Gesammelte Werke. Aristoteles
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Aristoteles страница 37
Da ferner das Tun vieldeutig ausgesagt wird, und eine Tödtung z. B. auch durch Unbeseeltes und durch die Hand und durch einen von seinem Herrn beauftragten Diener geschehen kann, so tun Diener, Hand und Seelenloses kein Unrecht, sondern blos was unrecht ist (und so tut auch der leidend das zuviel Empfangende kein Unrecht, wohl aber der Austeilende).
Ein Richter endlich, der unwissentlich ein Urteil gefällt hat, begeht kein gesetzliches Unrecht, und sein Urteil ist nicht ungerecht, wenn es auch so gut wie ungerecht ist – denn das gesetzliche (positive) Recht ist ein anderes als das erste, das natürliche Recht (worüber man nicht unwissend sein kann) –; hat er aber wissentlich ungerecht entschieden, (1137a) so teilt er sich auch selbst ein ungerechtes Mehr zu, sei es an Gunst bei der einen, sei es an Rache gegenüber der anderen Partei. Gerade so nun, wie wenn einer sich in ungerechtes Gut mit anderen teilte, hat der, der aus solchen Rücksichten einen ungerechten Spruch gefällt hat, zu viel. Denn auch wer in einem Prozesse über den Besitz eines Ackers (in gewinnsüchtiger Absicht) entschieden hat, bekommt nicht den Acker, sondern Geld.
Dreizehntes Kapitel.
Die Leute meinen nun, es stehe bei ihnen, Unrecht zu tun, und deshalb sei es auch leicht gerecht zu sein. Aber dem ist nicht so. Der Frau des Nachbars beiwohnen, seinen Nächsten schlagen, ihm mit der Hand das geschuldete Geld geben ist leicht und steht in des Menschen Gewalt, aber aus einem festen Habitus heraus so zu handeln, ist nicht leicht und steht nicht ohne weiteres in des Menschen Gewalt.
Desgleichen meint man, Recht und Unrecht zu kennen sei keine besondere Weisheit, da es nicht schwer sei, zu verstehen wovon die Gesetze reden. Aber das ist ja nur mitfolgend das Recht: Recht an sich ist was in konkret bestimmter Weise getan und zugeteilt wird. Und hier immer das Richtige heraus zu finden, erfordert mehr, als z. B. die medizinischen Heilmittel zu kennen. Denn auch hier ist es leicht, die Wirkung von Honig, Wein und Nießwurz, vom Brennen und Schneiden zu kennen; aber zu wissen, wie und bei wem und wann man alles dieses anwenden muß, damit es der Gesundheit diene, ist gerade so schwer, als Arzt zu sein.
Eben darum meint man auch, der Gerechte sei ebenso gut im Stande, Unrecht zu tun, weil der Gerechte ebenso gut, ja, noch besser, die einzelnen Handlungen der Ungerechtigkeit ausführen könne; ebenso gut könne er einem Weibe beiwohnen und Schläge austeilen, als der Mutige den Schild wegwerfen, dem Feinde den Rücken kehren und Hals über Kopf davon laufen könne. Aber feige sein und Unrecht tun heißt nicht eben Handlungen der Feigheit und Ungerechtigkeit begehen außer mitfolgend, sondern sie aus einem bestimmten Habitus heraus begehen, grade so wie Arztsein und Heilen nicht heißt schneiden oder nicht schneiden, Arzneien geben oder nicht geben, sondern es in konkret bestimmter Weise tun.
Das Recht hat seine Stelle unter Wesen, die an den Gütern schlechthin teilhaben und davon ein Zuviel und ein Zuwenig haben können. Es gibt Wesen, die kein Zuviel davon haben können, und dies sind vielleicht die Götter, und wieder Andere gibt es, unheilbar Schlechte, denen kein Teil davon frommt, sondern alles schadet, und endlich gibt es solche, denen sie innerhalb bestimmter Grenzen nützlich sind. Darum ist das Recht ein menschliches Ding.
Vierzehntes Kapitel.
Hiernächst ist von der Billigkeit (Epikie) und dem Billigen zu handeln und zu erklären, wie sich die Billigkeit zur Gerechtigkeit und das Billige zum Recht verhält. Denn bei näherer Betrachtung erscheinen beide weder als schlechthin einerlei, noch als der Gattung nach von einander verschieden; und einerseits loben wir das Billige und den billigen Mann in der Art, daß wir lobend diesen (1137b) Ausdruck statt gut auch auf anderes übertragen und zu verstehen geben, daß das Billigere das Bessere ist, anderseits erscheint es, wenn man sich an die Logik hält, als ungereimt, daß das Billige Lob verdienen und doch vom Recht verschieden sein soll137. Denn entweder ist das Recht nicht trefflich und gut, oder das Billige, wenn vom Recht verschieden, nicht gerecht, oder wenn beide trefflich und gut sind, sind sie einerlei.
