Der kleine Fürst Staffel 6 – Adelsroman. Viola Maybach
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der kleine Fürst Staffel 6 – Adelsroman - Viola Maybach страница 28
»Ich kann nicht lange bleiben, meine Frau wartet unten im Wagen – wir haben dir dein Auto hergebracht.« Er legte die Autoschlüssel von Albertinas verbeultem Kleinwagen auf den Tisch.
»Wieso ist deine Frau nicht mit raufgekommen?«
»Sie wollte nicht aufdringlich sein. Außerdem hat sie unseren Jüngsten dabei, den stillt sie gerade. Das ist schon in Ordnung so. Kommst du klar?«
»Gut, muss ich sagen. Der Fuß schmerzt kaum noch, ich kann nur immer noch nicht auftreten.«
»Dann lass dich krankschreiben«, riet Kurt. »Und melde es der Versicherung, das ist ja ein Arbeitsunfall gewesen. Ich habe schon mit unserem Neuen geredet und ihm ordentlich die Meinung gesagt. Er hat das gleich zugegeben mit der Holzbohle – wäre ja auch kein anderer so blöd gewesen, sie so hinzustellen.«
»Ich wollte eigentlich morgen kommen«, murmelte Albertina.
»Nur über meine Leiche«, erklärte Kurt kategorisch. »Tu, was dieser Notarzt dir gesagt hat – was sind schon drei Tage? Wenn danach das Schlimmste vorüber ist, bist du doch glimpflich davongekommen.«
»Aber wir haben so viel zu tun, Kurt! Und uns fehlen sowieso schon Leute! Wie wollt ihr das denn noch ausgleichen, wenn ich jetzt auch noch ausfalle?«
»Das lass mal schön unsere Sorge sein.« Kurt griff in eine Tasche, die er neben sich auf den Boden gestellt hatte. »Hier, ein bisschen Eintopf, damit du nicht kochen musst. Hat meine Frau gemacht, schmeckt echt lecker!«
»Kurt, das ist …«
Er hob abwehrend beide Hände. »Kannst dich bei Gelegenheit mal bei ihr bedanken, aber es war ihre eigene Idee. Sie meinte, ich sollte dich mitnehmen jetzt, aber ich habe ihr gesagt, dass ich dann schon Gewalt anwenden müsste, weil du auf keinen Fall freiwillig mitkämst.«
»Da hast du Recht«, bestätigte Albertina. »Danke für alles, Kurt. Grüß deine Frau von mir – und ich überlege mir das mit der Krankschreibung, jedenfalls für morgen.«
Er stand auf. »Ich bringe den Eintopf in die Küche«, sagte er. »Und morgen komme ich wieder vorbei.«
Als er zurückkehrte, sagte er: »Ist eigentlich eine schöne Wohnung, die du da hast – wenn du sie dir ein bisschen gemütlicher eingerichtet hättest, könnte man sich hier richtig wohlfühlen. Bis morgen dann, Albert. He, bleib bloß liegen, ich finde die Wohnungstür allein!«
»Danke, Kurt!«
Sie fühlte sich erschöpft, als er gegangen war. Erschöpft und seltsam gerührt. Sie kannte Kurt erst seit einem Jahr, dennoch fühlte er sich bereits für sie verantwortlich – und seine Frau gab ihm Eintopf für sie mit.
Plötzlich schossen ihr Tränen in die Augen, sie wusste selbst nicht, warum. Sie weinte selten, es gab auch nicht allzu viel Anlass dazu. Jetzt aber flossen die Tränen reichlich, und sie entdeckte erstaunt, wie gut es ihr tat, ihnen freien Lauf zu lassen.
*
Carl hatte in den Tagen nach dem Besuch bei seinen Eltern sehr viel zu tun, und so vergaß er Albertina von Braun erst einmal. Er verwaltete die Finanzen der Familie und benötigte dafür ein Büro mit mehreren Angestellten. Die Grafen zu Kallwitz hatten ihre Besitztümer und Firmenbeteiligungen weit verstreut, da war es nur gut, dass Carl eine Banklehre und später noch ein Betriebswirtschaftsstudium absolviert hatte.
Es war bereits Mittwoch, als ihm die junge Ingenieurin wieder einfiel, von der seine Eltern so begeis-tert gewesen waren. Hätte sich nur seine Mutter positiv über Albertina von Braun geäußert, wäre er vermutlich darüber hinweggegangen, denn bei ihr war der Wunsch nach einer Schwiegertochter und Enkelkindern mittlerweile so groß geworden, dass er ihr Urteilsvermögen gelegentlich trübte. Doch auch sein Vater war beeindruckt gewesen, und das hieß schon etwas.
