Landpartie. Dietmar Grieser
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Spiritus rector der Veranstaltung, die für den großen Freundes- und Bekanntenkreis der Zichys gedacht war, war die Frau des Hauses, Gräfin Madeleine. Die gebürtige Belgierin, die einen Posten bei der »Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung« (UNIDO) innehatte und dafür montags bis freitags in Wien weilte, hatte ein starkes Interesse für alles Künstlerische, während ihr Mann in Nikitsch verblieb und sich um die dortige Landwirtschaft kümmerte. Daß er dies im Alleingang tat, also ohne die Hilfe von Landarbeitern, versetzte mich in Staunen. Der rasante technische Fortschritt hatte zur Folge gehabt, daß auch in Feld und Stall die händische Arbeit mehr und mehr durch Maschinenkraft ersetzt worden war.
Journalistentreff am Neusiedler See: Barbara Coudenhove-Kalergi, Gertrude Obzyna, Jean Egon Kieffer und Dietmar Grieser bei den Dreharbeiten für den Film »Die Reise« (links im Bild Regisseur Anatole Litvak)
Hinter dem Projekt, Schloß Nikitsch für zwei Tage mit künstlerischen Aktivitäten »anzureichern«, stand die Absicht, die öffentliche Hand auf das hier schlummernde Potential aufmerksam zu machen und für Zuschüsse zur Restaurierung des durch Krieg und Nachkrieg stark in Mitleidenschaft gezogenen Anwesens zu gewinnen. Das Programm sah einen bunten Mix aus Musik, bildender Kunst und Literatur vor: Hans Hoffer, damals Assistent des Burgtheater-Bühnenbildners Lois Egg in dessen Meisterklasse an der Kunstakademie (und heute Chef des Reinhardt Seminars), stellte seine szenischen Entwürfe aus, der aus Deutschland stammende Fotokünstler Rolf Schäfer zeigte ein Best-of seiner brillanten Schwarzweiß-Porträts, die Sängerin Angèle Garabedian, eine in Paris lebende Exil-Armenierin, führte die Musikerriege an, mir fiel der literarische Teil zu.
Wenn ich mich richtig erinnere, wies das Programm keine Schwachstellen auf; auch das Büffet, zu dem die Gäste aus nah und fern geladen waren, ließ keinen Wunsch offen (wobei es zu jener Zeit noch nicht so üppig zuging wie bei vergleichbaren Events unserer Tage). Beim anschließenden gemütlichen Beisammensein lernte ich eine Menge interessanter Leute kennen, deren zum Teil »klingende« Namen ich noch heute in meinem Adreßbuch finde.
Von den anregenden Gesprächen, die ich mit den Teilnehmern führen konnte, ist mir eines ganz speziell in Erinnerung – und zwar deshalb, weil es mir in unübertrefflicher Weise die Augen öffnete für die Besonderheiten des Burgenlandes. Es ging um eine von der Österreichischen Post herausgegebene Briefmarke aus der Zeit nach 1921, als das Burgenland als jüngstes (und zweitkleinstes) Bundesland der Republik Österreich eingegliedert worden war. Die Post gab eine Markenserie in Auftrag, die in möglichst markanter Bildgestaltung die Eigenart der neun Bundesländer wiedergeben sollte: in der Mitte das jeweilige Landeswappen, in den vier Ecken das für die betreffende Region typische landwirtschaftliche Produkt.
Das mit der Erstellung der Entwürfe betraute Komitee einigte sich rasch: Niederösterreich würde mit einer Weintraube, die Steiermark mit einem Apfel charakterisiert werden. Nur mit dem »Frischling« Burgenland tat man sich schwer. Noch wußte man zu dieser Zeit wenig über Land und Leute der betreffenden Region. Man fragte also in der Eisenstädter Filiale der Postdirektion an, welche Obstsorte für das Burgenland typisch und somit briefmarkenwürdig sei. Die Antwort erfolgte prompt: die Ananas. Was im heutigen Österreich vor allem die ältere Generation noch weiß: Die vor allem auf den riesigen Erdbeerfeldern des Burgenlandes angebauten Zuchterdbeeren wurden zu jener Zeit allgemein Ananaserdbeeren genannt oder kurz Ananas. Unglücklicherweise hatte der in der Wiener Postdirektion für die Briefmarkenentwürfe zuständige Beamte von diesem Sprachgebrauch keine Ahnung, verwechselte also die »einheimische« Ananaserdbeere mit der exotischen Tropenfrucht Ananas, wählte aus dem ihm vorliegenden (oder vielleicht gar aus Südamerika herbeigeschafften) Bildmaterial die schönste Ananasfrucht aus, paßte sie in das Markendesign ein, beförderte den Entwurf zum Druck.
