Gesammelte Werke von Johanna Spyri. Johanna Spyri

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Gesammelte Werke von Johanna Spyri - Johanna Spyri

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sagte Onkel Phipp, »im kleinen gerade so schön, wie vormals im grossen, droben auf dem Schloss. Die Rosen und die Reseden, der Kohl und die Bohnen und Rüben, ein kleiner Brunnen in der Gartenecke und die Bank unterm Apfelbaum, das sieht alles so geordnet und appetitlich aus, fast so schön, als es droben war.«

      »Ja, ja, der Herr Falk spasst immer noch gern«, entgegnete die Apollonie, »fast schöner als die Rosenbeete droben, nicht wahr? Ja, wer die gekannt hat! Und meinen Gemüsegarten erst! Solche Beete voller Blumenkohl und ganze Wäldchen von grünen Bohnenstauden, und erst meine Salatbeete und meine jungen Zuckererbsen - ja, das war ein Wirtschaften in solchem Gemüsegarten herum! So etwas kommt nicht wieder! So manchmal schaue ich dort zum Schloss hinauf und muss seufzen und denken: dass so viel Schönes so für immer verloren sein muss!«

      »Ja, das ist nun einmal so, da kann niemand helfen«, sagte Onkel Phipp; »aber einen Vorteil haben Sie doch jetzt: Hier in Ihrem stillen Garten, da stört kein Mensch Ihren Sonntagsfrieden, da springt Ihnen kein Junge mitten in Ihre Gemüsebeete hinein in Kraut und Kohl und Rüben, dass Sie die Hände zusammenschlagen und ausrufen müssen: ‘Nein, der Falk ist doch der ärgste von allen!’«

      »Nun weiss der Herr Falk auch das noch!« rief die Apollonie aus. »Ja, die drei jungen Herren haben mir manches Kräutlein zertreten; aber wie gern nähme ich das drein, wenn ich sie noch einmal pflegen könnte, meine Gemüsebeete; nur auch noch einmal sehen; aber sie sind ja gar nicht mehr, sie sind nicht mehr! Nur Heu und Äpfel will der Herr Trius einernten, alles andere wird ausgereutet. Deswegen muss aber der Herr Falk nicht denken, dass ich in lauter Frieden schwimme, weil er mir nicht mehr ins Gemüsebeet hineinstampft, noch lange nicht. Wenn man am Sonnabend zum Wochenschluss noch eine rechte Ärger- und Sorgensuppe schlucken muss, so stecken einem die Reste davon am Sonntagmorgen noch im Hals, und den ganzen Tag gibt’s noch zu schlucken daran, wenn man noch so gern sein Sonntagslied in Frieden lesen möchte.«

      »Sie werden wohl die Knippelsuppe von gestern abend meinen, Apollonie?« fiel Kurt hier lebhaft ein; denn eben hatte ihm Loneli gesagt, es sei nicht gut gegangen, als es gestern mit den vom Fall beschmutzten Kleidern und der leeren Milchflasche heimgekommen sei, und nun war er noch voller Grimm darüber und hatte die Andeutung der Apollonie gleich verstanden. »So will ich Ihnen nur sagen, dass das Loneli nicht schuld daran war, kein bisschen, die Knippelbuben meinen, es sei lustig, den Leuten ein Bein zu stellen und sie umfallen zu sehen.«

      »Das Kind wird wohl auch nicht gewesen sein, wie es sollte, sonst hätten ihm doch des Herrn Amtsrichters Söhne nichts zuleide getan.«

      »Jetzt will ich gleich den Bruno zurückholen, der kann Ihnen beweisen, dass Loneli nichts gemacht hat, er war dabei«, sagte Kurt eifrig und wollte gleich dem Bruder nachlaufen, der nicht bei den anderen geblieben, sondern voraus der Höhe zugegangen war. Aber die Mutter hielt ihn zurück. Sie wünschte nicht, dass durch die Erinnerung an den Vorgang und die Entdeckung, dass Loneli noch als schuldig behandelt worden war, bei Bruno noch einer seiner Zornesausbrüche hervorgerufen werde. Der Apollonie sagte sie aber klar, wie sich die Sache verhalten habe, der Bruno beigewohnt, und die er gleich nachher der Mutter erzählt hatte.

      Lonelis blaue Augen funkelten vor Freude, als der Vorgang genau so geschildert wurde, wie er sich zugetragen hatte, und dazu von der Frau Pfarrer, deren Worte der Grossmutter mehr als alle anderen galten.

      »Jetzt können Sie sehen, dass das Loneli gar nicht schuld an der Sache war!« rief Kurt, als die Mutter geendet hatte.

