Die Entdeckung des Nordpols. Robert E. Peary
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Er hatte eine Anstellung als Landvermesser beim United States Coast and Geodetic Survey in Washington gefunden, von seinem ersten Gehalt eine der dreihundertfünfundsechzig Inseln in der Casco-Bai vor Portland erworben und im Was-kostet-die-Welt-Überschwang den Entschluss gefasst, sich zu Vorarbeiten für einen Kanal zwischen dem Atlantischen und Pazifischen Ozean nach Nicaragua versetzen zu lassen. Er wollte ein Bahnbrecher werden, ein Wegbereiter ... Southward Ho! »Ich habe den Wunsch«, gestand er seiner Mutter am 16. August 1880, »mir einen Namen zu machen, der überall in Kreisen der Kultur und Bildung als Sesam-öffne-dich wirkt.« Obwohl er trotz des hämmernden Einsatzes von Begriffen wie »glory«, »pride« und »fame« nicht das Plazet Mary Pearys bekam, reiste er – nunmehr in Diensten der United States Navy – Ende 1884 von New York ab, um bis April 1885 das Terrain für den Durchstich im Dschungel zu sondieren. Ein Weltwunder war auf den Messtischblättern zu entwerfen, ein Denkmal des menschlichen Gestaltungswillens. Goethe hatte bereits ein halbes Jahrhundert zuvor darüber sinniert, dass derlei »einem großen Unternehmungsgeiste vorbehalten« sei.
Einen solchen wollte Peary verkörpern. Dass Ereignisse in Mittelamerika dabei zum zweiten Mal Aktivitäten in der Arktis evozierten, gehört zu den Quantensprüngen der Evolution. Denn so wie einst die Nachricht davon, dass Balboa auf der anderen Flanke des Isthmus in ein fremdes Meer hinausgewatet war, letztlich die Suche nach der Nordwestpassage ausgelöst hatte, so pflanzte jetzt die Erinnerung daran, dass Kolumbus durch seine Ankunft in der Karibik Unsterblichkeit erlangt hat, den Keim zur Sehnsucht Pearys nach dem Nordpol, wo gleicher Ruhm zu ernten sei.
Am 28. Dezember 1884 schilderte der Zweiunddreißigjährige seiner Mutter die Vorbeifahrt an San Salvador: »Die Insel blieb im Südwesten zurück, später ging die Sonne prachtvoll dahinter unter. Die lange niedrige Küste mit ihren einzelnen Klippen und Kaps trat deutlich hervor – ein purpurnes Relief vor dem gelben Himmel: die Wiege der Neuen Welt, das Eiland, das als Erstes die Augen von Kolumbus erfreut hat, purpurn gegen den gelben Sonnenuntergang, so wie vor fast vierhundert Jahren, als es lächelnd jenen Mann willkommen hieß, dem in seinem Nimbus alleinig der noch ebenbürtig sein kann, welcher eines Tages dasteht und dreihundertsechzig Längengrade unter seinem ruhenden Fuß hält... Ost und West werden für ihn nicht mehr existieren: für den Entdecker des Nordpols.«
Dieses Dokument, so beiläufig es daherkommt, liefert den Schlüssel für Pearys ganzes Wirken. Hervorgegangen ist es aus dem Traum, ein Heros zu werden – an American Hero –, kein Humboldt und kein Lesseps, kein Weltbaumeister und kein Forscher, sondern ein Held-an-sich, ein Macher – entwachsen aus betörender Rede ... eine Fleisch gewordene Sagengestalt.
Nein, Nicaragua bot trotz seines martialischen Ambientes kein Vorfeld zur Vergötterung! Das Aufmarschrevier lag dort, wohin der Polarstern im Wappen von Maine wie ein Lockmittel weist: im Norden. Also tat Peary zwar fürs Erste seinen Job im Urwald und kehrte sogar im November 1887 für mehrere Monate dahin zurück; doch was ihn seit jenem Abend vor San Salvador bewegte und beherrschte, besessen und verrückt machte, das war der Trieb, das Reich des Saturn aufzusuchen.
Der Grönland-Trip von 1886 auf der »Eagle« wurde ein Testlauf: der Prolog zu einem rätselvollen Abenteuer – und vorausdeutend! Denn nachdem Peary heimgekehrt war und 1887 im Bulletin of the American Geographical Society geschildert hatte, wie er mit dem Dänen Kristian Maigaard oberhalb der Disko-Bai einhundertsechzig Kilometer ins Inlandeis gewandert war, ergab die Überprüfung der Auskünfte des Landvermessers a. D. durch Fridtjof Nansen, dass die relevanten Informationen durchweg nicht stimmten. Im zweiten Band seines Berichts Auf Schneeschuhen durch Grönland (1890) bemängelte er, dass Pearys Längenberechnungen – die sage und schreibe lediglich an einem einzigen Tag gemacht worden waren! – wohl »nur auf einigen Höhenobservationen« beruhten; dass die benutzten Fachausdrücke »nicht ganz deutlich« waren; dass – als Pearys Chronometer stehen geblieben war – die Messungen nicht mit einer Ersatzuhr abgeglichen worden waren; dass ergo die Daten über die zurückgelegte Strecke »nicht als ganz genau betrachtet werden« können. Fazit: »Pearys Angaben in Bezug auf Entfernungen und Höhen sind leider mangelhaft.«
Peary war auf Nansen nicht mehr gut zu sprechen – zumal der Norweger seine Kompetenz bei der Durchquerung Grönlands gewonnen hatte: bei einer Unternehmung, mit der er einem Vorhaben des Amerikaners zuvorgekommen war ... um nicht zu sagen: mit dem er in Pearys Domäne gewildert hatte!
