Karin Bucha Staffel 5 – Liebesroman. Karin Bucha
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Gleich darauf lacht er vor sich hin. Woher glaubt er das? Steht hinter ihr auch etwas, was er nicht enträtseln kann, wie bei Marion?
Ach, Marion! Wo bist du? Wo kann ich dich finden?
Schließlich verwirren sich seine Gedanken. Sein Schritt wird langsamer und langsamer. Sein Koffer ist nicht mehr federleicht, er drückt ihn zu Boden, als sei er mit Steinen bepackt.
Er fröstelt. Dann wieder treibt es ihm den Schweiß aus allen Poren.
Er lehnt sich gegen den Stamm einer Birke, schwer atmend, und fühlt dabei schmerzhafte Stiche in der Brust.
Der Wind fegt eisig durch die kahlen Äste. Er singt ein schauriges Lied. Seine Gedanken verwirren sich immer mehr. Er steht auf einem Neubau, er geht mit schnellen, beschwingten Schritten durch die geschaffenen Räume. Er hört das Hämmern und Klopfen. Auch das ist Musik für ihn. Er sieht grelles Licht und schließt die Augen.
Er hört einen Motor brummen, immer lauter, immer lauter. Er glaubt, es sei sein eigener Wagen. Er taumelt vorwärts, mitten hinein in den hellen Lichtschein und sinkt zusammen, er fällt in eine bodenlose Tiefe. Nichts ist mehr da, kein Schmerz, keine verwirrenden Gedanken. Alles ist weich und warm, und er schmiegt sich wie ein Kind in diese umhüllende Wärme…
*
Täglich sieht William Reincke die rotblonde Frau, zu der es ihn mit unwiderstehlicher Macht hinzieht. Mehrmals in der Woche treffen sie sich außerhalb.
Sie weiß längst, daß er sie liebt und begehrt. Und sie spielt mit ihm. Es ist das alte, prickelnde Spiel, wie die Katze mit der Maus. Sie ahnt nur nicht, wie gefährlich es ist, denn Frank Bendler beobachtet sie scharf.
Er kennt diese Zusammenkünfte, wenngleich sie tausend Ausreden erfindet, um ihn zu besänftigen.
Ob dieses neue Gefühl Liebe ist? Sie kennt sich selbst nicht mehr aus. Sie weiß nur, daß sie jedem Wiedersehen mit Reincke entgegenfiebert.
Immer noch ist es ihr gelungen, ihn in Schach zu halten, wenn es in seinen Augen zu flimmern beginnt, wenn seine Stimme dunkel vor Erregung wird und er den Blick ihrer Augen sucht.
»Eigentlich hatte ich vor, nicht zu kommen«, sagt sie. »Wer fährt schon bei solchem Wetter aus? Sie sind wahrhaftig ein Dickkopf.«
»Sie können mich auch einmal zu sich einladen«, gibt er lachend zurück, dabei schließt er mit einem Ruck die Tür und läßt den Wagen losbrausen. »Überhaupt –«, spricht er schnell weiter, »weiß ich sehr wenig von Ihnen. Sie weichen mir immer aus, wenn ich persönliche Dinge berühre. Dabei kennen wir uns doch schon ziemlich lange.«
Sie schweigt und blickt starr geradeaus.
»Beleidigt?« fragt er, da sie nicht antwortet.
»Was wollen Sie denn alles wissen?«
»Zum Beispiel, ob es schon einmal einen Mann in Ihrem Leben gegeben hat, der Ihnen so bedingungslos ergeben war, wie ich es bin.«
»Komisch seid ihr Männer«, spricht sie spöttisch. »Immer müßt ihr in der Vergangenheit einer Frau suchen. Warum nicht die Gegenwart genießen?«
»Ich suche nicht in Ihrer Vergangenheit«, wehrt er ernst ab. »Langsam komme ich mir wie ein Trottel vor. Ich gebe allen Ihren Wünschen nach, und Sie scheinen nicht zu wissen, daß ich Sie liebe.«
»Wieviel Frauen haben Sie das schon gesagt?« spöttelt sie, aber ihr ist, als würde eine Faust ihre Kehle umspannen.
