Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus Cusanus
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VIERTES KAPITEL
Das Universum, das konkret Größte, ist nur ein Abbild des absolut Größten
Wenn wir das durch die Wissenschaft des Nichtwissens bisher Ermittelte weiter verfolgen, so werden sich uns aus dem Satze, daß alles das absolut Größte oder von demselben ist, über die Welt oder das Universum, das ich als das konkret (contractum) Größte betrachte, manche Aufschlüsse ergeben. Denn da dieses konkret Größte alles, was es ist, vom Absoluten hat, so ist es eine größtmögliche Nachahmung desselben. Wir sagen daher, daß, was sich uns im ersten Buche über das absolut Größte ergeben hat und diesem als Absolutem absolut zukommt, dem konkret Größten konkret zukomme. Wir wollen einiges zum Behufe des Verständnisses erläutern. Gott ist das absolut Größte, die absolute Einheit, die allen Unterschieden und Gegensätzen vorausgeht und sie einigt (wie z. B. das Kontradiktorische, von dem es keine Vermittlung gibt), die absolut das ist, was alles ist, in allem das absolute Prinzip und Ende der Dinge, das Sein, in dem alles ohne Vielheit das absolut Größte selbst ist, einfach unterschieden, wie die unendliche Linie alle Figuren in sich begreift. Auf ähnliche Weise ist die Welt oder das Universum das konkret Größte und Eine, den konkreten Gegensätzen vorausgehend; es ist in konkreter Weise das, was alles ist, das konkrete Prinzip und Ende in allem, konkretes Sein, konkrete Unendlichkeit; alles ist in ihm ohne Vielheit das konkret Größte selbst, in konkreter Einfachheit und Ununterschiedenheit, wie die konkret größte Linie alle Figuren konkret in sich begreift. Hält man den Begriff des Konkreten richtig fest, so ist alles klar. Es steigt nämlich die konkrete Unendlichkeit oder Einfachheit in unendlicher Weise, ohne Proportion aus dem Absoluten und einen herab. Daher ist die konkrete Einheit nicht ohne Vielheit, das Unendliche beschränkt, das Einfache zusammengesetzt, das Ewige ein Nacheinander, die Notwendigkeit durch die Möglichkeit beschränkt etc. Vieles läßt sich hieraus entwickeln. Wie Gott in seiner Unermeßlichkeit weder in der Sonne, noch im Monde ist, obwohl er in ihnen das, was sie sind, absolut ist, so ist auch das Universum weder in der Sonne, noch im Monde, es ist aber in ihnen das, was sie sind, in konkreter Weise. Und da das absolute Sein der Sonne nichts anderes ist als das absolute Sein des Mondes (weil es Gott selbst ist, der das absolute Sein und Wesen der Dinge ist), dagegen das konkrete Sein der Sonne ein anderes ist, als das des Mondes, so ist zwar nicht das absolute Sein einer Sache, wohl aber das konkrete die Sache selbst. Da demnach das konkrete Sein des Universums anders in der Sonne, anders im Monde ist, so besteht die Identität des Universums in Verschiedenheit, wie seine Einheit in Vielheit. Obwohl daher das Universum weder Sonne noch Mond ist, so ist es doch in der Sonne Sonne, im Monde Mond, es ist aber das, was Sonne und Mond ist, ohne Vielheit und Verschiedenheit. Universum bezeichnet die Universalität, d. i. die Einheit von vielem. Wie die Menschheit weder Sokrates, noch Plato, wohl aber im Sokrates Sokrates, im Plato Plato ist, so verhält sich das Universum zu allen Dingen. Da gesagt wurde, das Universum sei der konkrete Anfang von allem und insofern das Größte, so erhellt, daß das ganze Universum durch eine einfache Emanation des konkret Größten aus dem absolut Größten ins Dasein getreten ist. Alle Wesen, welche Bestandteile des Universums sind, ohne die es nicht eines, ganz und vollkommen sein könnte, sind zugleich mit dem Universum ins Dasein getreten, nicht zuerst die Intelligenz, dann die Seele, dann die Natur, wie Avicenna und andere Philosophen lehrten. Wie in der Intention des Künstlers vorher das Ganze, z. B. ein Haus ist, ehe er an die Teile, z. B. die Wände denkt, so sagen wir, daß, da alles nach der Intention Gottes ins Dasein getreten ist, zuerst das Universum und infolgedessen (et in eius consequentiam) alles, ohne was weder ein Universum, noch ein vollkommenes Universum sein kann, entstanden ist. Wie also das Abstrakte im Konkreten ist, so betrachten wir das absolut Größte im konkret Größten als das Erste (prioriter consideramus), das infolge dessen in allem partikularen Sein ist, weil es auf absolute Weise in dem ist, was alles in konkreter Weise ist. Gott ist nämlich das absolute Sein des Universums, dieses ist das konkrete Sein, das Konkrete bezieht sich auf das Einzelne, auf dies oder jenes. Es ist also Gott das eine, im einen Universum, das Universum aber in allem konkret. So begreifen wir, wie Gott mittels des Universums in allem und die Vielheit der Dinge mittelst des einen Universums in Gott ist.
FÜNFTES KAPITEL
Jegliches ist in Jeglichem
Wenn du das Bisherige wohl erwägst, so wirst du unschwer den Sinn jenes Satzes des Anaxagoras: »Jegliches ist in Jeglichem« erkennen, ja vielleicht noch tiefer erfassen, als Anaxagoras selbst. Denn da im ersten Buch gezeigt ist, Gott sei in dem Sinne in allem, daß alles in ihm ist, und da jetzt erwiesen ist, Gott sei mittelst des Universums in allem, so folgt, daß alles in allem und jegliches in jeglichem ist. Das Universum geht nämlich als das Vollkommenste naturgemäß (ordine naturae) allen Dingen vorher, damit jedes in jedem sein kann. So ist das Universum in jedem Geschöpfe dieses Geschöpf, und jegliches nimmt alles in sich auf, so daß dieses in ihm konkret existiert. Da jedes einzelne nicht in Wirklichkeit (actu) alles sein kann, weil es beschränkt ist, so schränkt es alles in sich ein, auf daß alles dieses Einzelne sei (cum quodlibet non possit esse actu omnia, cum sit contractum, contrahit omnia, ut sint ipsum). Ist folglich alles in allem, so scheint alles dem Einzelnen vorherzugehen. Alles ist somit nicht die Vielheit, weil die Vielheit nicht dem Einzelnen vorhergeht. Alles ist daher ohne Vielheit jeglichem naturgemäß vorhergegangen. In jeglichem ist daher nicht die Vielheit in Wirklichkeit (actu), sondern alles ist ohne