Mami Staffel 2 – Familienroman. Gisela Reutling

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Mami Staffel 2 – Familienroman - Gisela Reutling Mami Staffel

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von hier, der kennt mich gar nicht!« zischte Gritli erregt zurück. Aber Claras nahe Stimme hatte den Bann gebrochen und machte ihr Mut. Sie ging auf den Fremden zu.

      Der ließ den schweren Sack von seiner Schulter gleiten und breitete die Arme aus. »Gritli! Ich bin ’s. Dein Vater.«

      Clara schob ihr Strickzeug auf den Tisch und erhob sich langsam von der Bank. Mit offenem Mund beobachtete sie, wie die kleine Gritli nach sekundenlangem Zögern, aber unendlich langsam einen Schritt nach dem anderen vorwärts machte und sich dem Mann dann mit einem jähen Schrei, der alle Freuden der Welt verriet, an die breite Brust warf.

      Ihr Vater nahm sie auf die Arme. Er drehte sich mit ihr und küßte sie auf Stirn, auf Wangen und in die Halsbeuge. Und seine zärtlichen Worte klangen wie das Flüstern eines Schwerkranken, der sich nach endlosen Qualen von lähmenden Schmerzen befreit fühlt.

      Clara atmete tief durch, ein erhebendes Gefühl des Glücks durchzog sie. Thilo Heimhofer war zurückgekehrt! Von nun an würde die Großmutter zufriedener sein und ihrem Ältesten vielleicht sogar ein wenig Glück gönnen.

      *

      Eine halbe Stunde später konnte Gritli es immer noch nicht ganz fassen. Bevor sich der Fremde als ihr Vater zu erkennen gegeben hatte, hatte sie kaum noch geglaubt, daß er überhaupt existierte. Wie sollte sie auch? Onkel Sepp hatte ihn ganz selten erwähnt, und wenn die Großmutter von ihm sprach, klang das so furchtbar verzweifelt, daß sie sich lieber verdrückt hatte.

      Aber nun war er da. Thilo und die Großmutter hatten sich in den Armen gelegen, bis der Schnaps geholt wurde. Nach dem zweiten Gläschen war das Gesicht von Agnes rosig, und ihre Augen strahlten.

      Gritli wunderte sich, daß ihre Großmutter richtig lächeln konnte. Sie hatte es noch nie erlebt. Und weil Thilo sich nach jedem Schnäpschen komisch schüttelte, daß sie auch lachen mußte, gefiel er ihr immer besser. Als er dann noch Geschenke auspackte und ihr dabei eine Puppe in einem rosa Kleid und mit goldenen Locken zufiel, rutschte sie auf seinen Schoß und schlang die Arme um ihn.

      »Ob du eine Puppe magst?« zweifelte er verlegen. »Ich hätt’ dir lieber was zum Anziehen bringen sollen. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie groß du bist.«

      »Das macht doch nichts!« tröstete Gritli ihn und betrachtete die Puppe etwas hilflos. »Ich nenne sie Clara.«

      »Fällt dir kein anderer Name ein?« raunzte die Großmutter, strich dann aber selig über das farbige Umschlagtuch mit langen Fransen, wie es, so verriet Thilo, die mexikanischen Damen in Texas tragen. Sie legte es sich sofort um, obwohl sie gleich darauf den Teig für die guten Hefeküchlein zu mischen begann. Dann hieß es warten, bis die Hefe ihn wachsen ließ.

      Thilo Heimhofer schaute sein Gritli, die die Puppe immer noch fassungslos anstaunte, unentwegt an. Während er Großmutters Fragen beantwortete, lächelte sie ihm mehrmals zu, als sei er nie fortgewesen.

      »Du hast Onkel Sepp auch was mitgebracht… Papi?« füsterte sie plötzlich. Thilo sah zur Uhr.

      »Klar. Ein richtiges großes Geschenk. Aber wo bleibt er denn? So spät kam er doch nie von der Alm runter.«

      Sofort schlug die Stimmung um. Gritli hielt den Atem an, um sich ja nicht zu verplappern. Die Großmutter zog sich heftig das schöne Tuch von der Schulter. Nicht nur, weil die Hefeküchlein im heißen Fett aufspritzten, sondern weil die Wut auf Sepp ihr gehörig einheizte.

      »Ist nur gut, daß er nicht kommt«, murmelte sie. »Da kann ich noch was mit dir besprechen, Thilo.«

      Thilo ahnte nicht, um was es ging. »Schieß nur los, Mutter!« forderte er sie auf.

