Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus Cusanus
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Im Prozeß der Ent- grenzung des Be- grenzten vollzieht sich die philosophische Reflexion durch die Vernunft als die Andersheit des Verstandes. Auf endliche Weise wird die Erkenntnis des endlichen Geistes als ein »cognoscere … mensurare est« vorgestellt, wobei der Geist selbst als »mens« die Metapher für das angemessene (mens urable) Erkennen liefert11. Dem unendlichen Weltschöpfer aus göttlicher Sicht stellt Cusanus die ›Weisen der Welterzeugung‹ aus endlicher Perspektive zur Seite und erlaubt auch dabei eine Koinzidenz »in creando«12. Mit der Koinzidenz ist »das Eintreten des Unendlichen in unser Denken aufzufassen«, wie Kurt Flasch betont, »aber daraus folgt nicht, sie sei ein Privileg ›Gottes‹ – … sondern ein Prinzip universaler Dialektik.«13 Denn mit der Kunst der Erkenntnis (»ars coniecturalis«) wird eine perspektivisch variable und pragmatisch funktionale Ontologie der Plausibilität (als »esse respectu ad«) erzeugt, deren mensurable Anmessung sofort in dogmatische Anmaßung umkippen würde, sobald die Kreationen des endlichen Geistes aus ihrer ontologischen Relativität gerissen würden.
Dies gilt freilich auch für die Cusanische Regionentheorie des reflektierenden Geistes und seiner prozeduralen Erkenntnis selbst, deren interne Einteilungen symbolisch angesonnene »aenigmata« konjekturaler Herkunft als Funktionen innerhalb einer dynamischen Einheit darstellen und keinerlei ontologische Dignität aufweisen. Als gnoseologisch verstandene Regionentheorie erlaubt sie vielmehr selbst einen Transzensus in die »Idee des Koinzidierens« hinein, die Hegel als »den Gehalt der Philosophie« bezeichnet hat.14 In ihr kommt eine Einsicht zum Ausdruck, die sich als »docta ignorantia« ohne Doktrin, als belehrte Unwissenheit ohne dogmatische Standpunktanmaßung und als perspektivische Endlichkeit zu erkennen gibt. Als ihrerseits schematisches Symbol leistet die Regionentheorie des Cusanus einen Hinweis auf den transsumptiv-dialektischen Bildungsprozeß, in welchem die stets reversible Plausibilität pragmatischer Entwürfe für die Endlichkeit des menschlichen Wissens angemessener als die Anmaßung auf absolute Wahrheit erscheint.
In Dimensionen der Koinzidenz herrscht ein anderer Wahrheitsbegriff als im Bereich des Verstandes, weshalb eine Erkenntnistheorie des Rationalismus auch in seiner als ›kritisch‹ propagierten Version mit inkommensurablen Mitteln operiert. Die Substitution der Wahrheit oder die Aufhebung des metaphysischen Wahrheitsbegriffs durch den pragmatischen Relativismus einer reflektierten Plausibilität mag zwar zunächst anstößig für die wissenschaftliche Forschungslogik wirken. Sie stellt jedoch nur eine positive Bestimmung der belehrten Unwissenheit als Einsicht in die Unmöglichkeit letztbegründbarer Wahrheit dar, wenn im intellectualen Transcensus über die Ratio alles beweisbare Wissen aufhört und die Kunst des koinzidierenden Begreifens im Nichtwissen beginnt. Dann empfiehlt es sich, auch den Status der Wahrheit neu zu bestimmen und ihn als plausibles Kompliment an metaphorisch riskante Konjekturen anzupassen. Damit würde zumindest der dialektische Erkenntnisprozeß der Philosophie gegen die Attacken positivistischer und rationalistischer Korrespondenztheorien der Wahrheit geschützt. Denn die »coniectures« des reflektierenden Geistes können nur auf Zustimmung oder Ablehnung, auf Plausibilität oder Implausibilität, aber niemals auf »reputationes« durch eine Verstandeskritik via falsificationis stoßen. Falsifikationen bleiben intern-relationale Kalkulationsfehler der Ratio und finden keine externen Strukturen vor, an denen ein Scheitern auch nur möglich wäre. Vielmehr scheitern alle rationalen Kriterien am verstandesexternen Bereich der Vernunft, die durch solche Klassifikationsdifferenzen nicht tangiert wird.15 Dabei zeigt sich gerade am Beispiel von Klassifikationsaspekten die kategoriale Verfaßtheit von Einteilungen überhaupt, wozu freilich auch die Regionentheorie des Cusanus gerechnet werden muß. Denn in dieser drückt sich kein Sachverhalt einer subjektunabhängig gedachten Wirklichkeit (Ontologie) aus, es artikuliert sich darin vielmehr die Notwendigkeit perspektivischer Differenzierungen durch den Verstand, die es erlauben, ein Produkt der endlichen Konjektur als ein solches zu begreifen. Dann können via reflexionis auch Bereiche auf den Begriff gebracht werden, die sich rationis via nicht mehr verstehen lassen.
