Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann - E. T. A. Hoffmann страница 167
Ich wußte, dachte ich daran, was auf dem Lustschlosse vorgegangen, Aureliens Äußerung nicht zu deuten. Der Arzt schien von dem, was der Fürst mit mir im Sinn hatte, unterrichtet, er gab mir dies nicht undeutlich zu verstehen, und mittelst seiner hellen Lebendigkeit, die alles um ihn her ergriff, gelang es ihm bald, mich aus der düstern Stimmung zu reißen, so daß unser Gespräch sich heiter wandte. Er beschrieb noch einmal, wie er Aurelien getroffen, die, dem Kinde gleich, das sich nicht vom schweren Traum erholen kann, mit halb geschlossenen, in Tränen lächelnden Augen auf dem Ruhbette, das Köpfchen in die Hand gestützt, gelegen und ihm ihre krankhafte Visionen geklagt habe. Er wiederholte ihre Worte, die durch leise Seufzer unterbrochene Stimme des schüchternen Mädchens nachahmend, und wußte, indem er manche ihrer Klagen neckisch genug stellte, das anmutige Bild durch einige kecke, ironische Lichtblicke so zu heben, daß es gar heiter und lebendig vor mir aufging. Dazu kam, daß er im Kontrast die gravitätische Fürstin hinstellte, welches mich nicht wenig ergötzte. “Haben Sie wohl gedacht”, fing er endlich an, “haben Sie wohl gedacht, als Sie in die Residenz einzogen, daß Ihnen so viel Wunderliches hier geschehen würde? Erst das tolle Mißverständnis, das Sie in die Hände des Kriminalgerichts brachte, und dann das wahrhaft beneidenswerte Glück, das Ihnen der fürstliche Freund bereitet!”
“Ich muß in der Tat gestehen, daß gleich anfangs der freundliche Empfang des Fürsten mir wohltat; doch fühle ich, wie sehr ich jetzt in seiner, in aller Achtung bei Hofe gestiegen bin, das habe ich gewiß meinem erlittenen Unrecht zu verdanken.”
“Nicht sowohl dem als einem ändern ganz kleinen Umstände, den Sie wohl erraten können.” “Keinesweges.” “Zwar nennt man Sie, weil Sie es so wollen, schlechtweg Herr Leonard, wie vorher, jeder weiß aber jetzt, daß Sie von Adel sind, da die Nachrichten, die man aus Posen erhalten hat, Ihre Angaben bestätigten.”
“Wie kann das aber auf den Fürsten, auf die Achtung, die ich im Zirkel des Hofes genieße, von Einfluß sein? Als mich der Fürst kennenlernte und mich einlud, im Zirkel des Hofes zu erscheinen, wandte ich ein, daß ich nur von bürgerlicher Abkunft sei, da sagte mir der Fürst, daß die Wissenschaft mich adle und fähig mache, in seiner Umgebung zu erscheinen.” “Er hält es wirklich so, kokettierend mit aufgeklärtem Sinn für Wissenschaft und Kunst. Sie werden im Zirkel des Hofes manchen bürgerlichen Gelehrten und Künstler bemerkt haben, aber die Feinfühlenden unter diesen, denen Leichtigkeit des innern Seins abgeht, die sich nicht in heitrer Ironie auf den hohen Standpunkt stellen können, der sie über das Ganze erhebt, sieht man nur selten, sie bleiben auch wohl ganz aus. Bei dem besten Willen, sich recht vorurteilsfrei zu zeigen, mischt sich in das Betragen des Adligen gegen den Bürger ein gewisses Etwas, das wie Herablassung, Duldung des eigentlich Unziemlichen aussieht; das leidet kein Mann, der im gerechten Stolz wohl fühlt, wie in adliger Gesellschaft oft nur er es ist, der sich herablassen und dulden muß das geistig Gemeine und Abgeschmackte. Sie sind selbst von Adel, Herr Leonard, aber, wie ich höre, ganz geistlich und wissenschaftlich erzogen. Daher mag es kommen, daß Sie der erste Adlige sind, an dem ich selbst im Zirkel des Hofes unter Adligen auch jetzt nichts Adliges, im schlimmen Sinn genommen, verspürt habe. Sie könnten glauben, ich spräche da als Bürgerlicher vorgefaßte Meinungen aus oder mir sei persönlich etwas begegnet, das ein Vorurteil erweckt habe, dem ist aber nicht so. Ich gehöre nun einmal zu einer der Klassen, die ausnahmsweise nicht bloß toleriert, sondern wirklich gehegt und gepflegt werden. Ärzte und Beichtväter sind regierende Herren – Herrscher über Leib und Seele, mithin allemal von gutem Adel. Sollten denn auch nicht Indigestion und ewige Verdammnis den Courfähigsten etwas weniges inkommodieren können? Von Beichtvätern gilt das aber nur bei den katholischen. Die protestantischen Prediger, wenigstens auf dem Lande, sind nur Hausoffizianten, die, nachdem sie der gnädigen Herrschaft das Gewissen gerührt, am untersten Ende