Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer
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Читать онлайн книгу Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer - Ludwig Ganghofer страница 66
Auf der Schwelle der Hüttentür saßen die Geschwister im Schutze des vorspringenden Daches. Gustl, der jeden Wechsel im Wolkenbild des Himmels gespannt verfolgte, plauderte mit erregter Unermüdlichkeit. Die Schwester hörte nur halb. In Sorge blickte sie immer wieder zu den umschleierten Bergen auf und über den See hinüber zu den Latschenfeldern, zwischen deren Büschen man die im Nebel verschwindenden Serpentinen eines Steiges kaum noch gewahren konnte. Das beklommene Wesen der Schwester fiel dem Knaben auf, und er fragte: »Lo? Was hast du denn?«
»Ich weiß nicht. Aber dieses Wetter heute –«
»Der Regen läßt ja schon nach. Wirst sehen, wir werden heute noch den schönsten Abend bekommen.«
»Meinst du?« Ein seltsames Lächeln.
Während der Knabe sein Geplauder wieder begann, wurde der Regen immer dünner. Aber es war etwas Schwüles und Unheimliches in dieser trüben Stille der Natur. Das Gewölk hing regungslos in der Luft und färbte sich immer dunkler. Zu einer Stunde, in der es bei klarem Himmel noch heller Tag hätte sein müssen, begann es schon zu dämmern. Und da hörte man fernen Donner. Der Sturm fiel ein und jagte mit brausenden Stößen den Nebel in dichten Schwaden über das Seetal herunter, so daß die kleine Hütte wie von wirbelnden Schleiern umhangen war. Immer näher tönte das Rollen des Donners, dieses Grollen und Dröhnen setzte nicht mehr aus; das Echo eines Schlages rollte so lange, bis mit Geschmetter ein neuer Schlag wieder einfiel.
Als der Sturm gekommen, hatte Lo in der Hütte die Lampe entzündet und an den zwei kleinen Fenstern die Läden geschlossen. Bei Einbruch der Dunkelheit öffnete sie plötzlich den Laden des Fensters wieder, das gegen die Berge blickte.
»Lo? Warum tust du das?«
»Damit die Lampe hinausleuchtet.«
»Meinst du, es könnten noch Menschen draußen sein? Jetzt?«
»Ja, ich fürchte.«
Schweigend begann sie den Tisch zum Tee zu decken und schürte im Herd ein kleines Feuer an.
Gustl, der unter die Tür getreten war, fuhr plötzlich erschrocken zurück. Der erste Blitz war in das finstere Seetal hinuntergefahren. Man hatte keinen Strahl gesehen, aber der Nebel, den der Sturm an der Hütte vorüberjagte, war wie in lohendes Feuer verwandelt, und dazu rasselte ein Donnerschlag, als wäre von den Bergen eine Felswand niedergebrochen.
Lo trat unter die Tür und faßte wortlos die Hand des Bruders.
Wieder flammte ein Blitz, und schwer begann der Regen zu fallen. Plätschernd ging von allen Kanten des Daches die Traufe nieder, und mit dem Rauschen des Regens mischte sich das Brausen des wachsenden Sturmes. Da erwachte auch in Gustl eine Sorge. Er hatte an die Mutter gedacht und fragte: »Lo? Meinst du, daß es draußen bei uns in Leutasch auch so schlimm ist?«
»Nein.«
Der Sturmwind peitschte die Wasserfäden der Traufe bis auf die Schwelle der Hüttentür.
»Komm, Lo, wir müssen die Tür schließen. Dein Kleid wird naß.«
Sie schwieg und blieb auf der Schwelle stehen.
»Aber Lo, was hast du denn nur? Ach, du, wie deine Hand zittert! Lo?«
Ohne zu antworten, drückte sie den Knaben an sich. Plötzlich fuhr sie lauschend auf, sprang in den Regen hinaus und stammelte: »Sie kommen!«
Nun konnte auch Gustl das Klirren eines Bergstockes und eine vom Sturm verwehte Stimme hören.