Hierzu gehören alle Metaphern, die als Grenzbegriffe elastisch genug sind, eine Brücke der Koinzidenz zu bauen, die nicht dem starren Flußbett diskursiver Buchstäblichkeit folgt, sondern dieses zu überqueren erlaubt. Insofern lassen sich perspektivisich als abstraktiv oder attentional bestimmt verschiedene Dimensionen eröffnen, welche die gewohnten Aspekte der Tradition aus ihrem dogmatischen Schlummer zu reißen vermögen.16 Was den Festlegungen und Begrenzungen des Verstandes und dessen Wahrheitsbild versagt bleibt, läßt sich durch plausible Metaphern und infinitesimale Grenzbegriffe mit dem Elan des Neuen beleben, indem das zunächst Unsagbare auf kreative Weise zu Wort kommen kann. Der Sprache als dem Ort entfremdend-versöhnender Vermittlungskoinzidenz und ihrer innovativen Aufhebungsbewegung wird solchermaßen eine dynamische Sprengkraft durch die »energeia« der vitalen Interpretation zugetraut, die auch den starrsten Bedeutungen ihr Ableben bescheinigen kann. Hierzu bedient sich der dynamische Geist in seiner Flexibilität und Vitalität keiner Subsumtion durch bestimmende Urteilskraft, sondern der Reflexion auf die Voraussetzungen und Bedingungen des Urteils selbst, wie es sich in statu nascendi durch reflektierende Urteilskraft generiert finden läßt.
Daß sich in einem solch prozessualen Innovationsbereich der kreativen Neubestimmung auf keine Kalkulation von Bestimmtheiten rekurrieren läßt, die aus gegebenen Prämissen deduzieren könnte, wird vielmehr dadurch deutlich, daß die Bewegung des Begriffs eine Elastizität erzeugt, innerhalb derer sich die Metaphernbildung als der Ursprung und die Quelle neu gewinnbarer Einsichten mit der Kraft des vollzogenen Urteils durchzusetzen vermag. Dialektik und Metapher bilden hierbei eine synthetisch gestiftete Einheit auf prozeduralem Wege, welcher von der Vernunft zunächst für den Verstand und dynamisch wieder zurück zur Vernunft beschritten wird. Grenzbegrifflich regelsprengend wird eine Innovation durch das Aufbrechen von Traditionen metaphorisch individuell artikuliert, angesonnen und prae- schematisiert, bevor die Resonanz der communis opinio darin ein allgemeines Paradigma17 akzeptiert und die Geburt des Begriffs aus dem Geist der Metapher sanktioniert. Doch selbst als translogisch und suprarational bestimmt, verweilt auch die Vernunft im Bereich der Endlichkeit, die das Unendliche nur wiederum in alteritate, also nicht begrifflich zu fassen vermag. Für die Region des »possest« oder des »non aliud« lassen sich zwar noch Metaphern für das Unbenennbare des Absoluten bilden, jedoch nunmehr auch trans-intellectual in der höchstmöglichen Grenzbegrifflichkeit selbst, die nicht einmal mit der »intuitio« oder der »visio« begriffen werden können. Es bleibt dabei eine Differenz von verschiedenen Seiten derselben Medaille, die das Sehen Gottes (visio dei) und Gottes Sehen (visio dei) zugleich thematisiert18.
Für die Wahrheitsfrage bei Cusanus von Interesse sind nicht nur die jeweiligen Inhalte seiner Regionentheorie, sondern die Grenzbereiche, an denen sich das eigentliche Koinzidenzgeschehen ins Verhältnis von Dialektik und Metapher setzt. Es wird damit eine Rationalität im Übergang skizziert, die ihren eigenen dynamischen Wahrheitsstatus stufenweise ein- und aufzulösen vermag und dabei dem Positivismus der Rationalität eine Alternative zur Seite stellt. Darin würde mit der translogisch-suprarationalen Dimension der Vernunft nicht nur auf die Bedingungen und Voraussetzungen der formalen Logik mitsamt ihrer Methode der Wissenschaft abgezielt, sondern über diese hinaus eine neue Wahrheitsdimension eigens erfunden. Denn gegenüber der rationalen Erkenntnistheorie zeichnet sich die Wahrheit bei Cusanus ebenfalls in alteritate aus, womit eine spekulative Plausibilität in Anerkennung endlicher Fertigkeit zum stets Unfertigen geltend gemacht werden kann. Nicht im sicheren Bereich der geschlossenen Semantik analytischer Urteile, die in tautologischem Wissen angesiedelt ist, verfährt die synthetische Wahrheit bei Cusanus, sondern im Bereich des reflektierten Nichtwissens, in dem die Philosophie als Reflexion perspektivischer Standpunkthaftigkeit und als konjekturale Erkenntnis erscheint.
Wie inmitten einer Wolke nur ein undurchdringlicher Nebel