      »Ja, ich sehe es und bin ja so froh, dass es so ist«, sagte die Apollonie; »aber wie könnte man auch glauben, dass solche Söhne, die doch eine gute Erziehung haben, ohne Not andere schädigen würden! Das hätte denn doch der junge Falk nicht getan. Er lief mir nur darum ins Gemüse hinein, weil ihn die jungen Herren vom Schlosse von beiden Seiten jagten.«

      Onkel Phipp lachte: »Frau Apollonie ist doch noch gerecht. Wenn sie auch den jungen Falk tüchtig ausschimpfte, so wusste sie doch, dass er ihr nicht aus Bosheit, sondern nur aus Notwehr durchs Gemüse stampfte. Nun meine ich aber, es wäre Zeit weiterzugehen.«

      Damit schüttelte er seiner alten Bekanntschaft kräftig die Hand und zog mit seinen zwei Kleinen, die ihm die ganze Zeit nicht von der Seite gewichen waren, wieder rüstig weiter.

      Schloss Wildenstein stand vom Abendlicht umflossen. Von der Höhe, die nun erreicht war, konnte man frei hinüberschauen. Die Vorderseite des Schlosses mit dem freien Platz davor schimmerte im Lichte der Abendsonnenstrahlen. Leblose Stille herrschte rings um das graue Gebäude. Die alten Föhren unter dem Eckturm auf der Waldseite hingen ihre langen Äste bis tief auf den Boden, die hatte seit Jahren keine Menschenhand berührt. Wo der blühende Garten gelegen, war der Boden weithin mit Sträuchern und Gebüsch bedeckt.

      Mutter und Onkel hatten sich auf einen Baumstamm, der am Boden lag, hingesetzt und schauten schweigend nach dem Schloss hinüber, während die Kinder an dem sonnigen Abhang nach Erdbeeren ausschauten.

      »Da drüben sieht’s schauerlich einsam und verödet aus«, sagte Onkel Phipp nach einiger Zeit, »wir wollen zurückkehren. Ist erst die Sonne fort, so wird alles noch düsterer aussehen.«

      »Fällt dir nicht etwa auf, Phipp«, sagte seine Schwester, von ihren eigenen Gedanken in Anspruch genommen. »Siehst du, dass alle Fensterladen fest verschlossen sind, nur die Balkonfenster am Turme nicht; du weisst, wer jene Zimmer bewohnte?«

      »Freilich weiss ich’s, dort hauste der rasende Bruno«, erwiderte der Bruder.

      »Wenn er wiederkäme, Phipp, weil nur allein seine Zimmer geordnet werden?«

      »Wo denkst du hin, der kommt nie wieder!« rief Onkel Phipp aus, »du weisst ja auch, dass wir schon vor langer Zeit vernommen haben, er sei ein völlig gebrochener Mann und liege auf den Tod krank in Malaga. Es war doch Herr Tillmann, der Spanien bereiste, der es hörte; der muss es ja wissen. Er ist gewiss schon lange tot und zur Ruhe gekommen, der ruhelose Bruno, was willst du ihn hier suchen?«

      »Dann müsste man doch hier etwas davon wissen, da wäre doch ein neuer Besitzer vom Schloss hier erschienen«, meinte Frau Maxa. »Es sind ja auch noch zwei junge Glieder derer von Wallerstätten am Leben; du weisst es ja, die Kinder von Salo und Leonore. Wo nur diese Kinder hingekommen sind? Es würde ihnen ja alles nach dem Tode des Onkels gehören.«

      »Die sind schon lange enterbt!« rief der Bruder aus; »das kannst du dir denken. Wo sie sind, weiss ich nicht; ich habe freilich einen Gedanken, den will ich dir heut abend mitteilen, wenn wir ruhig zusammen sind und du nicht, wie jetzt, alle Augenblicke in Zerstreutheit verfällst und sorgenvolle Blicke über den völlig soliden Rasenboden hinwirfst, als wäre er ein gefährlicher Wasserteich, wo deine Küchlein mit einem Male hineinstürzen und ihr Leben in Gefahr bringen könnten.«

      Die Kinder hatten sich auf der Höhe nach allen Seiten hin zerstreut. Bruno war weit abseits gerannt und sass dort am Abhang, in ein kleines Buch vertieft, das er in die Tasche gesteckt hatte. Mea hatte die schönsten blauen Vergissmeinnicht entdeckt, die sie je gesehen; in grossen Büschen standen sie an dem hellen Bergbach. Die musste sie haben, alle, alle. Ausser sich vor Entzücken, stürzte sie von Stelle zu Stelle, überallhin, wo die blauen Blümlein leuchteten.

      Kurt hatte sich auf einen Baum geschwungen und schaute vom höchsten Ast, den er erreichen konnte, forschend zum Schloss hinüber, als hätte er dort drüben noch etwas Besonderes zu entdecken. Das Mäzli hatte Erdbeeren entdeckt und Lippo mit fortgezogen, damit er sie pflücken helfe, eigentlich, damit er sie pflücke und es unterdessen wieder neue auffinden könne. So hatte die Mutter immer wieder dahin und dorthin zu schauen, ob Kurt auch nicht zu waghalsige Klettereien unternehme, ob das Mäzli nicht zu weit weglaufe, ob Lippo nicht seine Erdbeeren zur Verwahrung in die Tasche stecke, wie er auch schon getan und dadurch eine grosse Verheerung an seinen

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