Das ist es so ziemlich, weshalb sich für den Begriff der Billigkeit Schwierigkeiten ergeben. Allein alles ist in gewisser Weise richtig, und von einem verborgenen Widerspruch, den es etwa einschlösse, kann keine Rede sein. Einerseits nämlich ist das Billige, mit einem gewissen Recht verglichen, ein besseres Recht, anderseits ist es nicht in dem Sinne besser als das Recht, als wäre es eine andere Gattung. Recht und Billigkeit sind also einerlei, und obschon beide trefflich und gut sind, so ist doch die Billigkeit das Bessere. Die Schwierigkeit rührt nur daher, daß das Billige zwar ein Recht ist, aber nicht im Sinne des gesetzlichen Rechts, sondern als eine Korrektur desselben. Das hat darin seinen Grund, daß jedes Gesetz allgemein ist und bei manchen Dingen richtige Bestimmungen durch ein allgemeines Gesetz sich nicht geben lassen. Wo nun eine allgemeine Bestimmung zu treffen ist, ohne daß sie ganz richtig sein kann, da berücksichtigt das Gesetz die Mehrheit der Fälle, ohne über das diesem Verfahren anhaftende Gebrechen im unklaren zu sein. Nichts destoweniger ist dieses Verfahren richtig. Denn der Fehler liegt nicht an dem Gesetze noch an dem Gesetzgeber, sondern in der Natur der Sache. Denn im Gebiet des Handelns ist die ganze Materie von vornherein so (daß das gedachte Gebrechen nicht ausbleibt). Wenn demnach das Gesetz allgemein spricht, aber in concreto ein Fall eintritt, der in der allgemeinen Bestimmung nicht einbegriffen ist, so ist es, in Betracht daß der Gesetzgeber diesen Fall außer Acht läßt und, allgemein sprechend, gefehlt hat, richtig gehandelt, das Versäumte zu verbessern, wie es auch der Gesetzgeber selbst, wenn er den Fall vor sich hätte, tun, und wenn er ihn gewußt hätte, es im Gesetze bestimmt haben würde. Daher ist das Billige ein Recht und besser als ein gewisses Recht, aber nicht besser als das Recht schlechthin, sondern als jenes Recht, das, weil es keinen Unterschied kennt, mangelhaft ist. Und das ist die Natur des Billigen: es ist eine Korrektur des Gesetzes, da wo dasselbe wegen seiner allgemeinen Fassung mangelhaft bleibt. Dies ist auch die Ursache davon, daß nicht alles gesetzlich geregelt ist; denn über manche Dinge läßt sich kein Gesetz geben, so daß es hier eines Plebiscites bedarf. Das Unbestimmte hat ja auch ein unbestimmtes Richtmaß, ähnlich wie bei der lesbischen Bauart ein bleiernes Richtmaß zur Verwendung kommt. Denn wie dieses Richtmaß sich der Gestalt des Steines angleicht und nicht dieselbe Länge behält, so gleicht das Plebiscit sich den besonderen faktischen Verhältnissen an.
So ist denn klar, was das Billige ist, und daß es ein Recht ist, und besser als ein gewisses Recht. Hieraus sieht man aber auch, wer der Billige sei: wer solches Recht will, (1138a) wählt und übt, wer nicht das Recht zu Ungunsten Anderer auf die Spitze treibt, sondern vom Rechte, ob es ihm gleich beisteht, nachzulassen weiß, der ist billig und sein Habitus die Billigkeit, die eine Art Gerechtigkeit und kein von ihr verschiedener Habitus ist.
Fünfzehntes Kapitel.
Aus dem Gesagten erhellt nun auch, ob man sich selbst Unrecht tun kann oder nicht.
Recht in einem Sinne ist was vom Gesetze in Bezug auf jede einzelne Tugend geboten ist. Nun gebietet das Gesetz aber z. B. nicht, sich selbst zu tödten; was es aber nicht zu tödten gebietet, das zu tödten verbietet es.
Ferner, wenn man jemanden freiwillig wider das Gesetz schädigt, ohne damit eine erlittene Schädigung zu rächen, so tut man Unrecht. Freiwillig handelt aber wer da weiß, gegen wen die Handlung gerichtet