Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer
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Читать онлайн книгу Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer - Ludwig Ganghofer страница 68
»Das können S' haben, Duhrlaucht!« meinte Pepperl lachend, während er zum fünftenmal seine Tasse füllte. »Bleiben S' da bei uns und verangaschieren S' d' Fräuln Petri als Wirtschafterin ins Jagdhaus! Da kriegen wir's gut.«
Heiter ging Lo auf den Scherz des Jägers ein. Gustl schien die Sache ernst zu nehmen und betrachtete beklommen bald die Schwester, bald den Fürsten, der keinen Blick von Lo verwandte und jedes Wort von ihr wie eine neue Freude zu empfangen schien.
Auch Pepperl war nachdenklich geworden. Das »Jagdhaus« mochte ihn an ein anderes Gebäude erinnert haben, das nicht weit davon lag. Mit seufzendem »Vergelt's Gott!« zog er, als Ettingen die Serviette faltete und Lo den Tisch zu räumen begann, die Truhe an ihre Stelle zurück, setzte sich wieder und lehnte sich mit gekreuzten Armen an die Hüttenwand. Und Gustl, den das Turnen auf seinem Schaukelstuhl ermüdet hatte, trug die beiden Scheite zum Herd und schmiegte sich in die Ecke des Diwans. So blieben Ettingen und Lo allein am Tisch, überschimmert vom Lichtkreis der Lampe, während alle Ecken und Wände der Hüttenstube in tiefem Schatten lagen. Und sie allein nur sprachen. Ettingen fragte, und Lo gab Antwort.
Wie einer, der am Weg eine seltene Blume findet, an ihrer Schönheit sich nicht satt zu schauen vermag, und die Sehnsucht empfindet, das liebliche Wunder dieser Farben ganz zu verstehen – so fühlte sich Ettingen diesem Mädchen gegenüber. Er fragte und fragte, als sollte für ihn auf dem Grund dieser klaren Menschenseele kein Licht und keine Regung verborgen bleiben. Wie mußte er staunen über die seltene Bildung dieses »Dorfkindes«! Und wie ruhig und einfach sie das Leben ansah! Alle schreienden Fragen der menschlichen Daseinsnot waren für sie gelöst durch ihre wunschlose Zufriedenheit, durch die Herzensgüte, mit der sie alles umschloß, durch ihren Glauben an das Schöne und an die zweckvolle Notwendigkeit alles Bestehenden, auch des Schmerzes. »Leben und leiden, das klingt zusammen und läßt sich nicht trennen. Und könnten wir uns denn eine Freude denken, wenn wir den Schmerz nicht kennen würden? Wir lieben doch die Sonne nur, weil sie wiederkommt, wenn sie gesunken ist.«
Wohl mußte Ettingen bei seiner größeren Lebenskenntnis den Kopf zu manchem Gedanken schütteln, den sie aussprach. Aber aus allem, was sie sagte, hauchte ihn eine Wärme an, die sein ganzes Wesen durchdrang. »Wie Sie von Welt und Menschen denken, liebes Fräulein, das ist so gut, so schön! Aber die Wirklichkeit des Lebens ist rauh und zwecklos häßlich, ist grundverschieden von dem abgeklärten Bild, mit dem Ihre Seele alles widerspiegelt. Doch ich bin der letzte der Sie in Ihrem Glauben irremachen könnte! Und wer weiß, vielleicht haben Sie recht – und wir Allerweltsklugen sind die Toren, die alle Weisheit für sich haben, aber auch allen Schaden. Schließlich ist Wahrheit doch wohl etwas anderes als Wirklichkeit. Wahrheit, die sich greifen läßt und für alle gilt? Die gibt's nirgends. Nicht die greifbare Form der Dinge macht ihr Bild, sondern der Blick, mit dem wir sie sehen, die Höhe oder Tiefe, aus der wir sie betrachten. Und wie wir sie sehen, so sind sie für uns, und so sind wir selbst. Das Leben ist gut für Sie, weil Sie gut sind. Sie stehen hoch, und Ihr Blick ist hell. Wer so sehen könnte wie Sie!«
»Liegt das nicht im Willen eines jeden?«
»Meinen Sie?« Er schwieg und lächelte, als hätte er zu sich gesagt: »Ich will's versuchen.«
Da hörten sie einen schweren Atemzug und blickten auf.
»Ach Gott! Der arme Junge!«
Gustl war eingeschlafen. In unbequemer Lage hing ihm der Kopf über die Lehne des Diwans.
Während Lo zum Bruder hinüberging, riß auch Pepperl die Augen auf, der ebenfalls ein Nickerchen gemacht hatte und nun erwachte, weil die Stimmen so plötzlich schwiegen.