des Tisches sich in Demut an Braten und Wein erlaben. Mag es schwer sein, ein eingewurzeltes Vorurteil abzulegen, aber es fehlt auch meistenteils an gutem Willen, da mancher Adliger ahnen mag, daß nur als solcher er eine Stellung im Leben behaupten könne, zu der ihm sonst nichts in der Welt ein Recht gibt. Der Ahnen-und Adelstolz ist in unserer alles immer mehr vergeistigenden Zeit eine höchst seltsame, beinahe lächerliche Erscheinung. – Vom Rittertum, von Krieg und Waffen ausgehend, bildet sich eine Kaste, die ausschließlich die ändern Stände schützt, und das subordinierte Verhältnis des Beschützten gegen den Schutzherrn erzeugt sich von selbst. Mag der Gelehrte seine Wissenschaft, der Künstler seine Kunst, der Handwerker, der Kaufmann sein Gewerbe rühmen, >siehe<, sagt der Ritter, >da kommt ein ungebärdiger Feind, dem ihr, des Krieges Unerfahrne, nicht zu widerstehen vermöget, aber ich Waffengeübter stelle mich mit meinem Schlachtschwert vor euch hin, und was mein Spiel, was meine Freude ist, rettet euer Leben, euer Hab und Gut<. – Doch immer mehr schwindet die rohe Gewalt von der Erde, immer mehr treibt und schafft der Geist, und immer mehr enthüllt sich seine alles überwältigende Kraft. Bald wird man gewahr, daß eine starke Faust, ein Harnisch, ein mächtig geschwungenes Schwert nicht hinreichen, das zu besiegen, was der Geist will; selbst Krieg und Waffenübung unterwerfen sich dem geistigen Prinzip der Zeit. Jeder wird immer mehr und mehr auf sich selbst gestellt, aus seinem innern geistigen Vermögen muß er das schöpfen, womit er, gibt der Staat ihm auch irgendeinen blendenden äußern Glanz, sich der Welt geltend machen muß. Auf das entgegengesetzte Prinzip stützt sich der aus dem Rittertum hervorgehende Ahnenstolz, der nur in dem Satz seinen Grund findet: Meine Voreltern waren Helden, also bin ich dito ein Held. Je höher das hinaufgeht, desto besser; denn kann man das leicht absehen, wo einem Großpapa der Heldensinn kommen und ihm der Adel verliehen worden, so traut man dem, wie allem Wunderbaren, das zu nahe liegt, nicht recht. Alles bezieht sich wieder auf Heldenmut und körperliche Kraft. Starke, robuste Eltern haben wenigstens in der Regel eben dergleichen Kinder, und ebenso vererbt sich kriegerischer Sinn und Mut. Die Ritterkaste rein zu erhalten, war daher wohl Erfordernis jener alten Ritterzeit und kein geringes Verdienst für ein altstämmiges Fräulein, einen Junker zu gebären, zu dem die arme bürgerliche Welt flehte: >Bitte, friß uns nicht, sondern schütze uns vor ändern Junkern<; mit dem geistigen Vermögen ist es nicht so. Sehr weise Väter erzielen oft dumme Söhnchen, und es möchte, eben weil die Zeit dem physischen Rittertum das psychische untergeschoben hat, rücksichts des Beweises angeerbten Adels ängstlicher sein, von Leibniz abzustammen als von Amadis von Gallien oder sonst einem uralten Ritter der Tafelrunde. In der einmal bestimmten Richtung schreitet der Geist der Zeit vorwärts, und die Lage des ahnenstolzen Adels verschlimmert sich merklich; daher denn auch wohl jenes taktlose, aus Anerkennung des Verdienstes und widerlicher Herablassung gemischte Benehmen gegen der Welt und dem Staat hoch geltende Bürgerliche das Erzeugnis eines dunkeln, verzagten Gefühls sein mag, in dem sie ahnen, daß vor den Augen der Weisen der veraltete Tand längst verjährter Zeit abfällt und die lächerliche Blöße sich ihnen frei darstellt. Dank sei es dem Himmel, viele Adlige, Männer und Frauen, erkennen den Geist der Zeit und schwingen sich auf im herrlichen Fluge zu der Lebenshöhe, die ihnen Wissenschaft und Kunst darbieten; diese werden die wahren Geisterbanner jenes Unholds sein.”
Des Leibarztes Gespräch hatte mich in ein fremdes Gebiet geführt. Niemals war es mir eingefallen, über den Adel und über sein Verhältnis zum Bürger zu reflektieren. Wohl mochte der Leibarzt nicht ahnen, daß ich ehedem eben zu der zweiten Klasse gehört hatte, die nach seiner Behauptung der Stolz des Adels nicht trifft. – War ich denn nicht in den vornehmsten adeligen Häusern zu B. der hochgeachtete, hochverehrte Beichtiger? – Weiter nachsinnend, erkannte ich, wie ich selbst aufs neue mein Schicksal verschlungen hatte, indem aus dem Namen Kwiecziczewo, den ich jener alten Dame bei