Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus Cusanus

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Philosophische und theologische Schriften - Nicolaus Cusanus Kleine philosophische Reihe

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Einheit ist mithin alle drei zumal. Als Unteilbarkeit ist sie die Ewigkeit ohne Anfang, wie denn das Ewige von Nichts getrennt oder geschieden ist; als Unterscheidung ist sie aus der unveränderlichen Ewigkeit, als Verbindung geht sie aus beiden hervor. Folglich, indem ich sage: Die Einheit ist die größte, spreche ich damit die Trinität aus. Mit dem Worte: Einheit bezeichne ich den Anfang ohne Anfang (principium sine principio), mit dem Worte: »größte« den Anfang aus dem Anfange, mit der Kopula »ist« – das Hervorgehen aus beiden.

      Ich sagte oben, im Größten sei die Linie zugleich Oberfläche, Kreis und Kugel. Um nun deinen Geistesblick zu schärfen, will ich dich zu der Einsicht dieses Satzes erheben, die dir dann, wenn du dich von den (mathematischen) Figuren zur geistigen Wahrheit selbst erhebst, einen überaus großen Genuß gewähren wird, und du wirst auf diesem Wege in der Wissenschaft des Nichtwissens große Fortschritte machen.

      ELFTES KAPITEL

      Die Mathematik ist ein treffliches Hilfsmittel

      im Erfassen göttlicher Wahrheiten

      Alle unsere weisen und frommen Kirchenlehrer sagen einstimmig, die sichtbaren Dinge seien Abbilder der unsichtbaren Welt, der Schöpfer könne auf diesem Wege wie in einem Spiegel und Rätsel erkannt werden. Daß aber die geistigen, an sich von uns unerfaßbaren Dinge auf dem Wege des Symbols von uns erkannt werden, hat seinen Grund in dem oben Gesagten, weil alle Dinge in einem uns freilich unbekannten Verhältnis zu einander stehen, so daß aus allen das eine Universum sich herausstellt, und alles in dem einen Größten das Eine selbst ist. Und wiewohl jedes Abbild dem Urbilde ähnlich ist, so ist doch außer dem größten Abbilde, welches dasselbe, was das Urbild ist, in der Einheit der Natur kein Abbild so ähnlich oder auch gleich, daß es nicht unendlich ähnlicher oder gleicher sein könnte. Bedient sich nun unser Forschen des Abbildes, so darf natürlich hinsichtlich des Abbildes kein Zweifel obwalten, da der Weg zum Ungewissen nur durch das vorausgesetzte Gewisse geht. Nun bewegt sich aber alles Sinnliche wegen der in ihm überwiegenden materiellen Möglichkeit in einem gewissen beständigen Schwanken. Dagegen hat das Abstrakte (abstractiora istis), nicht als ob es der materiellen Zutat, ohne welche es sich nicht vorstellen läßt, ganz und gar entbehrte, große Festigkeit und Gewißheit, wohin die Sätze der Mathematik gehören. Daher haben die Philosophen in ihnen eine Anleitung zur philosophischen Forschung (exempla indagandarum rerum) gefunden; keiner von den berühmten Alten hat schwierige Untersuchungen anders als mittelst der Ähnlichkeiten, welche die Mathematik darbietet, angestellt. So lehrte Boëtius, der berühmte römische Gelehrte, niemand könne es in den göttlichen Dingen zu einer Wissenschaft bringen, der keine Übung in der Mathematik habe. Setzte nicht Pythagoras, der erste Philosoph dem Namen und der Tat nach, alle Untersuchung der Wahrheit in das Verständnis der Zahl? Ihm folgten die Platoniker und die ersten christlichen Philosophen in dem Grade, daß unser Augustin und nach ihm Boëtius behaupteten, die Zahl sei im Geiste des Schöpfers das Urbild der zu erschaffenden Dinge gewesen. Wie konnte uns Aristoteles, der durch Widerlegung seiner Vorgänger als einzig dastehen wollte, in der Mathematik anders die Differenz der Arten lehren, als indem er sie mit den Zahlen verglich? Indem er uns über die Gestalt der Naturwesen und wie eine in der andern enthalten ist, belehren wollte, nahm er zu den mathematischen Formen seine Zuflucht, wenn er sagte: Wie das Dreieck in dem Viereck, so ist das Niedere in dem Höheren enthalten, um nichts von unzähligen andern Vergleichungen zu sagen … Hat nicht die Lehre der Epikuräer von den Atomen und vom leeren Raume, eine Ansicht, die Gott leugnet und alle Wahrheit aufhebt, nur durch den mathematischen Beweis der Pythagoräer und Peripatetiker ihre Widerlegung gefunden, indem sie zeigten, man könne nicht auf unteilbare und einfache Atome kommen, die Epikur als Prinzip annahm? Auf diesem Wege der Alten also, mit ihnen vorgehend, sagen wir, daß wir uns, da man einmal zum Göttlichen nur mittelst der Symbole gelangen kann, der mathematischen Zeichen wegen ihrer unzerstörlichen Gewißheit am passendsten bedienen können.

