Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus Cusanus
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Durch diese und unendlich viele ähnliche Beweise vom Standpunkte der Wissenschaft des Nichtwissens erhellt, daß das schlechthin Größte notwendig existiere, weshalb es die absolute Notwendigkeit ist.
SIEBENTES KAPITEL
Von der dreifachen und einen Ewigkeit
Es hat keine Nation gegeben, die nicht Gott verehrte und an ihn als das absolut Größte glaubte. Wir finden von Minar in den Büchern der Altertümer aufgezeichnet, daß die Sissenier hauptsächlich die Einheit angebetet. Pythagoras dagegen, zu seiner Zeit von unerschüttertem Ansehen, faßte jene Einheit als eine dreifache auf. Um die Wahrheit hiervon zu erforschen, müssen wir den Blick des Geistes erhöhen und nach unsern Prämissen sagen:
Was allem Anderssein vorhergeht, ist ohne Zweifel ewig; denn das Anderssein ist soviel als das Veränderlichsein. Das Anderssein besteht aber aus einem und einem andern, es ist daher, wie die Zahl, nach der Einheit; diese geht ihm naturgemäß (naturaliter) voran; sie ist somit ewig. Alle Ungleichheit ist aus einem Gleichen und etwas darüber (excedente), sie geht also der Gleichheit nach; denn sie kann durch Wegnehmen des darüber Hinausgehenden in Gleichheit verwandelt werden. Die Gleichheit geht also naturgemäß der Ungleichheit, die das Anderssein ist, vorher, sie ist also ewig.
Die Einheit endlich ist entweder Verbindung (connexio) oder Ursache der Verbindung. Verbunden ist, was zugleich geeint ist. Die Zweiheit dagegen (binarius) ist Trennung oder Ursache der Trennung. Wie nun die Einheit der Natur nach der Zweiheit vorhergeht, so auch die Verbindung der Trennung. Folglich ist die Verbindung, wie die Einheit, ewig.
Nun kann es aber nicht mehrere Ewigkeiten geben, sonst wäre etwas vor der Ewigkeit, was unmöglich ist. Auch würde sonst eines dem andern fehlen, und es wäre daher keine der drei Ewigkeiten vollkommen; es wäre etwas ewig, was nicht ewig wäre, da es nicht vollkommen ist. Folglich sind Einheit, Gleichheit und Verbindung Eines (unum). Das ist die Dreieinigkeit, welche Pythagoras, der erste unter allen Philosophen, die Zierde Italiens und Griechenlands, als Gegenstand der Anbetung lehrte.
Wir wollen jedoch noch einiges Bestimmtere über die Zeugung (generatione) der Gleichheit aus der Einheit beifügen.
ACHTES KAPITEL
Von der ewigen Zeugung
Zeigen wir nun ganz kurz, daß aus der Einheit die Gleichheit der Einheit erzeugt werde, und die Verbindung aus der Einheit und der Gleichheit der Einheit hervorgehe.
Die Einheit ist das Sein (unitas dicitur quasi onitas von ν = ens, woher entitas). Gott ist das Sein der Dinge, denn er ist das Prinzip des Seins. Die Gleichheit der Einheit ist daher die Gleichheit des Seins, d. i. daß in einem Dinge nicht mehr und nicht weniger ist, nichts darüber, nichts unter seinem Sein. Ist in einem Wesen mehr, so ist es ein Monstrum, ist weniger, so findet keine Zeugung der Gleichheit aus der Einheit statt. Denn Zeugung (generatio) ist Wiederholung der Einheit oder Vermehrung derselben Natur, wie z. B. der Sohn. Diese Zeugung findet sich nur im Irdischen, aber die Zeugung der Einheit aus der Einheit ist eine Wiederholung der Einheit (una unitatis repetitio) oder die Einheit einmal, wodurch die Einheit kein anderes, wie bei zwei, drei etc. erzeugt, sondern nur die Gleichheit der Einheit, was nichts anderes heißen will, als: Die Einheit erzeugt die Einheit, und diese Zeugung ist ewig.
