Landpartie. Dietmar Grieser

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Landpartie - Dietmar Grieser

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und in ein Album eingeklebt wurden – es war ein in Zell am See erworbenes Prachtexemplar mit Birkenholzdeckel und alpinem Dekor. Meine Brüder Hans und Helmut in Freizeithemd und Badedreß, in ausgeborgten Bergstiefeln und Lederhosen, beim Wandern und Kraxeln, beim Posieren mit Einheimischen in Salzburger Tracht – und das alles selbstverständlich ohne mich.

      Selbstverständlich? Es hat lange Zeit gebraucht, bis ich das schwere Unrecht, das mir in jenem Sommer 1941 zugefügt worden war, verkraftet habe. Und ich denke, jeder auch nur mit einem Anflug von Sensibilität und Gerechtigkeitssinn ausgestattete Mensch wird mir nachfühlen können, daß ich von Zell am See partout nichts mehr hören möchte: So tief hatte sich dieses Trauma in mir festgesetzt. Das schöne Zell am See kann nichts dafür. Und dennoch: Auf meiner Landkarte wird es immer ein weißer Fleck bleiben. Oder genauer: ein dunkler Punkt.

       Trappe, Sessel, Ananas

      Ob mein frühverstorbener Vater jemals in seinem Leben in Wien gewesen ist, weiß ich nicht; die Mutter kam in den Jahrzehnten nach meiner 1957 erfolgten Übersiedlung jedenfalls mehrere Male zu ihrem Jüngsten auf Besuch. Ihrem Wesen nach überängstlich, fand sie sich in der Millionenstadt nur in meiner Begleitung zurecht; der Sommerfrische an der Hohen Wand und Kuraufenthalten in Baden gab sie eindeutig den Vorzug. Eigenartig verhielt es sich mit meinen beiden Brüdern, der eine zwei, der andere vier Jahre älter als ich. Hans, der Älteste, beließ es sein Leben lang bei der bloßen Absichtserklärung, mich in Wien zu besuchen, Helmut, dem ich besonders zugetan war, interessierte sich wiederum nur fürs Burgenland. Die Stadtrundfahrt durch Wien war für ihn nicht mehr als eine lästige Pflichtübung; umso eifriger holte er Informationen über den Neusiedler See ein – nicht rasch genug konnte er in den sogenannten Seewinkel gelangen, von dessen Naturwundern er in den ornithologischen Fachbüchern gelesen hatte, die so etwas wie sein Evangelium waren.

      Ich, der ich bloß anderthalb Autostunden von der betreffenden Region lebte, verfügte diesbezüglich nur über das Schulwissen, hatte mich nie für die Sümpfe und Schilfgürtel, für die Hutweiden und Salzlacken östlich des Neusiedler Sees interessiert; statt Überbleibsel uralter Ziehbrunnen aufzuspüren, schilfrohrgedeckte Keuschen zu bestaunen oder die der Speicherung und Trocknung von Kukuruzkolben dienenden, Tschardaken genannten Hütten im Bild festzuhalten, unternahm ich lieber Flugreisen in ferne Kontinente und ließ Österreichs jüngstes Bundesland lange Zeit links liegen.

      Jetzt also, an der Seite meines Bruders, konnte ich das Versäumte nachholen und schloß mich ihm an, jene Landschaft zu erkunden, die zwar auch zu dieser Zeit schon unter Naturschutz stand, doch erst dreißig Jahre später in den Rang eines Nationalparks erhoben wurde.

      Helmut, von Beruf Gartenarchitekt in der niederrheinischen Industriestadt Leverkusen, war ein leidenschaftlicher Vogelkundler. In seinem Haus, in dem ich wiederholt zu Gast war, wenn ich auf meinen Deutschlandreisen durch die betreffende Gegend kam, wimmelte es von gefiedertem Getier, die Volieren mit all den bezaubernden Exoten waren sein ganzer Stolz. Doch er begnügte sich nicht mit Käfighaltung und Aufzucht, sondern ging vor allem auch in die Natur hinaus, studierte Vorkommen, Verhalten und Verweildauer seiner Lieblinge vor Ort, führte über seine Entdeckungen, Beobachtungen und Zählungen präzise Aufzeichnungen, schrieb darüber sogar ein Buch. Als er 1974 zweiundvierzigjährig starb, war das Manuskript druckfertig; erst nach seinem Tod kam »Die Vogelwelt von Leverkusen«, Band 10 der Reihe »Beiträge zur Avifauna des Rheinlandes«, in den Fachhandel.

      Es war also klar, daß Helmuts Reise in den burgenländischen Seewinkel kein Allerweltsausflug, sondern eine profunde Studienfahrt werden würde – Birdwatching wissenschaftlich grundiert. Wohlvorbereitet traf er in Wien ein; ich als seine Begleitung konnte dabei nicht viel mehr als sein Handlanger sein, der sich um die Autobusverbindungen, um Verköstigung und Nachtquartier zu kümmern hatte.