Die neue Briefmarkenserie wurde ausgeliefert, fand allgemein Gefallen, wanderte in den vielen hunderten Postämtern der Republik Österreich zu Tausenden und Abertausenden über den Schaltertisch. Nur im Burgenland löste das Produkt Entsetzen aus – und mußte stante pede gestoppt, eingezogen und eingestampft werden. Wer in der Generalpostdirektion in Wien dafür verantwortlich gewesen war, die österreichische Ananas mit der gleichnamigen Tropenfrucht zu verwechseln, läßt sich heute nicht mehr ermitteln. Aber was bei der peinlichen Angelegenheit ungleich mehr ins Gewicht fiel, war die dadurch erbrachte Bestätigung des alten, aber wohl doch nicht irrigen Vorurteils, in der Kommunikation zwischen den Bundesländern und der Bundeshauptstadt laufe so manches schief.
Nicht nur seiner urwüchsigen Gastronomie und seines überragenden Angebots an Freizeitattraktionen wegen ist das Burgenland ein allgemein geschätztes Ausflugsziel. Während die Freunde der leichten Muse allsommerlich zu den Operettenfestspielen nach Mörbisch und die Kaufwütigen zum Outlet-Center von Parndorf strömen, sind es in meinem Fall eine Reihe von Lebensfreundschaften, die mich immer wieder in Österreichs jüngstes Bundesland zogen: der im sogenannten Hoanzenland ansässige (und leider frühverstorbene) Filmregisseur Wolfgang Lesowsky, der mit Ephraim Kishon und mir eine Folge der legendären Fernsehreihe »Steckbrief« gedreht hat; der um meine schriftstellerischen Starterfolge hochverdiente Wiener Buchhändler Erich Horvath, der sich für seinen Lebensabend ins kroatische Zagersdorf zurückgezogen hat; der aus Oberwart stammende Politologe Norbert Leser, der mich wiederholt an seinen Zweitwohnsitz im Wallfahrtsort Loretto eingeladen hat; oder die Literaturwissenschaftlerin Ingrid Schramm, die Betreuerin meines von der Österreichischen Nationalbibliothek erworbenen Vorlasses, die an der Seite ihres Mannes, des Bundesheer-Brigadiers Alfred Nagl, in der Neusiedler-Ufergemeinde Weiden so manches rauschende Fest organisiert hat, dessen Besonderheit darin bestand, das bodenständig-ländliche Element mit dem großstädtisch-intellektuellen harmonisch zu durchmischen.
Ein eigenes Kapitel bildeten die Autorenlesungen, zu denen ich von Fall zu Fall ins Burgenland eingeladen wurde. Da die dortige Kulturszene an und für sich dazu neigte, unter sich zu bleiben, Seilschaften und Netzwerke zu bilden, die es dem Außenstehenden schwer machten, an ihrem Veranstaltungsbetrieb zu partizipieren, wußte ich es umso mehr zu schätzen, daß sich ab und zu auch mir und meinen Büchern ein Tor öffnete – etwa in Jennersdorf, wo das Zeichner-Genie Edi Sauerzopf jede meiner Lesungen dazu nützte, den befreundeten Autor in einer Fülle von Porträtskizzen festzuhalten; in Mattersburg, wo regelmäßig der hochverdiente ORF-Kulturredakteur Günter Unger mit Notizblock und Funkmikrofon zur Stelle war; oder in Pöttsching, wo ich neben meiner dortigen Stammklientel auch den Doyen der österreichischen Bildhauerzunft, den schon hochbetagten Karl Prantl, unter meinen Zuhörern hatte.
Weniger gut lief es mit manchen »offiziellen« Stellen. Nur ungern erinnere ich mich an jenen verunglückten Annäherungsversuch des Jahres 1995, als ich, unter dem Eindruck der Roma-Morde von Oberwart, dem hochsubventionierten Literaturhaus von Mattersburg meine Dienste anbot. Damals war gerade mein Buch »Wien – Wahlheimat der Genies« erschienen, mit dem ich den Versuch unternommen hatte, der im Lande grassierenden Fremdenfeindlichkeit an Hand historischer Berühmtheiten wie Beethoven und Hebbel, Leo Slezak und Raoul Aslan Beispiele hervorragend geglückter Integration gegenüberzustellen. Gerade im Burgenland, wo es kurz zuvor zu jenen Ausschreitungen gegen die ungeliebten Roma gekommen war, könnte, so glaubte ich, eine Veranstaltung zu diesem Thema von aufklärender, vielleicht sogar aufrüttelnder Wirkung sein. Doch das Literaturhaus Mattersburg wies die ausgestreckte Hand zurück. In totaler Unkenntnis meines Namens und meines über Monate alle österreichischen Bestsellerlisten anführenden Buchtitels sahen die Verantwortlichen keinen Anlaß, ihr »beinahe ein Jahr im voraus geplantes Programm«