Im Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman. Patricia Vandenberg
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»Leicht werden wir es nicht haben, Charly«, murmelte Fabian. »Ein Jahr kann zur Ewigkeit werden. Aber ein Hundejahr sind sieben Menschenjahre. Dann bist du schon ein alter Herr.«
Charly benahm sich durchaus nicht so. Er freute sich seiner Freiheit und sprang munter herum. Doch plötzlich blieb er stehen und gab leise Laute von sich.
Auch Henrike hatte es hinausgetrieben in die milde Spätsommernacht. Leise hatte sie sich aus dem Haus geschlichen. Bambi und Hannes schliefen fest. Sie hatte noch einmal in ihre Zimmer geschaut.
Verträumt ließ sie ihren Blick über den See schweifen. Bis zum anderen Ufer konnte man sehen, so klar war die Nacht. Sie wusste, dass der Sonnenwinkel und diese Landschaft ihr zum Schicksal geworden waren. Und wie sehr hatte sie sich dagegen gewehrt!
Diese Stille, diese Einsamkeit, das traute Rauschen der Bäume – ihre Jugend hatte doch nach ganz anderem gedürstet, nach Betriebsamkeit, Leben und Trubel. Und jetzt gab es nur Fabian für sie und den Sonnenwinkel.
Das leise Bellen des Hundes ließ sie zusammenschrecken. Rasch wandte sie sich zur Flucht, aber da stand Fabian Rückert schon neben ihr. Seine Hand umschloss fest ihre Schulter.
»Wir dürfen uns nicht treffen!«, stieß sie hervor.
»Ich weiß, Ricky«, erwiderte er leise, »wir müssen warten. Aber ich werde warten, und wenn ich wüsste, dass du es auch willst, wird es nicht so schwer für mich werden.«
Ein zitternder Seufzer entfloh ihren Lippen. »Ich will auch auf dich warten«, erwiderte sie bebend. »Und ich möchte das beste Abitur machen.« Ihre Stirn sank an seine Schulter, dann wich sie schnell zurück.
»Pass gut auf dein Herrchen auf, Charly«, flüsterte sie, »ich habe ihn nämlich sehr lieb.«
Dann lief sie davon, leicht, den Boden kaum berührend, und er schaute ihr brennend vor Sehnsucht nach, bis sie im Haus verschwunden war …
Charly schickte ihr einen klagenden Laut nach. Mit gesenktem Kopf trabte er neben Fabian heimwärts.
»Dir gefällt sie auch, nicht wahr, mein Guter?«, murmelte Fabian. Charly rieb seine Schnauze an seinem Knie.
»Weißt du was, wir werden Bambi einen von deinen Söhnen schenken. Natürlich den schönsten. Ricky wird verstehen, was ich damit sagen will.«
*
Hannes wollte am nächsten Morgen natürlich ganz genau wissen, wie alles gewesen sei und wie Dr. Rückert seinen Eltern gefallen habe.
Werner Auerbach meinte, dass sie mit einem solchen Lehrer sehr zufrieden sein könnten, und er hoffe, dass sie ihn nicht enttäuschen würden.
»Was heißt denn enttäuschen?«, murmelte Hannes beleidigt. »Entweder man kann’s, oder man kann’s nicht! Mit der englischen Rechtschreibung habe ich es nun mal nicht!«
In diesem Augenblick kam Bambi hereingestürzt. »Der schöne Hund ist da!«, jubelte sie, »er hat mir schon Pfötchen gegeben. Papi, schau ihn dir doch mal an. Er ist ja so brav. Und ganz allein. Können wir ihn nicht behalten?«
Charly war tatsächlich allein gekommen, aller Wahrscheinlichkeit auf Henrikes Fährte. Aber schon wurde er gerufen, und Bambi machte ein enttäuschtes Gesicht, als er auch folgsam zurücklief zu Rückerts Haus.
»Den siehst du ja noch öfter«, tröstete Hannes die kleine Schwester. »Er gehört doch unserm Lehrer.«
»Er hat mich so lieb angeguckt«, meinte Bambi. »Ich hätte gern mit ihm gespielt.«
»Dr. Rückert ist nett, er wird es dir schon erlauben«, versicherte Hannes. »Papi, hast du heute endlich mal Zeit, dass wir auf die Felsenburg gehen können? Jetzt sind wir schon eine ganze Woche hier, und wir haben sie noch immer nicht angeschaut.«
»Sie läuft uns nicht davon«, brummte Werner Auerbach, der schon wieder seine Berechnungen im Kopf hatte.
»Vielleicht zeigt Alexandra von Rieding sie uns«, meinte Hannes. »Sie hat gesagt, dass wir sie mal besuchen sollen.«
»Ihr könnt ja mal hingehen«, erwiderte sein Vater, schon wieder mit seinen Gedanken in höheren Regionen. »Aber fallt ihr nicht auf den Wecker, Herrschaften.«
Inge und Henrike waren in die Stadt gefahren, um die Vorräte aufzufüllen. Hannes und Bambi machten sich auf den Weg zum Herrenhaus, während sich Werner Auerbach wieder in sein Arbeitszimmer verzog.
Die beiden Kinder blieben auf halbem Weg stehen und blickten zum Sonnenwinkel zurück.
»Warum sind in den anderen Häusern keine Menschen?«, fragte Bambi ihren Bruder. »Warum bauen sie Häuser, wenn sie gar nicht darin wohnen?«
»Weiß ich’s?«, meinte Hannes schulterzuckend. »Sie sind nur zum Wochenende hier und vielleicht in den Ferien!«
»Hoffentlich kommen keine Leute her, die Kinder nicht leiden können«, fuhr sie nachdenklich fort.
»Das braucht uns nicht zu kümmern, Bambi. Wir haben doch einen großen Garten.«
Der Park, der das Herrenhaus umgab, war noch viel größer, und sie brauchten ziemlich lange, bis sie zum Haus gelangten.
Recht verlegen wurden sie, als anstelle von Alexandra deren Mutter aus der Tür trat.
»Ja, wen haben wir denn da?«, rief sie aus.
»Den Hannes und Bambi«, erwiderte die Kleine, da der Junge kein Wort herausbrachte.
»Es ist aber nett, dass ihr uns besucht«, sagte Marianne von Rieding herzlich.
»Alexandra von Rieding hat es gesagt«, stotterte Hannes.
»Ich bin ihre Mutter. Sandra, wir haben Besuch«, rief sie ins Haus.
Sandra kam die Treppe herab. Sie hatte ein Kopftuch umgebunden und sah aus, als hätte sie gerade Hausputz gehalten.
»Kommt doch erst mal herein«, sagte sie fröhlich. »Ich ziehe mich rasch um.«
»Wir wollten aber nicht stören. Wir können gleich wieder gehen«, meinte Hannes schüchtern.
»Das wäre ja noch schöner. Schaut euch das Haus inzwischen an. Ich bin gleich wieder da.«
Solch ein riesiges Haus hatten sie noch nicht von innen gesehen. Hannes kam es ein bisschen wie ein Museum vor, mit all den großen Bildern, den schweren Leuchtern und Skulpturen.
»Wohnen Sie hier ganz allein?«, fragte er Frau von Rieding. Sie nickte.
»Fürchten Sie sich nicht?«, murmelte er.
»Es ist alles ein wenig düster, aber das ändert sich noch«, erwiderte sie.
»Wir bewohnen ja auch nicht alle Räume, nur ein paar.«
»Und was machen Sie mit den anderen?«, fragte er weiter.