      Am Zielort Illmitz angelangt, übernahm Helmut sofort die Führung, hielt sich nicht lange mit Spaziergängen durch das malerische Dorf auf, ignorierte meinen Vorschlag, doch auch durch einen der Weingärten zu wandern, interessierte sich weder für Steinzeit- noch für Römerfunde, drängte umso heftiger darauf, mit einem jener Kleinbauern aus der Gegend in Kontakt zu treten, von denen er gehört hatte, daß sie, Kenner der örtlichen Fauna, bereitstünden, ornithologisch Interessierte an jene über Österreich hinaus, ja europaweit einzigartigen Plätze zu führen, an denen Silberreiher und Seeadler, Rohrdommel und Weißstorch anzutreffen sind.

      Wir wurden rasch fündig: Helmut und ich bestiegen, nachdem das zu entrichtende Entgelt ausgehandelt war, einen jener mit Sitzbank ausgerüsteten Leiterwagen, die für »Vogeltouren« extra geräuscharm konstruiert waren. Statt auf groben Holzrädern über das Gelände zu rumpeln und die scheuen Tiere zu erschrecken, rollten wir auf sanftem Hartgummi durch die Steppe; weder Graugans noch Sandregenpfeifer nahmen von den Eindringlingen samt Pferdefuhrwerk Notiz.

      Mein Bruder war ganz in seinem Element: Alles, was er sehen wollte, bekam er zu sehen – und alles vollmundig kommentiert von unserem Bäuerlein auf dem Kutschbock. Immer wieder drehte sich dieser zu uns andächtig Lauschenden um, nannte, was da kreuchte und fleuchte, beim Namen, dozierte in seinem für unser Ohr nicht immer leichtverständlichen Dialekt über Flughöhe und Rastdauer des Bienenfressers, über Brüt- und Nistgewohnheiten des Löfflers, über Nahrungssuche und Feindabwehr bei Eisvogel und Kiebitz, über den Superstar Großtrappe und das grandiose Schauspiel seiner Balz.

      Plötzlich aber veränderte sich sein Ton. Es hatte damit begonnen, daß sich Helmut bei einer der vielen Erklärungen, die unser Führer abgab, zu einer kleinen Korrektur hinreißen ließ. War es ein falscher Name, der dem Mund unseres Gewährsmannes entschlüpft war, war es eine Ungenauigkeit in punkto Lockruf oder Flugverhalten – auf jeden Fall: Mein Bruder widersprach. Freundlich, doch bestimmt. Und als sich dieser Vorgang einige Male wiederholte, wurde es unserem Bäuerlein zu viel: Er verstummte. Mit der knurrigen Bemerkung »Ach, der Herr kennt sich wohl aus?« übergab er das Wort an den ihm fachlich überlegenen Gast und schwieg fortan wie ein Grab. War er in seinem Stolz verletzt? Fühlte er sich gar als Dilettant entlarvt? Mir war die Situation über alle Maßen peinlich, und ich war froh, daß das Unternehmen trotz des besserwisserischen Eingreifens meines Bruders doch noch zu einem guten Ende kam. Helmut war zu seinem Seewinkel-Erlebnis, ich zur Schließung einer meiner vielen Bildungslücken und unser Führer zu seiner Gage gekommen. Alles völlig artgerecht.

      Als ich in späteren Jahren häufiger in Österreichs südöstlichstes Bundesland kam, dank einiger enger Freundschaften sogar mit einer gewissen Regelmäßigkeit, erlebte ich das Burgenland nicht nur als facettenreiches Naturparadies und faszinierendes Völkergemisch, sondern vor allem als eine Art Schule der Unverblümtheit, der Urwüchsigkeit, der Einfachheit. Die gebürtige Parndorferin Maria A. war darin meine Lehrmeisterin.

      Maria, nur wenig älter als ich, hatte in jungen Jahren den Sprung nach Wien geschafft, war seither bei einer der großen internationalen Fluglinien für die Pressearbeit zuständig. Durch ihren Job kam sie viel in der Welt herum; auch in ihrer Freizeit nützte sie jede Gelegenheit, fremde Länder und Städte kennenzulernen; aus der verhuschten Landpomeranze mit starkem Bildungsdefizit war mit der Zeit eine polyglotte Person geworden, eine Frau von Welt. Doch im Gegensatz zu anderen ihres Schlages und ihrer Herkunft blieb sie auch als mondäne Aufsteigerin ihrer Geburtsheimat verbunden, schob zwischen ihren ständigen Fernflügen und Hotelaufenthalten regelmäßig Besuche in ihrem Elternhaus ein, obwohl die dort herrschenden Verhältnisse in krassem Gegensatz zu ihrem nunmehrigen Lebensstil standen.

      Die Eltern bewohnten eine Keusche im Ortszentrum von Parndorf; im angeschlossenen Gärtchen wuchs das Gemüse, das man für die kargen Mahlzeiten brauchte; das Fleisch, das höchstens zwei Mal pro Woche auf den Tisch kam, holte man sich vom Bauern, der Billigwein wurde mit Wasser aus dem Hausbrunnen »gestreckt«.

      Vater A., gelernter Sattler, brachte sich und seine Familie mit Gelegenheitsarbeiten

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