Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus Cusanus

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Philosophische und theologische Schriften - Nicolaus Cusanus Kleine philosophische Reihe

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Geist begriffen: Die regional spezifischen Ontologien werden in ihrer funktionalen Relativität aufgedeckt und in der vernünftigen Reflexion aufgehoben (A und Non-A). Die Sinnlichkeit stellt keine Fragen, sondern kompiliert affirmativ, der Verstand fragt nach dem Unterschied und spezifiziert alternativ, die Vernunft fragt nach der Voraussetzung des Fragens selbst und koinzidiert reflexiv.

      Die zur Bestimmung der kategorialen Dimensionen des Geistes vorgenommenen Unterscheidungen zur Abgrenzung untereinander und zur Thematisierung von Reichweite und Grenze der jeweiligen Bereiche lassen sich nicht nur bezüglich dieser paradigmatischen und für den Verstand pragmatischen Spezifikationen mentaler Erkenntnisstufen ins Auge fassen, sondern geben auch einen Blick darauf frei, daß alle genannten Regionen des Geistes als dessen Perspektiven in Erscheinung treten und dabei außer dem jeweils eigenen Geltungsbereich auch transsumptiv Übergänge zu extern-relationalen Bereichen erschließen, die nur unter Verabsolutierung der jeweiligen Binnenperspektive den Bereichen der Andersheit unaufgeschlossen bleiben. Der Übergang an den Grenzen hingegen gestattet es, den Geist als das bewegende Element und Bindeglied zum Auf- und Abstieg innerhalb der konsequent entfalteten Dynamik des Denkvermögens selbst zu begreifen24. Hierbei steht die Leistung des Verstandes in der Mitte zwischen Sensualität und Intellectualität, da im Bereich der Rationaliät die eingeteilte Sinnlichkeit einerseits und die reflektierte Vernunft andererseits zum Zwecke der Diskursivität vermittelt sind. Der Verstand transzendiert die Sinnlichkeit, wie die Vernunft den Verstand transzendiert, woraus sich verschiedene Wahrheitsbestimmungen durch den lebendigen Geist treffen lassen.

      Sensualiter spectata sind alle der Sinnlichkeitsregion zugänglichen Dimensionen aufgrund ihrer erst noch zu erfolgenden Unterscheidungen quasi »wahr und wahr«, bzw. als solche konstatierbar, da alle Affektionen des Geistes von der Sensualität in identisch bejahender Qualität wahrgenommen werden; alles sinnlich Gewonnene gilt durch das Schema der Sensualität als gleichermaßen »wahr« für den Verstand. Auf dieser Stufe der sensualen Unterschiedslosigkeit findet keinerlei produktive Erkenntnis statt, da hier die bloß passive Rezeption (w/w) vonstatten geht. Ein Wahrheitswert auf dieser Stufe wäre bestimmbar als neutrale Beliebigkeit für die stets affirmative Rezeptivität. Rationaliter spectata sind jedoch alle dieser Region zugänglichen Dimensionen entweder »wahr oder falsch« (w/f) und damit alternativ konstatierbar, da alle Affektionen des Geistes von der Rationalität in bejahender oder verneinender Modalität beurteilt werden können. Auf dieser rationalen Stufe der Unterscheidung findet produktive Erkenntnis statt, da hier die Spezifikation argumentativ vonstatten geht. Ein Wahrheitsmodus auf dieser Stufe wäre als alternierende Wahrheit der Empirie oder als gesetzte Bipolarität durch schematisierte Differenz bestimmbar. Intellectualiter spectata sind jedoch alle der Region der Vernunft zugänglichen Dimensionen »wahr und falsch« (w + f) und damit koinzidentell konstatierbar, da alle Affektionen des Geistes von der Intellectualität in complikativ bejahender und verneinender Qualität wahrgenommen werden; alles vernünftig Gewonnene ist durch das Schema der Intellectualität sowohl wahr als auch falsch. Auf dieser Stufe des Zusammenfalls findet die höchstmögliche geistige Erkenntnis statt, da hier die coincidentia oppositorum inklusiv im Sinne eines Zusammenfalls als regula veri und nicht als contradictio falsi vonstatten geht. Ein Wahrheitsmodus in diesem Bereich der Vernunft wäre als reflektierte Philosophie bzw. als begriffene Einsicht in die Unzulänglichkeit der rationalen Insuffizienz bestimmbar. Das Resultat zeigt sich dann in einer negativen Erkenntnis durch positive Plausibilität. Nur in der grenzbegrifflich supra-intellectualen Perspektive (der visio dei) wären die Divergenzen innerhalb der geistigen Regionendynamik hinfällig oder bestenfalls als in diesen unbestimmbar bzw. als irreduzible Inkompatibilität gegenüber den geistigen Bewegungen insgesamt faßbar. An dieser Grenze, die Cusanus mit der Metapher der »Mauer des Paradieses« skizziert, berührt der Geist das Unberührbare unberührenderweise (»attingitur inattingibilis inattingibiliter«25), was von der spekulativen Perspektive jenseits der Grenze für den Geist nur als seine immerwährende Konjekturalität reflektiert werden kann, die in der intellectualen coincidentia oppositorum ihr Maximum an der Grenze zwischen mentaler und transmentaler Explikation erreicht.