Die Ermüdung der beiden mahnte Ettingen an die Zeit, an die er seit dem Eintritt in die Hütte mit keinem Gedanken gedacht hatte. Er sah nach der Uhr und sprang erschrocken auf. »Ach, du lieber Himmel! Zwölf Uhr, Fräulein! Ich habe Sie um die halbe Nacht gebracht. Wie soll ich meine Unbescheidenheit entschuldigen? Ich kann es nur, wenn ich Sie zur Mitschuldigen mache. Der Gast ist geblieben, weil ihn die Wirtin hielt. Jetzt aber fort! Auf, Pepperl! Wir gehen!«
Gehorsam erhob sich der Jäger. Aber Lo sagte: »Sie können und dürfen nicht gehen. Das Gewitter scheint ja vorüber zu sein, man hört keinen Donner mehr. Aber dieser Regen, wie das gießt! Und jetzt, in der Nacht? Dieser Weg! Nein. Ich erlaube nicht, daß Sie gehen.«
»Duhrlaucht, 's Fräuln hat recht!« fiel Pepperl ein und öffnete die Tür. Ein sausender Luftstrom fuhr in die Hütte und peitschte den Regen über die Schwelle. »Da schauen S' aussi, wie's tut! Und so was von Finsternis! Da könnten wir den Hals riskieren. Na, na, die Verantwortigung übernimm ich net. Jetzt müssen wir bleiben. 's Fräuln wird net harb sein drum. Gelten S', na?«
Lo reichte dem Fürsten die Hand. »Wenn Sie gingen, würden Sie mir eine Sorge machen. Ich bitte Sie, zu bleiben.«
Ihre Hand festhaltend, ließ Ettingen sich auf den Sessel nieder. »Gut! Ich weiche der Majorität. Aber Gewissensbisse mach ich mir doch! Und eine Bedingung stell ich: der arme Junge ist müd, er soll sich niederlegen. Nicht wahr, Gustl, vor mir genierst du dich nicht?«
»Nein!« sagte der Junge mit seiner schlaftrunkenen Stimme. Er wartete nur, bis die Schwester ihm zunickte, dann zog er sein Jöpplein aus und legte es sorgsam gefaltet über die Diwanlehne. In den Strümpfen und mitsamt dem Lederhöschen schlüpfte er unter die Decke, in deren Schutz er sich vollends entkleidete. »Lo, jetzt lieg ich!« Das sollte heißen: Komm und sag mir gute Nacht! Als fünfjähriger Bub hatte er sich's angewöhnt, vor dem Einschlafen die Schwester so zu rufen. Daran änderte die Tatsache nichts, daß er im letzten Semester schon angefangen hatte, den Cäsar zu lesen.
Sie ging zu ihm, und als er sie mit beiden Armen um den Hals nahm, küßte sie ihn auf die Wange und sagte ihm leis ins Ohr: »Denk an den Vater!«
Ettingen betrachtete schweigend die Geschwister, und ein tiefer Atemzug hob seine Brust, als wäre ein Wunsch in ihm erwacht, den er fühlte, ohne ihn zu verstehen. Während Lo zum Tisch zurückkehrte und eine grüne Blende um den Lampenschirm hängte, blickte er lächelnd zu ihr auf: »Wie gut der kleine Mann da drüben jetzt schlafen wird!«
Nun saßen sie wieder am Tisch. Damit der Junge den Schlummer leichter finden möchte, plauderten sie mit gedämpften Stimmen. Das machte auch Pepperl sich zunutze und schloß die Augen wieder. Nur die beiden am Tisch empfanden keine Müdigkeit, kein Verlangen nach Schlaf. Das leise Sprechen beim eintönigen Rauschen des Regens gab jedem Wort, das sie sagten, einen heimlichen, tieferen Sinn und umwob die Plaudernden mit einer Stimmung, die sie genossen, ohne ihr nachzufragen. Manchmal, nach einem ernsten Wort, verstummte ihr Geplauder. Dann saßen sie sich eine Weile schweigend gegenüber, als hätten ihre nachklingenden Gedanken an diesem Worte noch zu raten. Nach solch einer Stille sagte Ettingen unvermittelt: »Die ganze Zeit schon, während ich plaudere mit Ihnen, bei jedem Wort, das Sie sprechen, hab ich immer eine seltsame Empfindung.«
»Welche?«
»Daß wir nicht allein wären hier am Tisch! Daß noch ein Dritter bei uns wäre. Ihr Vater!«
Wie es aufleuchtete in ihren Augen! Das verriet ihm, mit welcher Sehnsucht sie darauf gewartet hatte, daß er