Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus Cusanus

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Philosophische und theologische Schriften - Nicolaus Cusanus Kleine philosophische Reihe

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das Gesagte auf die göttliche Vorsehung anwenden.

      Da gezeigt ist, daß Gott der Inbegriff (complicationem) von allem ist, auch von dem Entgegengesetzten (etiam contradictoriorum), so kann seiner Vorsehung nichts entgehen. Wir mögen etwas tun oder das Gegenteil hiervon, oder auch gar nichts, so war alles in dem Vorhersehen Gottes enthalten (totum in Dei providentia implicitum fuit). Nichts wird sich also ereignen, außer gemäß der göttlichen Vorsehung. Wenn man daher auch annehmen wollte34, Gott habe vieles vorhersehen können, was er nicht vorhersah und nicht vorhersehen wird, und wenn er auch vieles vorhergesehen hat, was er auch konnte nicht vorhersehen, so erleidet doch die göttliche Vorsehung keinen Zuwachs oder Verminderung, wie folgende Vergleichung zeigt. Die menschliche Natur ist Eines und einfach. Würde nun auch ein Mensch geboren, dessen Geburt man nie erwartete, so würde doch die menschliche Natur dadurch ebensowenig einen Zuwachs erhalten, als durch sein Nichtgeborenwerden einen Abgang erleiden, wie sie auch durch das Sterben der Geborenen keinen Abgang erleidet; denn die menschliche Natur faßt ebensowohl die in sich, welche existieren, als auch die, welche nicht existieren und auch nicht existieren werden, wiewohl sie hätten existieren können. Würde sich daher auch ereignen, was sich nie ereignen wird, für die göttliche Vorsehung wäre dies kein Zuwachs (nihil adderetur divinae providentiae), weil sie sowohl das umfaßt, was geschieht, als auch das, was nicht geschieht, aber geschehen kann. Denn gleichwie in der Materie vieles möglich ist, was nie geschehen wird, so ist im Gegenteile alles, was nicht geschieht, obgleich35 es geschehen kann, in der göttlichen Vorsehung nicht möglich, sondern wirklich (non possibiliter, sed actu), woraus nicht folgt, daß jenes (das Mögliche) auch wirklich eintrete. Wie die unendliche Einheit alle Zahl, so faßt die Vorsehung Gottes Unendliches in sich, sowohl was geschieht, als auch was nicht geschieht, aber geschehen kann, und das Gegenteil, wie die Gattung die entgegengesetzten Differenzen in sich faßt. Und was die göttliche Vorsehung weiß, weiß sie nicht mit einem Zeitunterschiede, denn sie weiß die Zukunft nicht als Zukunft, die Vergangenheit nicht als Vergangenheit, sondern ewig, das Veränderliche in unveränderlicher Weise. Daher ist sie unveränderlich und nichts kann ihr entgehen (inevitabilis), nichts ihr entweichen. Alles hat in Bezug auf sie Notwendigkeit (omnia ad ipsam providentiam relata necessitatem habere dicuntur), und zwar mit Recht, weil alles in Gott Gott ist, der die absolute Notwendigkeit ist. Hieraus erhellt, daß das, was sich nie ereignen wird, in der oben dargegebenen Weise in Gottes Vorsehung enthalten ist, auch wenn es nicht als künftig eintretend vorhergesehen ist. Gott muß notwendig vorausgesehen haben, was er vorausgesehen hat, weil seine Vorsehung notwendig und unveränderlich ist, wiewohl er auch das Gegenteil von dem vorhersehen konnte, was er vorhergesehen hat; denn mit dem Inbegriffe ist noch nicht der inbegriffene Gegenstand, wohl aber mit der Entwicklung der Inbegriff gesetzt (posita complicatione non ponitur res complicata, sed posita explicatione ponitur complicatio). Ich kann morgen lesen oder nicht lesen – was ich immer tue, ich entgehe der Vorsehung nicht, die das Entgegengesetzte umfaßt, weshalb, was ich immer tue, der göttlichen Vorsehung gemäß geschieht.

      So sehen wir, wie wir nach den Prämissen, die uns zeigen, daß das Größte allen Gegensätzen vorausgehe, weil es alles in sich faßt, über die göttliche Vorsehung und verwandte Gegenstände uns einen richtigen Begriff bilden können.

      DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

      Übertragung der unendlichen Kugel

      auf die alles wirkende Existenz Gottes

      Nun noch einige Betrachtungen über die unendliche Kugel!