      Wenn jedoch alle Perspektiven so zugeschnitten sein müssen, daß der Verstand, wenn auch in alteritate, als zentral für das Verstehen unumgänglich erscheint, läßt sich die Regionentheorie des Cusanus als Bewegung des Begriffs in der Bildung sowie in der Vermittlung des Individuellen und Allgemeinen dahingehend begreifen, daß in ihr nicht nur verschiedene Mikrokosmen zu Wort kommen, sondern daß zuvor noch der Kontext eine Erweiterung erfährt, die sich der Reflexion auf die jeweiligen Bedingungen verdankt. An Hegel erinnernd, zeigt sich in der Denkweise des Cusanus eine Bewegung des Begriffs, die sich in dynamischer und dialektischer Intention aus dem Denken selbst ergibt. Die Rationalität bezieht ihre Plausibilität aus den Axiomen der Logik, die Intellecualität bezieht ihre Plausibiliät aus der Beschränkung rationaler Bestimmungen, die trans-intellectuale visio dei erfährt ihre Perspektive aus dem Absoluten, das sich keiner – stets defizienten – Beschreibung unterziehen läßt. Bezüglich der Cusanischen Regionentheorie des Erkennens liegt ein durch regulative Ideen aufgehobener Prozeß des Geltungs- und Wahrheitsbereiches für alle Stufen des Geistes vor, weshalb dieser Prozeß sich auch als eine Bewegung des Begriffs in der Bildung zur Weisheit (sapientia) beschreiben läßt, die jeden erreichten Mikrokosmos zugunsten eines erweiterten Weltbildes verlassen kann, aber dabei nie zu einem sicheren und abschließbaren Ende (veritas), sondern wieder nur zu einem anderen Paradigma neuer aenigmata kommt.

      Die nicht artikulierbare Affirmation der sensatio verweilt in ihrem unreflektierten Status der Subjekt-Objekt-Dichotomie, ohne diese selbst erkennen zu können. Die artikulierbare Differenz der ratio verweilt in ihrem unreflektierten Status der Unterscheidungs-Dichotomie, ohne auf dieses Schema reflektieren zu können. Die nicht artikulierbare Oppositionskoinzidenz des intellectus als docta ignorantia verweilt in ihrem Abstand zur visio dei an deren Grenze – jeweils in alteritate – und begreift von dort aus das Sein als ein Eingeteilt-Sein für den Verstand. Daraus folgt für Cusanus eine funktional-ontologische Dynamik, die in direktem Zusammenhang mit der epistemologischen Dimension geistiger Bewegungen als endlicher Vernunft zu sehen ist. Endlich bleibt jeder Wahrheitsanspruch auf jeder Stufe der Erkenntnis und innerhalb von deren jeweils perspektivisch bedingtem Mikrokosmos, der sich zwar erweitern läßt, aber nicht zur Verabsolutierung der jeweilig internen Konjekturen führen kann. Einzig auf der transsumptiven Grenze sind qualitative Verschiebungen möglich, die zugleich den Geltungsbereich ihrer Herkunft – d. h. die Bedingungen der Erkenntnis in statu nascendi – reflektiert hinter sich lassen können. Sowohl im Ascensus als auch in Descensus erscheint der Geist als »mens« in seiner beweglichsten Form, aber eben auch nur als Form des Denkens überhaupt. Die sich dabei vollziehende Dialektik gibt sich jedoch weder als Idee noch als Form, noch als Methode zu verstehen, sondern als ein Prozeß, den das dynamische Denken selbst vollzieht, indem es die eigene Spekulation der Vernunft verstandesaffin artikuliert. Oder, mit Hegel gesprochen: »Die Spekulation versteht … den gesunden Menschenverstand wohl, aber der gesunde Menschenverstand nicht das Tun der Spekulation«26.

      Dieser Unterschied zwischen Verstand und Vernunft, zwischen empirischer Rationalität und reflektierter Spekulation findet sich bereits bei Cusanus als Dialektik angelegt, wenn die jeweils höhere Stufe des Geistes aus der jeweils niedrigeren Stufe hervorgeht. Es liegt somit auf der Hand, daß sich der Wahrheitsanspruch im Vollzug des geistigen Auf- und Abstiegs mit verändert, da via reflexionis auch die Fragestellungen (z. B. der rationalen Empirie gegenüber der Reflexion auf deren Bedingungen des Verstandes) nicht dieselben bleiben. Denn auf der Ebene der sensationes liegen keine Unterschiede vor, weshalb dieser Region alles als gleich wahr erscheint (w/w), da sich die Frage nach der Wahrheit hier noch nicht stellt. Auf der Ebene des Verstandes gelangt man via negationis zu entweder wahren oder falschen Urteilen (w/f) und damit auch zu einem rationalen Wahrheitsbegriff, der die Wahrheit in Form von logischer Richtigkeit zur Anwendung bringt. Die Frage nach dem Wahrheitsmodell des Verstandes stellt sich erst auf der Ebene der Vernunft, in welcher sich die Oppositionskoinzidenz auf der Basis der docta ignorantia begreifen läßt.

      Auf dieser Stufe der Reflexion wird die rational konstruierte Unterscheidung

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