Er betrachtete sinnend seinen Terminkalender und stellte fest, dass er am Donnerstag in seiner Mittagspause ganz gut einen Abstecher zur Baustelle machen konnte. Es würde nicht schwer sein, sich dort Zutritt zu verschaffen – er kannte einen Politiker, der den Bau der Brücke entschieden vorangetrieben hatte. Das entsprechende Telefonat erledigte er selbst und bat dabei, inkognito bleiben zu dürfen, wenn er sich umsah. »Rein privates Interesse«, beteuerte er, als der Politiker sich besorgt erkundigte, ob es Ungereimtheiten ge-
be, denen Carl nachzugehen wünsche.
Am Donnerstagmittag machte er sich rechtzeitig auf den Weg und traf an der Baustelle ein, als dort noch gearbeitet wurde. Das war ihm recht. Er bekam einen Helm und einen Besucherausweis, sowie einige Anweisungen, wo er sich aufhalten konnte und wo nicht. Dann durfte er herumlaufen, ohne eine Begleitperson neben sich.
Es war eine riesige Baustelle, und obwohl Albertina von Braun vermutlich die einzige Frau weit und breit war, hatte er Probleme, sie ausfindig zu machen, da Arbeitskleidung und Helme alle ähnlich aussehen ließen. Er fand sie durch Zufall: Sie rief einem Kollegen etwas zu, und ihre Stimme war unverkennbar weiblich. Breitbeinig stand sie neben einem blonden Riesen. Als sie ein paar Schritte ging, merkte er, dass sie ein wenig hinkte, als bereitete ihr das Laufen Probleme. Es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, wie sie mit seinen Eltern an einer elegant gedeckten Tafel saß und sich höflich mit ihren Tischnachbarn unterhielt.
Er hielt sich abseits, schlenderte ein bisschen herum, behielt Albertina aber im Auge. Als umwerfend attraktiv hatte seine Mutter sie geschildert – nun, das konnte er nicht beurteilen, er sah ja kaum etwas von ihr. Und dann hielt er plötzlich mitten in der Bewegung inne, denn Albertina hatte offenbar etwas entdeckt, was ihr missfiel. Sie brüllte ein paar Schimpfwörter, woraufhin mehrere Arbeiter eiligst herbeigelaufen kamen. Er sah, dass sie ihnen etwas zeigte, konnte aber nicht erkennen, worum es sich handelte. Wohl aber verstand er das Meiste von dem, was sie sagte, da sie nach wie vor sehr laut sprach. Je länger er ihr zuhörte, desto fassungsloser wurde er. Sie fluchte wie ein Fuhrknecht, ihre Ausdrucksweise war mehr als deutlich – und nun spuckte sie auch noch aus. Er verstand die Welt nicht mehr. Von dieser Frau hatte seine Mutter ihm etwas vorgeschwärmt? Wahrscheinlich hatte sie sich bei ihren Eltern zusammengerissen, aber hier, auf der Baustelle, zeigte sie ihr wahres Gesicht.
Halb verärgert, halb erleichtert stand er da und lauschte den Kraftausdrücken, mit denen Albertina von Braun um sich warf. Er hatte Zeit verschwendet, aber immerhin konnte er sie nun mit gu-tem Gewissen aus seinem Gedächtnis streichen, er brauchte wahrhaftig keinen weiteren Gedanken an sie zu verschwenden. Was er gesehen und vor allem gehört hatte, reichte ihm vollkommen. Albertina von Braun kam so wenig als seine Freundin oder Frau infrage wie alle anderen Kandidatinnen, die seine Mutter bisher für sich eingenommen hatte.
Nur eine Frage blieb: Wie war es möglich, dass nicht nur seine Mutter, sondern auch sein Vater sich von Albertina von Braun hatten täuschen lassen? Doch die Antwort auf diese Frage interessierte ihn nicht genug, ihm ihr nachzugehen. Er hatte wahrhaftig anderes zu tun.
*
»Wo kommt dieser Beton her?«, fragte Albertina wütend. Sie war seit Montag wieder auf der Baustelle, sie hatte es zu Hause nicht ausgehalten. Und natürlich war sie nicht, wie angeordnet, noch einmal im Krankenhaus gewesen, um sich ein zweites Mal untersuchen zu lassen. Kurts Vorhaltungen waren auf taube Ohren gestoßen, er hatte schließlich resigniert aufgegeben.
Es war auch einigermaßen gut gegangen, allerdings hatte sie abends wieder heftige Schmerzen im Fuß gehabt. Doch nachdem sie ihr Bein eine Zeit lang brav hoch gelagert hatte, ließen die Schmerzen nach.
Heute