      In der unendlichen Kugel sehen wir die drei größten Linien der Länge, Breite und Tiefe im Zentrum zusammenlaufen. Das Zentrum der größten Kugel ist aber gleich dem Durchmesser und der Peripherie; es ist folglich das Zentrum jenen drei Linien gleich, ja, das Zentrum ist sie alle: Länge, Breite und Tiefe. Im Größten sind daher alle Länge, Breite und Tiefe das eine einfachste und unteilbare Größte selbst. Und wie das Zentrum aller Breite, Länge und Tiefe vorhergeht, das Ende und die Mitte von ihnen ist (denn in der unendlichen Kugel sind Zentrum, Dichtigkeit und Peripherie ein und dasselbe), wie die unendliche Kugel ganz in actu und auf die einfachste Weise ist, so ist auch das Größte ganz in Wirklichkeit (in actu) auf die einfachste Weise. Wie die Kugel die volle Wirksamkeit der Linie, des Dreiecks und des Kreises ist, so ist das Größte die Wirksamkeit von allem (omnium actus). Jedes wirksame Sein hat also von ihm alle seine Wirksamkeit; jedes Sein existiert in Wirksamkeit insoweit, wie weit es in dem Unendlichen wirksam ist. Daher ist das Größte das bildende Prinzip von allem (forma formarum), das Prinzip des Seins (forma essendi) oder das höchste wirksame Sein (maxima actualis entitas). Sehr scharfsinnig sagt daher Parmenides, Gott sei es, für den jegliches Sein all das Sein ist, das es ist (Deum esse, cui esse quodlibet, quod est, est esse omne id, quod est). Wie die Kugel die höchst mögliche Vollendung der Figuren ist, so ist das Größte die vollkommenste Vollendung von allem, so daß alles Unvollkommene in ihm das Vollkommenste ist, wie die unendliche Linie Kugel und in ihr das Krumme gerade, das Zusammengesetzte einfach, das Verschiedene identisch, das Anderssein Einheit ist. Wie könnte dort eine Unvollkommenheit sein, wo die Unvollkommenheit die höchste Vollkommenheit, die Möglichkeit die unendliche Wirksamkeit ist etc.? Ist das Größte wie die größte Kugel, so ist es das einfachste, adäquateste Maß des ganzen Universums und aller Wesen im Universum, denn in ihm ist das Ganze nicht größer als der Teil, wie die Kugel nicht größer ist als die unendliche Linie. Gott ist daher der einzige einfachste rationelle Grund (ratio) des ganzen Universums, und wie aus unendlich vielen Umkreisen (circulationes) die Kugel entsteht, so ist Gott als die größte Kugel das einfachste Maß aller kreisförmigen Bewegungen, denn alle Belebung (vivificatio), Bewegung und Intelligenz ist aus ihm, in ihm und durch ihn, bei dem eine Kreisbewegung der achten Sphäre nicht kleiner ist als die der unendlichsten, weil er das Ziel aller Bewegung ist, in dem alle Bewegung als in ihrem Ziele zur Ruhe kommt. Es ist nämlich dasjenige die größte Ruhe, in dem alle Bewegung Ruhe ist. So ist denn die größte Ruhe das Maß aller Bewegung, wie das größte Gerade das Maß aller Umkreise, die größte Gegenwart oder die Ewigkeit das Maß aller Zeiten ist. Und weil Gott das Sein alles Seins ist und alle Bewegung sich auf das Sein bezieht, so ist er, das Ziel der Bewegung, auch die Ruhe der Bewegung, d. i. das Prinzip (forma) und die Wirksamkeit des Seins. Alles Seiende hat daher einen Zug zu ihm (ad ipsum tendunt). Weil es aber endlich ist und nicht auf gleiche Weise an ihm partizipieren kann, so partizipieren die einen Wesen an dem Ziele aller Dinge mittelst der andern, wie die Linie mittelst des Dreiecks und Kreises, das Dreieck mittelst des Kreises, der Kreis durch sich selbst zur Kugel wird.

      VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL

      Vom Namen Gottes und der affirmativen Theologie

      Nachdem wir nun mit Gottes Hilfe durch ein mathematisches Beispiel in unserem Nichtwissen über das erste Größte zu größerer Erkenntnis zu gelangen gestrebt, wollen wir zur Ergänzung unseres Wissens noch über den Namen des Größten eine Untersuchung anstellen, die, wenn wir das Bisherige festhalten, von keiner Schwierigkeit sein wird.

      Da das Größte das schlechthin Größte ist, das keinen Gegensatz hat, so ist klar, daß ihm eigentlich kein Name zukommen könne. Denn alle Namen entstehen aus einer gewissen singulären Verstandestätigkeit, durch welche eines vom andern unterschieden wird. Wo nun alles Eins ist, kann es keine besonderen Namen geben. Mit Recht sagt daher Hermes Trismegistus : Da Gott das All der Dinge ist (universitas rerum), so hat er keinen besondern Namen, denn man müßte entweder Gott mit jedem Namen, oder alles mit seinem Namen benennen, da er in seiner Einfachheit das All der Dinge in sich begreift, daher muß auch der Gott eigentlich zukommende Namen (jener von uns unaussprechliche Name, der τετϱαγϱάμματον ist oder aus vier Buchstaben besteht, und deshalb der eigentliche Name Gottes heißt, weil er ihm nicht infolge eines Verhältnisses zu den Kreaturen, sondern nach seiner eigentlichen Wesenheit zukommt) übersetzt werden: Einer und Alles (unus et omnia) oder besser: Alles in Einheit (omnia uniter). Und so hat sich uns ja oben die höchste Einheit,

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