Atheistischer Glaube. Dr. Paul Schulz

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Atheistischer Glaube - Dr.  Paul Schulz Kleine philosophische Reihe

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falsch läuft.

      Viele Probleme unserer Gesellschaft werden also allein schon daran sichtbar, wie wenig es Eltern heute gelingt, ihre Kinder bestmöglich ins Leben zu führen. Zwar stehen nach der Geburt alle um den neuen Erdenbürger herum und sind begeistert, dass er da ist. Doch je älter die Kinder werden, desto stärker werden ihre Lebenschancen gerade auch von den Eltern verspielt. Sie unterdrücken deren eigene Willensentwicklung, statt sie immer besser zu qualifizieren. Sie verdrängen Probleme, statt sie gemeinsam zu lösen. Sie reglementieren engstirnig Lebenswünsche, statt sie orientierend zu coachen. Nicht einmal die Eltern selbst bilden die Lobby für das Eigenrecht und die Eigenfähigkeit ihrer eigenen heranwachsenden Kinder.

      Spätere Generationen werden sich darüber aufregen, dass in unserer so emanzipierten Gesellschaft das Recht und die Würde des Kindes und damit die Kinder selbst von den Erwachsenen derart missachtet wurden, sind doch die Kinder in unserer Welt der Erwachsenen am meisten schutz- und förderungsbedürftig. Aber Kinder werden in ihrem humanen Recht auf kindgemäße Partnerschaft und Mitverantwortung in unserer Gesellschaft nicht ernst genommen und in ihrer persönlichen Eigenentwicklung rechtlich, gerade auch verfassungsmäßig, nicht ausreichend geschützt und abgesichert.

      Als Beispiel für eingeschränkte Entwicklungsfähigkeit des Kindes können selbst Familien gelten, in denen die Eltern meinen, für ihr Kind positiv zu handeln. Positiv, indem sie ihm Zuwendung schenken nicht allein im notwendig Materiellen, sondern auch im menschlichen Miteinander. Diese Eltern werden unter Erklärungsdruck von Erziehungsproblemen mit Sicherheit sagen: Wir wollen doch nur das Beste für unser Kind.

      Kaum etwas aber ist auf die Eltern hin so verdächtig wie dieser Satz2. Denn auch die Rechtfertigungen in Familien mit äußerst negativem Konfliktstress für die Kinder enden fast immer mit den Erklärungsversuchen der Eltern: Wir wollten doch nur das Beste für unser Kind. In diesem Satz selbst, genauer, in dem Denken der Eltern, die diesen Satz sagen, könnte das Grundproblem elterlichen Fehlverhaltens liegen, der Grund für das Auseinanderdriften von Eltern und Kindern, denn:

      Was ist das Beste für das Kind? Wer bestimmt dieses Beste, setzt die Maßstäbe? Wirklich unkontrolliert die Eltern? Kann das Kind sein Bestes nur im Gehorsam gegenüber den Eltern finden? Wenn das Kind gegen die Eltern Widerstand leistet, verpasst es dann sein Bestes? Welches Mitsprache- und Einspruchsrecht aber hat das Kind selbst auf das hin, was sein Bestes sein soll?

      Es wäre völlig falsch, zu glauben, die totale Bindung an Vater und Mutter sei das beste und höchste Ziel der Eltern-Kind-Beziehung. Diese These hat die BIBEL den Menschen über Jahrtausende als göttliche Maxime eingehämmert mit dem 4. GEBOT ihrer ZEHN GEBOTE3: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass es dir wohlgehe und du lange lebest auf Erden. Ein gutes und langes Leben gilt daher den Kindern als Belohnung für ein auf die Eltern positiv bezogenes Leben. Derartige Sinngebung des Verhaltens wird hier ausschließlich von den Kindern gefordert, nicht von den Eltern. Vom Verhalten der Eltern auf das Kind hin wird kein Wort gesagt.

      Dieses Gebot haben seit je speziell die Väter für sich in Anspruch genommen und zu ihren Gunsten interpretiert. Denn solange das alte Patriarchatsprinzip galt, dass nämlich der Vater gleichsam der Stellvertreter Gottes in der Familie sei, war seine vorrangige Familienstellung damit eindeutig religiös legitimiert. Folglich genoss der Vater in der bürgerlich-christlichen Gesellschaft nahezu uneingeschränkte Autorität und Respekt.

      Diesem autoritären Vater waren die Kinder gleichsam als Ausdruck ihres »Verehrens« zu bedingungslosem Gehorsam verpflichtet. Entsprechend war ihre Erziehung und damit ihr Kindsein streng untertänig. Jegliche Erziehungsbildung unterstand dem Willen und der Macht des Vaters. Alle Rechte liefen einseitig zugunsten des Vaters. Der Vater verwirklichte sich selbst in seiner Autorität auf Kosten der Kinder.