Lo hatte einen klingenden Laut in die Nacht hinausgeschrien, und als zwei Stimmen Antwort gaben, rief sie: »Herr Fürst? Sind Sie es?«
»Ja, Fräulein!« Man hörte ein Lachen, das im Lärm des Regens unterging. »Ihre Hütte kommt uns gut in den Weg.«
Lo sprang in den Schutz des Daches zurück, schüttelte die Regentröpfen aus dem Haar und lächelte, als wäre alle Sorge der letzten Stunde von ihr abgefallen.
Man hörte die Schritte der beiden Männer, die den Zaun umgingen, und die Stimme des Jägers: » Da bin ich, Duhrlaucht, da! Zehn Schritt gradaus! Jetzt wieder links! Soooo, jetzt haben wir's gleich.«
Gustl erkannte die Stimme. »Lo! Das ist ja der Pepperl! Wer ist denn der andere?«
»Fürst Ettingen!« sagte sie und nahm den Knaben um den Hals.
»Der so lieb und gut vom Vater gesprochen hat?«
»Ja!«
»Gott sei Dank, daß der jetzt unterstehen kann bei uns!«
Ein Blitz durchleuchtete grell den Nebel, als die beiden Männer in den Garten traten. Die Helle blendete die Augen, und in der schwarzen Finsternis, die ihr folgte, verlor Ettingen den Weg und strauchelte die Rabatte eines Beetes. Aber da hatte schon eine Hand die seine gefaßt und zog ihn unter das vorspringende Dach.
»Ihre Hand, Fräulein, führt gut. Ich danke Ihnen. Schlimm wär's ja nicht geworden, ich wäre nur in Blumen gefallen.«
»Aber in nasse«, meinte sie heiter, »und ich glaube, Sie könnten schon zufrieden sein mit dem Wasser, das von Ihnen herunterläuft?«
»Das ist nur der Mantel!« Lachend befühlte Ettingen unter dem triefenden Loden seine Kleider. »Wirklich, unter dem Mantel bin ich leidlich trocken. Aber lange hätt es nicht mehr dauern dürfen. Dann wär's durchgegangen.«
»Ja, heut hätt's uns schiech derwischen können!« sagte Pepperl, während er sich schüttelte, daß die Tropfen wie Sprühregen um ihn herflogen. Er war weit übler weggekommen als Ettingen, denn er trug um die Schulter nur ein dünnes Radmäntelchen, mit dem er mehr die Büchse seines Jagdherrn als sich selber vor dem gießenden Regen geschützt hatte. »Teufi, Teufi, Teufi! Dös is aber schon 's reine Glück heut –« Ein krachender Donnerschlag erstickte, was Pepperl noch weiter sagte. Er stellte die Büchse an die Hüttenwand, half seinen Herrn aus dem klatschenden Loden wickeln und hängte die beiden Mäntel an das Efeuspalier, damit von dem Zeug die ärgste Nässe abtropfen konnte.
Ein rauschender Windstoß fegte unter das Dach herein und machte in der Hütte die Lampe flackern.
»So kommen Sie doch, ich bitte!« mahnte Lo, während sie die Tür geöffnet hielt. »Im Mantel muß Ihnen warm geworden sein. Kommen Sie! Und eine Tasse Tee darf ich Ihnen doch anbieten?«
»Ja, Fräulein! Und wenn Sie noch was dazu haben, nehm ich es auch. Ich habe heut eine leise Ahnung von dem, was man einen Wolfshunger nennt.« Er reichte ihr die Hand, mit frohen, glänzenden Augen, und trat in die Stube.
Groß war sie nicht, diese Stube im Sebenhäuschen. Aber gemütlich! In der einen Ecke stand das mit einer weißen Decke verhangene Bett, in der anderen ein alter Schlafdiwan, der schon zum Nachtlager für Gustl gerichtet war; darüber ein kleiner Wandschrank; und in der dritten Ecke der gemauerte Herd. Außer einer niederen Truhe und einem Rahmen für das Geschirr bestand die ganze übrige Einrichtung aus zwei