Denn das war nun entschieden: dass Robert Edwin Peary das Podium gefunden hatte, auf dem er das einspielen wollte, was ihn wie nichts im Leben sonst bewegte. An Mary Peary schrieb er am 27. Februar 1887 – als ob sie’s nicht schon oft genug gelesen hätte: »Denke daran, Mutter, ich muss Ruhm erringen.«
Wenig später teilte er der alten Dame im Übrigen mit, dass er seine Zukünftige gefunden hätte, Josephine Diebitsch, eine Professorentochter aus Washington: »Dass sie mich liebt, weiß ich; dass sie mich glücklich machen kann, denke ich schon; außerdem vertraue ich darauf, dass sie mir weniger hinderlich sein wird als jede andere Frau, die ich bisher kannte oder die ich künftig kennen lernen dürfte.«
Das Paar heiratete am 11. August 1888.
»INVENIAM VIAM AUT FACIAM« – ODER: WIE MAN SICH IN ERFOLGSZWANG BRINGT
Und Mrs Peary machte sich nützlich. Denn als ihr Gatte am 6. Juni 1891 zu seiner zweiten Grönland-Reise aufbrach, stand sie ebenso auf der Teilnehmerliste wie der Farbige Matthew Alexander Henson, Pearys Faktotum auf Jahre hinaus, und der New Yorker Arzt Dr. Frederick Albert Cook. Aber mochte an diesem Nachmittag um fünf, als die »Kite« in Brooklyn die Leinen kappte, seine Gemütsverfassung noch so heiter und das vielstimmige »Farewell thee well« noch so ermutigend sein: Zur selbigen Stunde begann ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Cook und Peary, dessen Ausgang bis heute unbekannt ist.
Wer konnte es ahnen? Verlief doch die Expedition äußerst erfolgreich. Peary und seine Crew errichteten eine Hütte am McCormick-Fjord am oberen Zipfel der Baffin-Bai, »Red Cliff House«; sie befreundeten sich mit einigen Eskimos, die in der Nähe siedelten; und lernten, in der Arktis zu überstehen und sich zu bewegen – vor allem Hunde-Schlitten zu führen. Gut vorbereitet gelang Peary mit dem Norweger Eivind Astrup zwischen dem 3. Mai und dem 6. August 1892 eine mehr als zweitausend Kilometer lange Hin- und-Rücktour bis zu der – von ihnen so getauften – Independence-Bai, einer Bucht im Nordwesten Grönlands, die als solche ein Argument für den Inselcharakter von dessen Landmasse liefert.
Als die Depeschen im September Pearys Heimkunft meldeten, setzte sich in Kristiania – dem heutigen Oslo – Fridtjof Nansen an den Schreibtisch und gratulierte dem Kollegen zu seinem Erfolg. Er selbst sei schließlich »einer von denen, die ein bisschen vom Inlandeis gesehen haben«. Daher könne er die Leistungen Pearys beurteilen und ihn mit Fug und Recht als sein »Bewunderer« grüßen.
Nach diesem Ritterschlag durch einen der prominentesten Polarexperten seiner Zeit fühlte sich Peary umso mehr dazu befähigt, der von ihm selbst an sich ergangenen Berufung zu folgen. Das Marineministerium stellte ihn abermals unter voller Beibehaltung seiner Bezüge von seinen Dienstpflichten frei. Was gleichwohl fehlte, war Geld zur Finanzierung der nächsten Expedition. Die Mitwirkung an George Eastmans etwas verwegen betitelter Werbebroschüre The Kodak at the North Pole (»Die Kodak [-kamera] am Nordpol«, 1892) brachte nicht allzu viel ein. Daher ging Peary zusammen mit Henson ein Engagement als Showstar ein. Windmaschine an! Und Vorhang auf! Eingemummelt in einen dicken Pelz arbeitete sich Peary wie durch einen Schneesturm zur Mitte der Bühne vor, woraufhin Henson unter Peitschenknallen mit einem Hundegespann folgte. Dann legten sich die Huskys vor die Füße des immer ärger ins Schwitzen geratenden Vortragskünstlers, bis sie auf ein verstohlenes Zeichen zum Eisberg- oder Steinerweichen ein gespenstisches Geheul anstimmten. Vorhang zu! Und Windmaschine