»Ach, es sind schon einige.« Plötzlich verringert er das Tempo und wirft ihr einen ernsten, prüfenden Blick zu. »Aber bei keiner habe ich es so ernst gemeint wie bei Ihnen, Marion.«
»Danke schön«, sagt sie kurz und lehnt sich mit einem tiefen Atemzug bequemer zurück. »Und Sie meinen, ich müßte Sie nun auch lieben?«
»Ich wünsche es mir«, sagt er einfach. Sie zögert, dann legt sie ihre Hand auf seine Finger, die das Lenkrad umspannen.
»Lassen Sie mir etwas Zeit, William«, spricht sie leise. Sie ist ratlos, wie noch nie. Auf der einen Seite Frank Bendler, den sie braucht. Auf der anderen Seite der Mann, zu dem es sie hinzieht.
Sie kuschelt sich wie ein Kätzchen in das weiche Polster. Es ist doch schön, zu wissen, daß sie begehrt wird.
»Und was bedeutet Ihnen Frank Bendler?«
Diese Frage trifft sie ganz überraschend. Aber auch so rasch hat sie sich wieder gefaßt.
»Sie wissen doch, er ist Besitzer des ›Blauen Engels‹«, lügt sie ohne Bedenken. »Ich arbeite bei ihm, sonst nichts.«
»Er liebt Sie aber.«
Sie erschrickt vor seinem Blick, lacht aber im nächsten Augenblick leise auf. »Was Sie nicht alles wissen. Vielleicht liebt er mich, vielleicht auch nicht? Was stört es mich. Sollte ich jeden Mann erhören, der vorgibt, mich zu lieben?«
»Das haben Ihnen wohl schon viele gesagt?« setzt er sein Verhör fort. Langsam gewinnt sie Spaß daran.
»Ach, es sind schon einige«, wiederholt sie seine Worte, so daß er hell herauslachen muß.
»Sie sind nicht zu fassen, Marion.« Er sinnt hinter ihren Worten her. »Manchmal glaube ich, Sie könnten überhaupt nicht lieben.«
»Wollen wir nicht das Thema wechseln?« Sie sitzt ruckartig aufrecht. Ihr Mund ist zusammengepreßt.
»Gut, reden wir von etwas anderem«, gibt er bereitwillig nach. Aber ihre Worte lassen ihn innerlich los. »Wo wollen wir essen?«
»Führen Sie mich irgendwo hin. Sie wissen besser Bescheid als ich.«
Schweigsam fahren sie weiter. Vor einem guten Lokal außerhalb halten sie. Reincke stellt eine sorgfältig ausgewählte Mahlzeit zusammen. Sie sprechen von allen möglichen Dingen, nur nicht von dem, was sie beschäftigt. Es liegt wie geheime Spannung in der Luft, die Reincke durch allerlei Erzählungen und Scherze zu lösen versucht.
In der Dämmerung erst kehren sie zurück. Der Wind peitscht gegen die Scheiben. Leise brummend fegen die Scheibenwischer die Tropfen hinweg.
Im gleichmäßigen Tempo rollt der Wagen über die Landstraße. Im Scheinwerferlicht tauchen die im Winde und vom Regen gepeitschten Birken auf.
Sie huschen wie lange, gespenstische Schatten vorbei. Aus dem Dunkel der Bäume tritt eine Gestalt hervor. Auch sie wirkt gespenstisch, sie taumelt und torkelt direkt in den Lichtkegel hinein.
Bremsen quietschen. Augenblicklich steht der Wagen. Das volle Licht des Wagens ergießt sich über eine, auf dem Rücken liegende, zusammengekrümmte Männergestalt, unbarmherzig bescheint es ein schmales, tiefblasses, wie leblos wirkendes Gesicht.
Marion hat der Druck nach vorn geworfen. Sie klebt an der Windschutzscheibe, und was sie sieht, läßt ihr beinahe das Blut in den Adern erstarren. Es ist ein Männergesicht, das ihr einst sehr vertraut war; damals strotzend vor Gesundheit, jetzt ohne jede Farbe, der Mund verzerrt, vom Leid gezeichnet die Züge und fremd, erschreckend fremd.