Zum Kontinent des eisigen Südens. Erich von Drygalski
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Am 11. Dezember haben wir zum ersten Mal wieder gelotet, was bei den heftigen Bewegungen des Schiffes nicht leicht war. In Kapstadt hatten wir aber unsere Ausrüstung durch eine kleine Dampfmaschine ergänzt, die das Aufwinden des Drahtes wesentlich erleichterte; für das Heben von 100 m wurden von nun an gleichmäßig 46 bis 50 Sekunden gebraucht.
Wir fuhren in der Folgezeit meistens nur unter Segeln; doch Dampf war angestellt und wurde immer benutzt, wenn der Wind ungünstiger wurde, sodass wir andauernd schnelle Fahrt hatten. Den Kurs legte ich über die Crozetinseln nach den Kerguelen.
Das Wetter war anhaltend stürmisch, wenn auch vielfach die Sonne dabei schien. Die See war so unruhig, dass alle Arbeiten wesentlich erschwert wurden. Bei den magnetischen Beobachtungen sprang einmal durch das Schlingern des Schiffes die Nadel aus ihren Lagern heraus, und bei den Lotungen musste man sich mit Händen und Füßen halten, weil die Lotungsbrücke bisweilen fast bis ins Wasser tauchte. Das Schiff schöpfte von beiden Seiten und knietief schälte das Wasser auf Deck, mitunter auch bis in die inneren Räume des Schiffes hinein. Bei den Schöpf- und Temperaturserien band ich von nun an nie mehr als zwei Instrumente zugleich an den Draht, weil sie immer stark gefährdet waren.
Am 20. Dezember wurde im Bodenschlamm die erste Verbindung mit dem Eismeer verspürt; kantige Feldspatstücke darin deuteten auf einen Transport durch Eisberge hin. An diesem Tag hatten wir das seltene Schauspiel, eine Herde von etwa hundert Walen in unmittelbarer Nähe zu sehen. Sie spielten um das Schiff, sprangen im Wasser umher, legten sich auf den Rücken oder standen auch senkrecht, nur mit dem stumpfen Kopf oder mit dem Schwanz aus dem Wasser emportauchend. Sie hatten weiße Kehle und Bauch, eine scharfe Rückenflosse und dahinter einen länglichen weißen Fleck; auch weiße Streifen an der Seite wurden gesehen. Es waren alte und junge, die hier mit Sicherheit als Grindwale erkannt werden konnten.
Am Morgen des 21. Dezember wurde ich in aller Frühe gerufen, weil ein großer Dampfer auf uns zuhielt. Es war ein Schiff der White-Star-Linie aus Aberdeen. Er kam dicht an uns heran, brachte drei Hurras, wir hissten »Alles wohl an Bord« und hatten damit unsere letzte Begegnung mit der Kulturwelt gehabt. Am 21. haben wir Hagel gehabt und in der Nacht auf den 22. Schnee. Am 23. Dezember kam dichter Nebel auf.
In einem lichten Augenblick um die Mittagszeit des 24. Dezember war es dann, als plötzlich an Backbord ein großer Eisberg erschien und gleich darauf an Steuerbord noch ein zweiter. Diese ersten so weit nach Norden vorgeschobenen Boten der Antarktis erregten große Sensation.
So gab es am Weihnachtstag Aufregung genug. Nichtsdestoweniger feierten wir ein friedliches, schönes Fest. Bei rollendem Schiff wurden am Nachmittag ein künstlicher Baum geschmückt und die zahlreichen Geschenke aufgebaut, die uns von fern und nah zugeströmt waren. Um 4 Uhr wurden die Lichter angezündet und alle dazu gerufen, die an Deck irgendwie entbehrlich waren. Wir sangen »Stille Nacht, heilige Nacht« und gingen dann zur Bescherung. Jeder Mann erhielt Zigarren, Tabak, Pfefferkuchen und ein Liederbuch, das allen willkommen war; andere Geschenke wurden verlost. In späterer Abendstunde versammelten wir uns dann um eine Punschbowle, bei welcher eine vorzügliche Weihnachtszeitung große Freude erregte. Während das Nebelhorn oben ertönte, der Sturm wuchs und die im Dienst befindlichen Seeleute ab und zu liefen, erfreuten wir uns unten des heimischen Festes.
Lotung in schwerer See
(Quelle: Drygalski-Nachlass, Privatbesitz Mörder, Feldkirchen-Westenham)
Am Morgen des 25. Dezember wurde ich um 5 Uhr mit der Nachricht geweckt, dass die Inseln hervorkämen. Vor uns lag die Possessioninsel mit flach geneigten, breiteren Formen, die höheren Gipfel von Nebelwolken gekrönt, und rechts davon die Ostinsel als steiles Kastell aus dem Meer emporsteigend, oben gänzlich von Wolken bedeckt.
