Wand in Bewegung setzte, die ein Feld des Tafelwerks, womit die Wand bekleidet, auseinanderschob. Nun gedachte ich lebhaft jenes Augenblicks meiner Kinderjahre, meine Mutter stand wieder vor mir, ich vergoß heiße Tränen, aber nicht wegwenden konnte ich den Blick von dem fremden, herrlichen Mann, der mich mit lebendig strahlenden Augen anschaute. Man hatte wahrscheinlich meinem Vater gleich gemeldet, was sich zugetragen, er trat herein, als ich noch vor dem Bilde stand. Nur einen Blick hatte er darauf geworfen, als er, von Entsetzen ergriffen, stehen blieb und dumpf in sich hineinmurmelte: “Francesko, Francesko!” Darauf wandte er sich rasch zu den Arbeitern und befahl mit starker Stimme: “Man breche sogleich das Bild aus der Wand, rolle es auf und übergebe es Reinhold.” Es war mir, als solle ich den schönen, herrlichen Mann, der in seinem wunderbaren Gewände mir wie ein hoher Geisterfürst vorkam, niemals wiedersehen, und doch hielt mich eine unüberwindliche Scheu zurück, den Vater zu bitten, das Bild ja nicht vernichten zu lassen. In wenigen Tagen verschwand jedoch der Eindruck, den der Auftritt mit dem Bilde auf mich gemacht hatte, spurlos aus meinem Innern. – Ich war schon vierzehn Jahr alt worden und noch ein wildes, unbesonnenes Ding, so daß ich sonderbar genug gegen den ernsten, feierlichen Hermogen abstach und der Vater oft sagte, daß, wenn Hermogen mehr ein stilles Mädchen schiene, ich ein recht ausgelassener Knabe sei. Das sollte sich bald ändern. Hermogen fing an, mit Leidenschaft und Kraft ritterliche Übungen zu treiben. Er lebte nur in Kampf und Schlacht, seine ganze Seele war davon erfüllt, und da es eben Krieg geben sollte, lag er dem Vater an, ihn nur gleich Dienste nehmen zu lassen. Mich überfiel dagegen eben zu der Zeit eine solch unerklärliche Stimmung, die ich nicht zu deuten wußte und die bald mein ganzes Wesen verstörte. Ein seltsames Übelbefinden schien aus der Seele zu kommen und alle Lebenspulse gewaltsam zu ergreifen. Ich war oft der Ohnmacht nahe, dann kamen allerlei wunderliche Bilder und Träume, und es war mir, als solle ich einen glänzenden Himmel voll Seligkeit und Wonne erschauen und könne nur, wie ein schlaftrunknes Kind, die Augen nicht öffnen. Ohne zu wissen, warum, konnte ich oft bis zum Tode betrübt, oft ausgelassen fröhlich sein. Bei dem geringsten Anlaß stürzten mir die Tränen aus den Augen, eine unerklärliche Sehnsucht stieg oft bis zu körperlichem Schmerz, so daß alle Glieder krampfhaft zuckten. Der Vater bemerkte meinen Zustand, schrieb ihn überreizten Nerven zu und suchte die Hülfe des Arztes, der allerlei Mittel verordnete, die ohne Wirkung blieben. Ich weiß selbst nicht, wie es kam, urplötzlich erschien mir das vergessene Bild jenes unbekannten Mannes so lebhaft, daß es mir war, als stehe es vor mir, Blicke des Mitleids auf mich gerichtet. “Ach! – soll ich denn sterben? – Was ist es, das mich so unaussprechlich quält?” So rief ich dem Traumbilde entgegen, da lächelte der Unbekannte und antwortete: “Du liebst mich, Aurelie; das ist deine Qual, aber kannst du die Gelübde des Gottgeweihten brechen?” – Zu meinem Erstaunen wurde ich nun gewahr, daß der Unbekannte das Ordenskleid der Kapuziner trug. – Ich raffte mich mit aller Gewalt auf, um nur aus dem träumerischen Zustande zu erwachen. Es gelang mir. Fest war ich überzeugt, daß jener Mönch nur ein loses, trügerisches Spiel meiner Einbildung gewesen, und doch ahnte ich nur zu deutlich, daß das Geheimnis der Liebe sich mir erschlossen hatte. Ja! – ich liebte den Unbekannten mit aller Stärke des erwachten Gefühls, mit aller Leidenschaft und Inbrunst, deren das jugendliche Herz fähig. In jenen Augenblicken träumerischen Hinbrütens, als ich den Unbekannten zu sehen glaubte, schien mein Übelbefinden den höchsten Punkt erreicht zu haben, ich wurde zusehends wohler, indem meine Nervenschwäche nachließ, und nur das stete, starre Festhalten jenes Bildes, die phantastische Liebe zu einem Wesen, das nur in mir lebte, gab mir das Ansehen einer Träumerin. Ich war für alles verstummt, ich saß in der Gesellschaft, ohne mich zu regen, und indem ich, mit meinem Ideal beschäftigt, nicht darauf achtete, was man sprach, gab ich oft verkehrte Antworten, so daß man mich für ein einfältig Ding achten mochte. In meines Bruders Zimmer sah ich ein fremdes Buch auf dem Tische liegen; ich schlug es auf, es war ein aus dem Englischen übersetzter Roman: “Der Mönch”! – Mit eiskaltem Schauer durchbebte mich der Gedanke, daß der unbekannte Geliebte ein Mönch sei. Nie hatte ich geahnt, daß die Liebe zu einem Gottgeweihten sündlich sein könne, nun kamen mir plötzlich die Worte des Traumbildes ein: “Kannst du die Gelübde des Gottgeweihten brechen?” – und nun erst verwundeten sie, mit schwerem Gewicht