      Das autoritäre Vaterideal hatte in unserer christlichen Kultur noch bis vor gut zwei Generationen volle Gültigkeit. Seine Legitimation (leider nicht überall seine eingeübte Praxis) ist erst in den letzten 50 Jahren in atemberaubender Geschwindigkeit zusammengebrochen. Durch den Verlust dieser Vaterlegitimation ist eine neue Gewichtung der Eltern-Kind-Beziehung entstanden, in der die Mutter eine zunehmend zentrale Bedeutung gewonnen hat.

      Besonders einsichtig schlüsselt diesen elementaren Umbruch immer noch Elisabeth Badinter auf mit ihrer soziokulturellen Untersuchung DIE MUTTERLIEBE4 . In ihr weist sie nach, dass die moderne Mutterrolle keine naturgegebene ist, sondern eine Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft Ende des 18. bis ins 19. Jahrhundert, also Produkt gesellschaftlich-kulturellen Wandels.

      In dessen Folge ist das Handeln der Eltern heute in neuartiger Form durch die wachsende Dominanz der Mutter bestimmt als ein Liebesüberdruck von den Eltern auf die Kinder. Vor allem Mütter lassen ihre Kinder überhaupt nicht mehr los, decken sie zu mit ihrer Überfürsorge, nehmen ihnen mit ihrer Anteilnahme nahezu jeden eigenen Spielraum, erleben in der Jugend ihrer Kinder ihre Jugend noch einmal nach oder besser, erleben sie da überhaupt voyeurhaft zum ersten Mal. Es gibt hundert Gründe einer in Besitz nehmenden Anteilnahme, denn schließlich will man doch nur das Beste für das Kind.

      Dies gilt auch, wenn Mütter diesem Mutterbild nur schwer oder gar nicht gerecht werden. Sie erfüllen dies Bild dann zwar nicht praktisch, aber sie haben jene Vorstellung so verinnerlicht, dass sie ständig Maß daran nehmen und sich damit ihr schlechtes Gewissen bilden, nicht so zu sein, wie sie meinen, sein zu müssen. Nicht selten bewirkt das schlechte Gewissen zumindest punktuell verstärkte Überliebe in Ersatzhandlungen, die demonstrieren sollen: Schaut her, so liebe ich mein Kind, ich bin eine tolle Mutter – bis hin zu einer besitzergreifenden Intensität, in der die Mutterliebe einem eher unreflektierten Kinderhass gleichkommt.

      In summa: Das Grundproblem der heranwachsenden Kinder liegt gar nicht in einzelnen Negativerfahrungen mit den Eltern. Diese verfliegen als Einzeleindrücke meist schnell. Das Grundproblem liegt vielmehr in den permanenten Auseinandersetzungen mit dem elterlichen Überdruck, sei es unter dem Autoritätsgehabe des Vaters oder unter dem Liebesüberschwang der Mutter, also in einer permanenten Bevormundung durch die jeweilige ungehemmt egoistische Vater- oder Mutterdominanz über das Heranwachsen und Leben des Kindes.

      Deren Zwänge verengen die Selbstentwicklung des Kindes und verfremden damit die Entfaltung des Selbst in unzulässiger Weise. Das Kind kommt dagegen mit seiner Meinungsfindung nicht zum Zuge, wird im Gegenüber zu den Eltern nicht in Selbstverantwortung gefordert, wird mangels partnerschaftlicher Dialoge in seiner eigenständigen Persönlichkeitsbildung unterdrückt.

      Das Festhalten an der uneingeschränkten Meinungshoheit innerhalb der Familie wird von den Eltern oft durchgehalten bis ins eigene hohe Alte und gegen die Kinder bis in deren Erwachsenenalter durchgesetzt. Hier liegt oft der letzte Grund für die vielen Spannungen zwischen den Generationen, im Klammern der Eltern, in der Egozentrizität der Vorgeborenen, in deren Unfähigkeit loszulassen.

      Wie war das doch mit dem Beispiel der Amseln? Sie gewährten ihren Jungen den größtmöglichen Schutz und alle Fürsorge, solange diese hilflos waren. Sie setzten sich voll ein und taten alles für die Nachwachsenden in der Zeit, in der sie aus sich heraus noch nicht fähig waren, selbstständig zu ein.

      Das Verhalten der Eltern änderte sich mit einem Schlag in dem Augenblick, als die Jungen flügge waren. Da ließen sie los, trennten sich! Sie setzten ihre Jungen in bedingungsloser Konsequenz frei – selbst unter dem Risiko des Verlustes. Gleichzeitig kehrten sie selbst zurück in ihr eigenes Leben. Richtig?

      Der Vergleich zum Menschen ist natürlich nur bedingt übertragbar. Die Natur ist viel härter als das Humanum, das selbst zwingende Konsequenzen immer noch abzufedern versucht. Denn selbstverständlich ist der Weg des menschlichen Heranwachsens viel komplexer. Allein der höhere Kulturbezug

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