Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann - E. T. A. Hoffmann страница 176
Ich stürzte auf die Knie, ich hob meine Hände betend empor, tiefe Seufzer entflohen der Brust, Tränen quollen aus den Augen! – “Wisse ferner”, fuhr der Prior fort, “daß jener alte, fremde Maler, von dem du in der Beichte gesprochen, schon so lange, als ich denken kann, zuweilen unser Kloster besucht hat und vielleicht bald wieder eintreffen wird. Er hat ein Buch mir in Verwahrung gegeben, welches verschiedene Zeichnungen, vorzüglich aber eine Geschichte enthält, der er jedesmal, wenn er bei uns einsprach, einige Zeilen zusetzte. – Er hat mir nicht verboten, das Buch jemanden in die Hände zu geben, und um so mehr will ich es dir anvertrauen, als dies meine heiligste Pflicht ist. Den Zusammenhang deiner eignen seltsamen Schicksale, die dich bald in eine höhere Welt wunderbarer Visionen, bald in das gemeinste Leben versetzten, wirst du erfahren. Man sagt, das Wunderbare sei von der Erde verschwunden, ich glaube nicht daran. Die Wunder sind geblieben, denn wenn wir selbst das Wunderbarste, von dem wir täglich umgeben, deshalb nicht mehr so nennen wollen, weil wir einer Reihe von Erscheinungen die Regel der zyklischen Wiederkehr abgelauert haben, so fährt doch oft durch jenen Kreis ein Phänomen, das all unsre Klugheit zuschanden macht und an das wir, weil wir es nicht zu erfassen vermögen, in stumpfsinniger Verstocktheit nicht glauben. Hartnäckig leugnen wir dem innern Auge deshalb die Erscheinung ab, weil sie zu durchsichtig war, um sich auf der rauhen Fläche des äußern Auges abzuspiegeln. – Jenen seltsamen Maler rechne ich zu den außerordentlichen Erscheinungen, die jeder erlauerten Regel spotten; ich bin zweifelhaft, ob seine körperliche Erscheinung das ist, was wir wahr nennen. Soviel ist gewiß, daß niemand die gewöhnlichen Funktionen des Lebens bei ihm bemerkt hat. Auch sah ich ihn niemals schreiben oder zeichnen, unerachtet im Buch, worin er nur zu lesen schien, jedesmal, wenn er bei uns gewesen, mehr Blätter als vorher beschrieben waren. Seltsam ist es auch, daß mir alles im Buche nur verworrenes Gekritzel, undeutliche Skizze eines phantastischen Malers zu sein schien und nur dann erst erkennbar und lesbar wurde, als du, mein lieber Bruder Medardus! mir gebeichtet hattest. – Nicht näher darf ich mich darüber auslassen, was ich rücksichts des Malers ahne und glaube. Du selbst wirst es erraten, oder vielmehr das Geheimnis wird sich dir von selbst auftun. Gehe, erkräftige dich, und fühlst du dich, wie ich glaube, daß es in wenigen Tagen geschehen wird, im Geiste aufgerichtet, so erhältst du von mir des fremden Malers wunderbares Buch.”
Ich tat nach dem Willen des Priors, ich aß mit den Brüdern, ich unterließ die Kasteiungen und beschränkte mich auf inbrünstiges Gebet an den Altären der Heiligen. Blutete auch meine Herzenswunde fort, wurde auch nicht milder der Schmerz, der aus dem Innern heraus mich durchbohrte, so verließen mich doch die entsetzlichen Traumbilder, und oft, wenn ich zum Tode matt auf dem harten Lager schlaflos lag, umwehte es mich wie mit Engelsfittichen, und ich sah die holde Gestalt der lebenden Aurelie, die, himmlisches Mitleiden im Auge voll Tränen, sich über mich hinbeugte. Sie streckte die Hand, wie mich beschirmend, aus über mein Haupt, da senkten sich meine Augenlider, und ein sanfter, erquickender Schlummer goß neue Lebenskraft in meine Adern. Als der Prior bemerkte, daß mein Geist wieder einige Spannung gewonnen, gab er mir des Malers Buch und ermahnte mich, es aufmerksam in seiner Zelle zu lesen. – Ich schlug es auf, und das erste, was mir ins Auge fiel, waren die in Umrissen angedeuteten und dann in Licht und Schatten ausgeführten Zeichnungen der Fresko-Gemälde in der heiligen Linde. Nicht das mindeste Erstaunen, nicht die mindeste Begierde, schnell das Rätsel zu lösen, regte sich in mir auf. Nein! – es gab kein Rätsel für mich, längst wußte ich ja alles, was in diesem Malerbuch aufbewahrt worden. Das, was der Maler auf den letzten Seiten des Buchs in kleiner, kaum lesbarer, bunt gefärbter Schrift zusammengetragen hatte, waren meine Träume, meine Ahnungen, nur deutlich, bestimmt in scharfen Zügen dargestellt, wie ich es niemals zu tun vermochte.