      Die Großmutter warf aber nur Gritli einen Blick zu, dann packte sie die Pfanne und ließ zwei der Hefeküchlein auf ihren Teller gleiten.

      »Iß und dann verschwindest in die Kammer. Spät genug ist es ja.«

      »Aber mein Papi ist doch gekommen!« widersprach Gritli.

      »Sie darf noch bleiben, bis ich auch gegessen hab’«, entschied Thilo.

      »Nein, das darf sie nicht. Sie gehört ins Bett. Morgen ist auch noch ein Tag. Was ich mit dir zu besprechen hab’ ist nichts für ihre Ohren.«

      Thilo beobachtete seine alte Mutter. Sehr viel Herzlichkeit hatte ihr noch kein Mensch entlocken können. Sie war immer eine starke Frau, aber nie eine zärtliche Mutter gewesen. Während seiner Abwesenheit war sie stark gealtert. Er wußte, daß ihre Strenge und Unduldsamkeit sich dadurch noch verstärkt hatten und fühlte sich elend vor Schuld.

      Ernst und still sah er zu, wie Gritli ihr Abendessen herunterschlang. Die Hefeküchlein waren ein Festmahl zu Ehren seiner Rückkehr. Nur, warum reagierte die Großmutter so heftig, wenn Gritli bat, noch ein wenig aufbleiben zu dürfen?

      Er sah sich um. Auf der Spüle stapelte sich das Geschirr des Tages. Auf einem Regal lagen die Kartons mit den Eiern bereit, die Sepp wohl immer noch auf dem Markt in Oberau verkaufte. Die Wände in der Küche waren nachgedunkelt, das Geschirr war schadhaft. Nichts vermochte die hier herrschende Armut zu verbergen.

      Da fühlte er Gritlis Hand in seiner. »Bringst mich nach oben, Papi?«

      »Ja, Gritli.«

      »Sie kann allein zu Bett gehen, Thilo«, mischte Agnes sich ein.

      »Heute nicht«, widersprach er kurz. Sein Blick ließ die Großmutter verstummen.

      »Du bleibst doch für immer?« fragte Gritli später, als ihr Vater immer noch an ihrem Bett saß. »Du gehst nimmer wieder fort, gelt?«

      Thilo zögerte. Sollte er lügen? Noch wußte er ja nicht, was seine Mutter mit ihm besprechen wollte. So oder so würde es zu Unstimmigkeiten kommen, weil er nicht gewillt war, hier oben für ein Taschengeld zu arbeiten. Denn mehr gab der Berghof nicht her.

      Verstohlen sah er sich um. In dieser ungemütlichen Kammer mit den zerschlissenen Gardinen hauste sein einziges Kind Gritli also seit fast sieben Jahren. Wer mochte ihr hier abends etwas erzählen und ihr die Augen zur Gute-Nacht mit einem zarten Kuß schließen? Wer konnte sich aber auch hier in dieser dürftigen Lieblosigkeit wohl fühlen? Nein, er wollte seinem einzigen Kind diese freudlose Umgebung keinen weiteren Monat zumuten.

      »Wenn ich gehe«, versprach er, »nehme ich dich mit.«

      »Wohin? Nach Amerika?«

      »Nein, mein Kleines.« Er legte die Hände um ihr Gesicht und kam ihr ganz nah. »Noch einmal will ich nicht so weit fort. Denn Großmutter und Sepp kann ich nicht ganz allein lassen. Sie brauchen meine Hilfe…«

      »Meine auch. Und du mußt Sepp auch helfen. Wegen Clara.«

      »Clara?« fragte er nichtsahnend. »Ist das die Touristin, die jetzt allein in Tante Theres’ Hütte wohnt?«

      »Ja, und sie ist ganz lieb, Papi.« Sie spürte die Wärme seiner Hände und genoß seine Nähe, so daß sie den Mut fand, ihrem Herzen Luft zu machen. Leise flüsternd erzählte sie ihm, wie sie am Kruzifix gebetet hatte, damit aus Onkel Sepp und Clara ein Paar wurde. Daß die beiden bis jetzt aber nur heimlich in der ersten Dämmerung des Morgengrauens zusammen auf die Alm gestiegen waren. Dabei könnte Clara sogar richtig stricken…

      »So«, schmunzelte Thilo. »Sogar stricken

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