Die Küste selbst ist steil und in der Wasserlinie von tiefen Grotten durchbrochen, in welchen die Wogen branden und schäumen. Man erkennt in ihnen den Kampf der Wellen mit dem Land, wie sie dieses mit starker Kraft unterhöhlen, sodass die Steine von oben nachstürzen, die Felsen herunterbrechen und eine Steilküste entsteht.
Wir fuhren an der Südostküste entlang und spähten nach einer Landungsstelle aus; doch keine der Buchten schien dafür groß genug und geeignet zu sein. Ich beschloss, die Ausbootung zu versuchen, und es ging trotz stark bewegter See und schweren, böigen Windstößen wunderbar gut.
Am Ufer fanden wir ein paradiesisches Tieridyll vor. See-Elephanten lagen wie dicke Fettsäcke am Strand, mächtige Tiere, die bis 6 m lang werden können, mit stumpfer Schnauze.
Auf den Felsenstufen umher standen massenhaft Pinguine, von denen zwei Arten erkannt und gesammelt wurden, nämlich der Esels- und der Goldhaarpinguin.
Auf der Höhe der Stufe über der Bucht umschwirrten uns zahlreiche Enten, von denen mehrere erbeutet wurden, und viele Raubmöwen; auch ein Kormoran wurde zwischen den Pinguinen geschossen, und draußen bei der Fahrt längs der Küste waren wir von diesen Vögeln in großen Scharen umschwärmt. Am Ufer liefen die weißen Chionis, der Scheidenschnabel, ein Uferläufer umher, und ließen sich mit leichter Mühe erbeuten, während der Riesensturmvogel (Ossifraga gigantea), eine Mahlzeit erwartend, umherflog.
Wir nahmen von diesen Tieren, so viel wir brauchten, nämlich zwei Seeelephanten, den einen zur Nahrung und den anderen für die Sammlungen; auch acht lebende Pinguine wurden mit an Bord gebracht, welche bei dem Schwanken des Schiffes in komischer Weise allen Bewegungen folgten.
Dr. Werth gelang es, im Ganzen über 13 Arten höherer Pflanzen zu sammeln, wovon bisher nur sechs bekannt gewesen sind, da die Insel noch niemals von einer Expedition betreten worden war.
Bidlingmaier nahm mit Ott magnetische Messungen vor. Die absoluten Bestimmungen der magnetischen Elemente litten bei dem vulkanischen Charakter des Gesteins augenscheinlich unter starken örtlichen Störungen.
Philippi hatte den vulkanischen Kegel besucht und ein junges Alter dafür konstatiert. Werth botanisierte und Vanhöffen sammelte Insekten und Würmer, die er reichlich fand und unter denen eine flügellose Fliege sein besonderes Interesse erregte, deren Umtaufung in »Gehe« des Mangels an Flügeln wegen angeregt wurde.
Mittlerweile fuhr der »Gauß« vor der Küste hin und her; Nebel zogen hin und wieder, die ihn bald unseren Blicken entzogen, bald wieder zeigten; zweimal rauschten Regenböen herab; der Wind umbrauste das Schiff und auch uns oben auf dem Plateau. Wenn die Nebel sich zusammenzogen, hörten wir das Schiff mit der Dampfpfeife locken, ohne dem aber Folge geben zu können, weil die Arbeit noch nicht beendet war.
Zu allgemeiner Befriedigung waren wir gegen 7 Uhr abends auf dem Schiff zurück, reich an Beute und des Erlebten froh. Sofort wurde der Kurs dann ostwärts auf die Kerguelen gesetzt. Bald war das Land außer Sicht.
Wir zehrten von der Insel, aber auch im eigentlichen Sinn des Wortes, indem Enten, Kormorane, Seeelephanten Bestandteile unserer Mahlzeiten bildeten.
Auch die Pinguine mussten ihr Leben lassen und wurden mit Beifall verzehrt. Sie hatten viele Steine im Magen, die sie wohl zur besseren Verdauung aufnehmen.
Am 27. Dezember loteten wir trotz starken Rollens, aufteigender Nebel und Regenböen und erzielten dabei ein interessantes Ergebnis, nämlich die besonders niedrige Bodentemperatur von + 0,2° und eine große Tiefe von etwa 4890 m, wodurch die wichtige Frage nunmehr in positivem Sinn entschieden wurde, dass zwischen den Crozetinseln und Kerguelen eine tiefe Mulde liegt, welche den antarktischen Wassern und kalten Temperaturen den Zutritt zu den Tiefen der indischen