Eingeschaltete Anmerkung des Herausgebers
Bruder Medardus fährt hier, ohne sich weiter auf das, was er im Malerbuche fand, einzulassen, in seiner Erzählung fort, wie er Abschied nahm von dem in seine Geheimnisse eingeweihten Prior und von den freundlichen Brüdern und wie er nach Rom pilgerte und überall, in Sankt Peter, in St. Sebastian und Laurenz, in St. Giovanni a Laterano, in Sankta Maria Maggiore usw., an allen Altären kniete und betete, wie er selbst des Papstes Aufmerksamkeit erregte und endlich in einen Geruch der Heiligkeit kam, der ihn – da er jetzt wirklich ein reuiger Sünder worden und wohl fühlte, daß er nichts mehr als das sei – von Rom vertrieb. Wir, ich meine dich und mich, mein günstiger Leser! wissen aber viel zu wenig Deutliches von den Ahnungen und Träumen des Bruders Medardus, als daß wir, ohne zu lesen, was der Maler aufgeschrieben, auch nur im mindesten das Band zusammenzuknüpfen vermöchten, welches die verworren auseinanderlaufenden Fäden der Geschichte des Medardus wie in einen Knoten einigt. Ein besseres Gleichnis übrigens ist es, daß uns der Fokus fehlt, aus dem die verschiedenen bunten Strahlen brachen. Das Manuskript des seligen Kapuziners war in altes, vergelbtes Pergament eingeschlagen und dies Pergament mit kleiner, beinahe unleserlicher Schrift beschrieben, die, da sich darin eine ganz seltsame Hand kundtat, meine Neugierde nicht wenig reizte. Nach vieler Mühe gelang es mir, Buchstaben und Worte zu entziffern, und wie erstaunte ich, als es mir klar wurde, daß es jene im Malerbuch aufgezeichnete Geschichte sei, von der Medardus spricht. Im alten Italienisch ist sie beinahe chronikenartig und sehr aphoristisch geschrieben. Der seltsame Ton klingt im Deutschen nur rauh und dumpf, wie ein gesprungenes Glas, doch war es nötig, zum Verständnis des Ganzen hier die Übersetzung einzuschalten; dies tue ich, nachdem ich nur noch folgendes wehmütigst bemerkt. Die fürstliche Familie, aus der jener oft genannte Francesko abstammte, lebt noch in Italien, und ebenso leben noch die Nachkömmlinge des Fürsten, in dessen Residenz sich Medardus aufhielt. Unmöglich war es daher, die Namen zu nennen, und unbehülflicher, ungeschickter ist niemand auf der ganzen Welt als derjenige, der dir, günstiger Leser, dies Buch in die Hände gibt, wenn er Namen erdenken soll da, wo schon wirkliche, und zwar schön und romantisch tönende, vorhanden sind, wie es hier der Fall war. Bezeichneter Herausgeber gedachte sich sehr gut mit dem: der Fürst, der Baron usw. herauszuhelfen, nun aber der alte Maler die geheimnisvollen, verwickeltsten Familienverhältnisse ins klare stellt, sieht er wohl ein, daß er mit den allgemeinen Bezeichnungen nicht vermag ganz verständlich zu werden. Er müßte den einfachen Chroniken-Choral des Malers mit allerlei Erklärungen und Zurechtweisungen wie mit krausen Figuren verschnörkeln und verbrämen. – Ich trete in die Person des Herausgebers und bitte dich, günstiger Leser! du wollest, ehe du weiter liesest, folgendes dir gütigst merken. Camillo, Fürst von P., tritt als Stammvater der Familie auf, aus der Francesko, des Medardus Vater, stammt. Theodor, Fürst von W., ist der Vater des Fürsten Alexander von W., an dessen Hofe sich Medardus aufhielt. Sein Bruder Albert, Fürst von W., vermählte sich mit der italienischen Prinzessin Giazinta