Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus Cusanus
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Philosophische und theologische Schriften - Nicolaus Cusanus страница 11
deus (weder w noch f – bzw. w/w oder f/f)
intellectus (w und f)
ratio (w oder f)
sensatio (w und w)
Dem erkennenden Geist bleiben somit nur die beiden (›mittleren‹) Regionen des Mentalen auf den Stufen des Verstandes und der Vernunft zugänglich, wobei erstere im Bereich der (z. B. empirischen) Wissenschaft stattfindet, während letztere im Bereich der reflektierenden Philosophie anzutreffen ist. Die noch nicht eingeteilte und speziell für die Ratio spezifizierbare Sinnlichkeit regt den Verstand zu seinen Unterscheidungen an, woraus sich dessen Affektion durch die Sinnlichkeit ergibt, die rational zu ordnen Aufgabe für den hierfür zuständigen Verstand ist, während die Vernunft auf das Schema des Verstandes reflektiert und von der visio dei ihre Anregung zum Transscensus bezieht. Ascensiv stellen sich alle Regionen in grenzüberschreitend motivierter Aufhebung von defizienten Wahrheitsansprüchen vor, descensiv bieten alle Regionen an der jeweils unteren Grenze einen Sprung über deren jeweils höchste Form sowie zugleich über deren Defizienz auf. Dabei werden die Ebenen der sensatio und des deus als grenzbegriffliche Bereiche gedacht, die in der Reflexion auf die visio dei keinen Unterschied mehr aufweisen können.
Nur der analytisch artikulierte Verstand traut sich die Anmaßung zu, zwischen wahren und falschen Urteilen unterscheiden zu können, obwohl es ihm hierfür an der Kraft zur Bildung synthetischer Urteile (im Sinne Kants) mangelt. Die Vernunft hingegen kann den Wahrheitsbegriff des Verstandes als dogmatische Position begreifen, die nur ihre eigene Perspektive der Wahrheit kennt und diese Schablone (w /f) an alles heranträgt, was sie umgibt. Insofern wird die Vernunft zwar vom Verstand affiziert, findet jedoch in der Imagination einer visio dei die korrelative Funktion ihrer eigenen Vorgehensweise. Und solchermaßen sind alle Regionen aufeinander verwiesen, was sogar bezüglich der untersten und der obersten Stufe zu einer »Deckungsgleicheit« des Wahrheitsbegriffs (w/w) führt, während die espistemologische Schlacht auf dem Feld zwischen Verstand und Vernunft geschlagen wird. Und auch in den Resultaten finden sich ihre Unterschiede von der Art, daß die Vernunft zwar den Verstand begreift, der Verstand aber die Vernunft nicht versteht. Denn die Vernunft ist in der Lage, ihre Reflexion auf die dominante Relevanz plausibel etablierter Isolate und deren Differenzierungen zu richten, da sie sich an deren Herkunft aus ihr selbst zu erinnern vermag. Dem Verstand hingegen werden nur ontologisierte Substrate sichtbar, die er von okkulter Vernunft oder fremder Natur zu kennen glaubt, deren Autorschaft hingegen aus seinem Gedächtnis gewichen ist. Solchermaßen gelingt es, dem Verstand zur Vernunft zu verhelfen, ohne die Vernunft um den Verstand zu bringen.27
Analog zu den Ausführungen des Cusanus über das Verhältnis von Verstand und Vernunft, bei dem sich zeigt, daß die Vernunft als Reflexionsinstanz gegenüber dem Verstand fungiert, läßt sich auch später bei Kant zeigen, daß der Verstand mit einer Erkenntnisrestriktion ausgestattet ist, während die Vernunft über ihn hinaustreibt und dabei zwar keine konstitutive, aber eine regulative Funktion aufweist, wobei die Kritik (der reinen Vernunft – als genitivus subiectivus und als genitivus obiectivus zu lesen) als ein »Experiment« der Vernunft mit sich selbst aufgefaßt wird: Die »Vernunft« soll »selbst ihr eigener Schüler sein«28. In diesem Experiment wird die Vernunft als intellectuale Reflexionsstruktur der bloß empirischen Verstandeserkenntnis entgegengesetzt. Die Vernunft bezieht sich also nicht auf die möglichen Gegenstände der Erfahrung durch den Verstand, sondern auf dessen Leistungsfähigkeit, auf die sie reflektiert. Diese Differenzierung ist im Auge zu halten, wenn man die »Transzendentale