      ZWÖLFTES KAPITEL

      Wie man sich der mathematischen Zeichen

      für den vorliegenden Zweck zu bedienen habe

      Da aus dem Früheren bekannt ist, daß das schlechthin Größte nicht zu dem gehört, was wir wissen oder erfassen, so muß man, wenn man es auf dem Wege des Symbols erforschen will, über die Ähnlichkeit hinausgehen (transilire). Da alle mathematischen Zeichen endlich sind, so muß man zuerst die mathematischen Figuren mit den Veränderungen, die sie zulassen (cum suis passionibus), als endliche betrachten, sodann die endlichen Verhältnisse entsprechend auf derlei unendliche Figuren übertragen, endlich diese Verhältnisse der unendlichen Figuren auf das schlechthin Unendliche, das von jeder Figur frei ist, übertragen. Dann wird unser Nichtwissen auf eine unbegreifliche Weise belehrt werden, wie wir, die wir in rätselhaftem Erkennen uns abmühen (nobis in aenigmate laborantibus), über das Höchste mit mehr Wahrheit urteilen können. So verglich der fromme Anselm die höchste Wahrheit mit der unendlichen Linie; nach seinem Vorgange bringe ich die Linie der Geradheit als gerade Linie in Anwendung. Andere haben die hochheilige Trinität mit einem Dreieck von drei gleichen Seiten und rechten Winkeln verglichen. Und weil ein solches Dreieck notwendig unendliche Seiten hat, so ist es ein unendliches Dreieck. Wir folgen auch dieser Auffassung. Wieder andere wollten die unendliche Einheit darstellen und nannten Gott den unendlichen Kreis. Diejenigen endlich, welche die höchste Wirksamkeit (actualitatem) Gottes darstellen wollten, bezeichneten Gott als die unendliche Kugel. Ich werde zeigen, daß sie alle zusammen eine richtige Auffassung Gottes gehabt und alle ein und dasselbe gedacht haben.

      DREIZEHNTES KAPITEL

      Von den möglichen Veränderungen (de passionibus)

      der größten und unendlichen Linie

      Ich sage also: Gäbe es eine unendliche Linie, so wäre sie ein Dreieck, Kreis und Kugel; ebenso, gäbe es eine unendliche Kugel, so wäre sie Dreieck, Kreis und Linie; das gleiche gilt vom unendlichen Dreieck und Kreise.

      Fürs erste erhellt, daß die unendliche Linie eine gerade ist. Denn der Durchmesser eines Kreises ist eine gerade Linie, die Peripherie eine krumme, größer als der Durchmesser. Wenn nun diese krumme Linie kleiner wird, je größer der Kreis ist, so ist die Peripherie des größtmöglichen Kreises gar nicht krumm, folglich ganz gerade; es koinzidiert also das Kleinste mit dem Größten, wie aus der hier stehenden Figur erhellt. Fürs zweite, um zu zeigen, daß die unendliche Linie das größte Dreieck, Kreis und Kugel sei, müssen wir sehen, was aus der endlichen Linie werden kann (quid sit in potentia liniae finitae); was sie werden kann, ist die unendliche Linie wirklich (actu). Erstens wissen wir, daß die endliche Linie länger und gerader sein kann, und es ist bereits gezeigt, daß die größte Linie die längste und geradeste ist. Zweitens, wenn die Linie a b um den festen Punkt a so herumbewegt wird, bis b zu c kommt, so entsteht ein Dreieck. Wird die Umdrehung vollendet, bis b zu seinem Anfange zurückkehrt, so entsteht ein Kreis. Wird endlich b zu seinem entgegengesetzten Punkte, d, gebracht, so entsteht ein Halbkreis; und wird nun dieser Halbkreis um den unbeweglichen Durchmesser b d herumbewegt, so entsteht die Kugel. In ihr gelangt die Potenz der Linie zur letzten und vollsten Entfaltung. Ist nun die unendliche Linie alles actu, was die endliche in der Potenz ist, so folgt, daß sie Dreieck, Kreis und Kugel zugleich ist, was zu beweisen war.

      Ich werde jedoch noch deutlicher im Folgenden zeigen, daß, was in der Potenz endlich, in Wirklichkeit unendlich ist.

      VIERZEHNTES KAPITEL

      Die unendliche Linie ist Dreieck

      Was

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