – vorrangig von Engländern – das Match fortgesetzt, wer »Farthest North« erklimmt: 1827 kam William Edward Parry von Spitzbergen aus auf 82° 45’; 1875 – ein halbes Jahrhundert später – gelangte George Strong Nares vom Smith-Sund her auf 82° 48’; und 1876 erreichte Albert Hastings Markham via Grönland 83° 20’, was zwei Gefährten des Amerikaners Adolphus Washington Greely auf einer parallelen Route 1882 um ganze sieben Kilometer überboten.

      Sie alle aber deklassierte das Experiment, das Fridtjof Nansen am 14. März 1895 begann. Er hatte sich nordwestlich der Neusibirischen Inseln mit der »Fram« vom Eis Huckepack nehmen lassen und war bei dessen Drift auf einer Position von 102° östlicher Länge und 84° nördlicher Breite gemeinsam mit seinem meteorologischen Assistenten Fredrik Hjalmar Johansen aus dem Unternehmen ausgeschert und zum Nordpol aufgebrochen. Doch nach wenigen Kilometern hatten sie ein Geröllfeld vor sich, in dem es kein Vorwärtskommen mehr gab. »Es ist ein wahres Chaos von Eisblöcken, das sich bis an den Horizont ausdehnt. Es hat keinen Sinn, noch weiter vorzudringen, wir opfern die kostbare Zeit und erreichen nichts.«

      Geleitet von der Klugheit des Pragmatikers – und nicht von der Hybris des Tegner’schen Wallers im Schnee –, kehrte Nansen bei 86° 04’ dem »Großen Nagel« den Rücken und fand nach einem tolldreisten Marsch, der unter dem guten Stern der Barents-Crew stand, 1896 wohlbehalten nach Norwegen zurück.

      Dort war er noch nicht eingetroffen, da tüftelte in Stockholm Salomon August Andree an einem Ballon, der seinen Erfinder samt zwei Kameraden von Spitzbergen aus über den Nordpol tragen sollte. Andree hatte eine Technik ersonnen, seine »Luftkugel«, die normalerweise in derselben Strömung und Geschwindigkeit wie der Wind treiben würde und somit in ihrem Kurs nicht zu beeinflussen war, steuerbar zu machen: Er beschwerte sie mit mehreren Trossen, die – solange man in mäßiger Höhe dahinglitt – über die Erdoberfläche schleiften. Hierdurch wurde das Gerät gebremst, die Brise war wieder spürbar, und der »Adler« konnte mithilfe von aufgespannten Tüchern manövriert werden wie ein Segelboot.

      Weil Andree jedoch die Glanzleistung des Norwegers Nansen als nationale Herausforderung ansah, brachte er sich selbst in einen Handlungszwang, der jedes rationale Agieren lähmte. Als er am 11. Juli 1897 von Spitzbergen aufstieg, entwanden sich die unteren zwei Drittel der Seile ihrer Verschraubung und »aus dem halb gefesselten Ballon war«, wie ein Chronist konstatierte, »ein Freiballon geworden«. Anstatt nach diesem Malheur das Projekt unverzüglich abzubrechen, überließ sich Andree in der Thermik der Ehrenmänner-Regel »aber gesagt ist gesagt« drei Tage lang der Willkür des Wetters ... Dann, bei 82° 56’, sank das Gefährt unter dem Ballast des Reifs auf seiner Außenhaut und die Hasardeure schlugen am Boden jener Tatsachen auf, gegen die sie sich bald ebenso vergeblich stemmten wie alle ihre Vorgänger.

      »Ich glaube«, ließ der schwedische Autor Per Olof Sundman in seinem Dokumentarroman Ingenieur Andrees Luftfahrt (1967) einen der todgeweihten Schwärmer zwar seufzen, »der Nordpol ist eine schlechte Geliebte«. Doch sind dessen ungeachtet (laut Goethe) nicht »Lust und Liebe die Fittiche zu großen Taten«?

      In cerca d’amore, das heißt: aus Sehnsucht nach Aneignung und Hingabe drang Umberto Cagni, ein Mitglied der »Stella-Polaris«-Mission des Herzogs der Abruzzen, am 25. April 1900 von Franz-Joseph-Land her bis auf 86° 34’ vor. Das war noch einmal Rekord! Dann wurde das Endspiel angegangen.

      Und während derweil ein neues, dynamisches Säkulum nahte, wartete alle Welt darauf, dass Saturn matt gesetzt wurde.

      Am Zug war Robert Edwin Peary.

      »ICH HABE DEN WUNSCH, MIR EINEN NAMEN ZU MACHEN«

      Robert Edwin Peary wurde am 6. Mai 1856 in Cresson unweit von Pittsburgh im amerikanischen Bundesstaat Pennsylvania als einziges Kind des Küfers Charles Peary und dessen Ehefrau Mary geboren. Die Eltern waren 1858 kaum in das ebenfalls in Pennsylvania liegende Gallitzin umgesiedelt, da starb der Vater im Januar 1859. Seine Witwe kehrte daraufhin mit ihrem noch nicht dreijährigen Sohn in die nordöstlichste Ecke der USA zurück, nach Maine, woher sie stammte. Erst in Cape Elizabeth bei Portland, dann in dieser Hafenstadt selbst sowie im nahen Gorham wuchs Robert Edwin Peary nun heran. Er besuchte die Elementary School, als Nächstes eine private Boarding School und hinterher die High School, die er 1873 verließ, um am Bowdoin College in Brunswick, Maine, zu studieren. Nachdem er dort sein Examen als Zivilingenieur abgelegt hatte, schrieb er seiner Freundin Mary Kilby am 10. Oktober 1877 einen Brief, in dem es hieß: »Ich möchte gerne eine so anziehende Wesensart entwickeln, dass die Leute, wenn ich einmal mit ihnen zusammen war, immerfort Gefallen an mir finden – ob sie wollen oder nicht.«

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