in mein Innres fallend, mich tief. Es war mir, als könne jenes Buch mir manchen Aufschluß geben. Ich nahm es mit mir, ich fing an zu lesen, die wunderbare Geschichte riß mich hin, aber als der erste Mord geschehen, als immer verruchter der gräßliche Mönch frevelt, als er endlich ins Bündnis tritt mit dem Bösen, da ergriff mich namenloses Entsetzen, denn ich gedachte jener Worte Hermogens: “Die Mutter spricht mit dem Teufel!” Nun glaubte ich, so wie jener Mönch im Roman sei der Unbekannte ein dem Bösen Verkaufter, der mich verlocken wolle. Und doch konnte ich nicht gebieten der Liebe zu dem Mönch, der in mir lebte. Nun erst wußte ich, daß es frevelhafte Liebe gebe, mein Abscheu dagegen kämpfte mit dem Gefühl, das meine Brust erfüllte, und dieser Kampf machte mich auf eigne Weise reizbar. Oft bemeisterte sich meiner in der Nähe eines Mannes ein unheimliches Gefühl, weil es mir plötzlich war, als sei es der Mönch, der nun mich erfassen und fortreißen werde ins Verderben. Reinhold kam von einer Reise zurück und erzählte viel von einem Kapuziner Medardus, der als Kanzelredner weit und breit berühmt sei und den er selbst in …r mit Verwunderung gehört habe. Ich dachte an den Mönch im Roman, und es überfiel mich eine seltsame Ahnung, daß das geliebte und gefürchtete Traumbild jener Medardus sein könne. Der Gedanke war mir schrecklich, selbst wußte ich nicht, warum, und mein Zustand wurde in der Tat peinlicher und verstörter, als ich es zu ertragen vermochte. Ich schwamm in einem Meer von Ahnungen und Träumen. Aber vergebens suchte ich das Bild des Mönchs aus meinem Innern zu verbannen; ich unglückliches Kind konnte nicht widerstehen der sündigen Liebe zu dem Gottgeweihten. – Ein Geistlicher besuchte einst, wie er es wohl manchmal zu tun pflegte, den Vater. Er ließ sich weitläuftig über die mannigfachen Versuchungen des Teufels aus, und mancher Funke fiel in meine Seele, indem der Geistliche den trostlosen Zustand des jungen Gemüts beschrieb, in das sich der Böse den Weg bahnen wolle und worin er nur schwaches Widerstreben fände. Mein Vater fügte manches hinzu, als ob er von mir rede. Nur unbegrenzte Zuversicht, sagte endlich der Geistliche, nur unwandelbares Vertrauen, nicht sowohl zu befreundeten Menschen als zur Religion und ihren Dienern, könne Rettung bringen. Dies merkwürdige Gespräch bestimmte mich, den Trost der Kirche zu suchen und meine Brust durch reuiges Geständnis in heiliger Beichte zu erleichtern. Am frühen Morgen des ändern Tages wollte ich, da wir uns eben in der Residenz befanden, in die dicht neben unserm Hause gelegene Klosterkirche gehen. Es war eine qualvolle, entsetzliche Nacht, die ich zu überstehen hatte. Abscheuliche, frevelige Bilder, wie ich sie nie gesehen, nie gedacht, umgaukelten mich, aber dann mitten drunter stand der Mönch da, mir die Hand wie zur Rettung bietend, und rief: “Sprich es nur aus, daß du mich liebst, und frei bist du aller Not.” Da mußt’ ich unwillkürlich rufen: “Ja, Medardus, ich liebe dich!” – und verschwunden waren die Geister der Hölle! Endlich stand ich auf, kleidete mich an und ging nach der Klosterkirche.
Das Morgenlicht brach eben in farbigen Strahlen durch die bunten Fenster, ein Laienbruder reinigte die Gänge. Unfern der Seitenpforte, wo ich hineingetreten, stand ein der heiligen Rosalia geweihter Altar, dort hielt ich ein kurzes Gebet und schritt dann auf den Beichtstuhl zu, in dem ich einen Mönch erblickte. Hilf, heiliger Himmel! – es war Medardus! Kein Zweifel blieb übrig, eine höhere Macht sagte es mir. Da ergriff mich wahnsinnige Angst und Liebe, aber ich fühlte, daß nur standhafter Mut mich retten könne. Ich beichtete ihm selbst meine sündliche Liebe zu dem Gottgeweihten, ja mehr als das! … Ewiger Gott! in dem Augenblicke war es mir, als hätte ich schon oft in trostloser Verzweiflung den heiligen Banden, die den Geliebten fesselten, geflucht, und auch das beichtete ich. “Du selbst, du selbst, Medardus, bist es, den ich so unaussprechlich liebe.” Das waren die letzten Worte, die ich zu sprechen vermochte, aber nun floß lindernder Trost der Kirche, wie des Himmels Balsam, von den Lippen des Mönchs, der mir plötzlich nicht mehr Medardus schien. Bald darauf nahm mich ein alter, ehrwürdiger Pilger in seine Arme und führte mich langsamen Schrittes durch die Gänge der Kirche zur Hauptpforte hinaus. Er sprach hochheilige, herrliche Worte, aber ich mußte entschlummern wie ein unter sanften, süßen Tönen eingewiegtes Kind. Ich verlor das Bewußtsein. Als ich erwachte, lag ich angekleidet auf dem Sofa meines Zimmers. “Gott und den Heiligen Lob und Dank, die Krisis ist vorüber, sie erholt sich!” rief eine Stimme. Es war der Arzt, der diese Worte zu meinem Vater sprach. Man sagte mir, daß man mich des Morgens in