Dialektik« der reinen Vernunft nicht unter dem Gesichtspunkt der verstandesmäßigen Erkenntniskonstitution, sondern der regulativen Ideen der Vernunft zu begreifen hat. Denn »der Verstand mag ein Vermögen der Einheit der Erscheinungen vermittelst der Regeln sein, so ist die Vernunft das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien. Sie geht also niemals zunächst auf Erfahrung, oder auf irgendeinen Gegenstand, sondern auf den Verstand, um den mannigfaltigen Erkenntnissen desselben Einheit a priori durch Begriffe zu geben, welche Vernunfteinheit heißen mag, und von ganz anderer Art ist, als sie von dem Verstande geleistet werden kann.«29 Dabei macht der Verstand für die Vernunft ebenso einen Gegenstand aus wie die Sinnlichkeit für den Verstand, woraus sich ergibt, daß die wissenschaftliche Rationalität in der klassischen Erkenntnistheorie einen völlig anderen Stellenwert verortet bekommt, als dies in der späteren Wissenschaftstheorie der Fall ist, in welcher dem Verstand Leistungen zugesprochen werden, die der Vernunft angehören, dabei aber nicht berücksichtigt werden. Empirismus (sensatio), Verstandesdenken (ratio) und Reflexion (intellectus) werden dabei in ein unheilvolles Durcheinander gebracht und weisen bei dieser Gelegenheit auch in ihren Resultaten die vielfältigen Verwirrungen auf, die bei hinreichender Differenzierung im Sinne Cusanus’ oder Kants entbehrlich wären. Dies läßt sich auch auf die Formel eines generellen Reflexionsverzicht in der modernen Wissenschaftstheorie des positivistischen Naturalismus bringen. Denn der Verstand und die Vernunft können zumindest bei Cusanus und Kant nach dieser Differenzierung nicht untereinander vermittelt gedacht werden. Durch ein dem Verstand selbst entsprechendes analysierend vorgehendes Aufdecken der Möglichkeitsbedingungen des analysierenden Denkens des Verstandes gilt es, die Grenzen des Verstandes zu limitieren und ihn innerhalb seiner Grenzen in seiner Möglichkeit zu begreifen. Seine Immanenz vor seiner Transzendenz zu schützen stellt eine der Hauptaufgaben kritischer Philosophie dar, die den regulativen Gebrauch der Vernunft vom diskursiven Gebrauch des Verstandes zu unterscheiden erlaubt. Demgegenüber macht Kant für die Vernunft geltend, »daß der größte und vielleicht einzige Nutzen der Philosophie der reinen Vernunft … wohl nur negativ« zu sehen ist, »da sie nämlich nicht, als Organon, zur Erweiterung, sondern, als Disziplin, zur Grenzbestimmung dient, und, anstatt Wahrheit zu entdecken, nur das stille Verdienst hat, Irrtümer zu verhüten«30. Mit diesem Verhüten von Irrtümern ist jedoch nicht gemeint, einen positivistischen Falsifikationismus zu betreiben, der selbst bereits an der Unmöglichkeit scheitert, Vorstellungen mit etwas anderem als wieder nur mit Vorstellungen zu vergleichen. Er setzt vielmehr eine Ontologie subjektunabhängiger Realität in Form von Dingen an sich voraus, wie sie nach dem aenigmatischen Denken des Cusanus und später nach Kant gerade nicht erkannt werden können. Diese Einsicht löst die philosophische Reflexion nicht auf, sondern spiegelt nur wider, daß Cusanus auch nach über 500 Jahren seine Aktualität nicht verloren hat.
Eberhard Döring
VORWORT DES ÜBERSETZERS
Seitdem ich das vorher entweder ganz unbekannte oder vielfach entstellte Leben und Wirken des deutschen Kardinals und Bischofs Nicolaus von Cusa nach sorgfältigem Sammeln der mir zugänglichen Quellen31 in einer Monographie (Der Kardinal und Bischof Nicolaus von Cusa, Mainz 1843) zunächst nach der Seite des kirchlichen Wirkens in einem Gesamtbilde zu zeichnen versucht, hat sich die Aufmerksamkeit auch auf dessen literarische Tätigkeit, namentlich auf das philosophisch-theologische System desselben, wovon ich die Grundzüge in der Tübinger theologischen Quartalschrift, Jahrg. 1837, 2. Heft niedergelegt hatte, in erhöhtem Grade hingewendet. Dr. Clemens, damals Privatdozent in Bonn, zeigte im Jahre 1847 in einer besonderen Schrift: Giordano Bruno und Nicolaus von Cusa das Verhältnis beider