NEUNTES KAPITEL
Von dem ewigen Hervorgehen der Verbindung
Wie die Zeugung der Einheit aus der Einheit eine einmalige Wiederholung der Einheit ist, so ist das Hervorgehen aus beiden die Einigung (unitio) der Widerholung jener Einheit, oder besser: die Einigung der Einheit und der Gleichheit der Einheit. Sie heißt ein Hervorgehen (processio), weil sie gleichsam eine Ausdehnung vom einen auf das andere ist. Wenn zwei Dinge gleich sind, so breitet sich gleichsam die Gleichheit von dem einen auf das andere aus, sie verbindet und verknüpft sie. Mit Recht sagt man daher, die Verbindung gehe aus der Einheit und Gleichheit der Einheit hervor, denn die Verbindung (connexio) bezieht sich nicht bloß auf eines, sondern die Einheit geht aus der Einheit in die Gleichheit und von der Gleichheit der Einheit in die Einigung (unitionem) hervor. Sie dehnt sich also von dem einen in das andere aus. Nicht von einem Gezeugt-werden aus der Einheit oder der Gleichheit der Einheit sprechen wir bei jener Verbindung, weil sie nicht aus der Einheit durch Wiederholung oder Vermehrung entsteht. Wiewohl die Gleichheit der Einheit aus der Einheit gezeugt wird und aus beidem die Verbindung hervorgeht, so ist doch Einheit, Gleichheit der Einheit und aus beiden hervorgehenden Verbindung eines und dasselbe, wie wenn man von demselben Gegenstande sagt: hoc, id, idem.
Wenn unsere Kirchenlehrer die Einheit den Vater, die Gleichheit den Sohn, die Verbindung den hl. Geist genannt haben, so haben sie hierbei auf die Ähnlichkeit mit irdischen Verhältnissen Rücksicht genommen. Denn in dem Vater und Sohne ist eine gewisse Gemeinsamkeit der Natur, welche Eine ist (quaedam communitas naturae, quae una est), so daß der Sohn dem Vater in der Natur gleich ist. Denn es ist nicht mehr oder weniger Menschheit in dem Sohne, als in dem Vater (nihil enim magis vel minus humanitatis est in filio, quam in patre), und es besteht unter ihnen eine gewisse Verbindung. Denn eine natürliche Liebe verbindet den einen mit dem andern, wegen der Ähnlichkeit (similitudinem) derselben Natur, die vom Vater auf den Sohn übergeht. Deshalb liebt er den Sohn mehr als einen andern, der mit ihm in der Menschheit übereinstimmt (secum in humanitate convenientem).
Dies ist meiner Ansicht nach, gemäß der pythagoreischen Forschung, die klarste Auffassung der Dreiheit in der Einheit und der Einheit in der Dreiheit.
ZEHNTES KAPITEL
Das Verständnis der Dreiheit in der Einheit geht über alle Begriffe
Untersuchen wir nun, was Martianus wollte, wenn er sagte, eine Philosophie, die sich zum Verständnisse dieser Dreieinigkeit erheben wolle, müsse zuvor Kreise und Sphären aufgegeben haben (evomuisse). Es ist oben gezeigt, daß es nur ein einfachstes Größtes gibt. Es ist nicht die vollkommenste körperliche Figur – die Kugel, nicht Kreis, nicht Dreieck, nicht Linie, sondern über alles dieses hinaus. Man muß daher, was Sinn, Einbildung oder Verstand darbietet, aufgeben, um zu der einfachsten und abstraktesten Vernunfteinsicht (intelligentia) zu gelangen: Alles ist Eines; die Linie ist Dreieck, Kreis und Kugel, die Einheit der Dreiheit usf., das Akzidens Substanz, der Körper Geist, die Bewegung Ruhe etc. Dann erkennen wir, daß Jegliches in dem Einen Eines ist und das Eine Alles und folgerichtig Jegliches in ihm Alles. Namentlich hat man nicht vollständig Kugel, Kreis etc. aufgegeben, solange man nicht zur Einsicht gelangt, die größte Einheit sei notwendig dreieinig. Die Einheit des vernünftigen Erkennens (intellectus) besteht in dem Erkennenden, dem Erkennbaren und dem Erkennen. Willst du dich nun von dem Erkennenden zum absolut Größten erheben und sagen, es sei das am meisten Erkennende, dabei aber nicht beifügen, es sei auch das am meisten Erkennbare und das höchste Erkennen, so hättest du keine rechte Auffassung der größten und vollkommensten Einheit.