Gesammelte Werke von Johanna Spyri. Johanna Spyri

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Gesammelte Werke von Johanna Spyri - Johanna Spyri

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jedes wieder ein eigenes Anliegen vorzubringen haben würde.

      Mäzli hatte sich nach der Mutter Anweisung auf sein Stühlchen gesetzt und strickte nun ganz tugendhaft an einem weissen Lappen, der einen schönen roten Rand bekommen sollte und dazu bestimmt war, den Staub von Onkel Phipps Schreibtisch wegzuwischen. An seinem Geburtstag sollte er mit dem schönen Werke überrascht werden. Dieser Gedanke und noch andere, die der belebte Vorgang dieses Morgens in Mäzlis Kopfe angeregt hatte, bewirkten, dass es heute trotz der Abwesenheit der Mutter auf dem Arbeitsstühlchen sitzen blieb und keine Streifzüge unternahm, wozu das Mäzli sonst eine starke Neigung hatte. Die Mutter bewegte in ihrem Herzen allerlei Gedanken auf ihren verschiedenen Gängen durch das Haus, die nicht mit diesen zusammenhängen konnten, weder mit der Wäsche, die sie eben in der Küche angeordnet, noch mit den Kochäpfeln, die sie nachher im Keller ausgelesen hatte. Manchmal hatte sie eine Weile lang die Hand unbeweglich auf den Äpfeln ruhen lassen und hatte wie abwesend vor sich hingeblickt. Dann war sie mit ihren Gedanken droben im Schlossgarten, wo sie mit einer lieblichen jungen Leonore unter den rauschenden Föhren hin und her wanderte und mit ihr sang und fröhlich plauderte und wieder sang.

      Des Bruders Mitteilung hatte die Erinnerung so lebendig wachgerufen. Dann wieder seufzte sie vor sich hin, denn eine andere Mitteilung stieg vor ihr auf und beunruhigte sie: Bruno hatte ihr gesagt, man solle nicht mit dem Mittagessen auf ihn warten; er werde wohl kommen, nur vielleicht ein wenig später; denn er wolle seine zwei Studiengenossen an einer Schandtat verhindern. Was diese war und wie er sie verhindern wollte, hatte er nicht mehr ausgesprochen; es war der Augenblick, da Kurt die Tür geöffnet und mit Donnerstimme nach ihr gerufen hatte. Sie hatte nur noch Bruno ermahnen können, doch nicht seinen Zorn über sich Herr werden zu lassen, was es auch sei, das ihn empöre. Viel schneller noch, als sie erwartet hatte, hörte die Mutter Kurt heranrennen und schon unter der Haustür mit erhobener Stimme nach ihr rufen.

      »Hier bin ich, Kurt«, ertönte es ruhig aus dem Wohnzimmer, wo die Mutter nach Beendigung ihrer Morgenarbeiten sich vor kurzem neben Mäzli niedergelassen hatte. »Tritt nur erst in die Stube ein, solche Eile werden deine Mitteilungen ja nicht haben.«

      Kurt war schon an der Mutter Seite.

      »Weisst du, man ist nie sicher, ob du zuoberst oder zuunterst im Haus bist, wenn man aus der Schule kommt, Mutter«, sagte er, »da muss man sich denn beizeiten erkundigen, wo du bist, und heute ist soviel zu berichten. Jetzt sollst du hören: zum ersten lässt der Lehrer danken für die Gaben der Abgebrannten und lässt dir sagen, da du es für zweckmässig erachtest, ihnen einen Kartonhelm mit rotem Federbusch zukommen zu lassen, so werde er diesen beilegen, oder ob du etwa eine besondere Bestimmung dafür im Auge habest?«

      »Ich verstehe kein Wort von allem, was du da redest, Kurt«, sagte die Mutter.

      Eben öffnete Lippo die Türe, er kam immer später an; denn zur Heimkehr erwartete der Ältere den Jüngeren nicht.

      »Da kommt er gerade, der erklären kann, was du dem Lehrer geschickt haben sollst, Mutter, er hat es überbracht«, sagte Kurt.

      Die Mutter begrüsste erst den fröhlich herantrottenden Lippo, der sich ganz rote Backen gelaufen hatte. Dann sagte sie: »Sag mir, Lippo, hast du in deinem Schultornister heute früh noch etwas für die Abgebrannten mit fortgetragen?«

      »Ja, meinen Helm von Onkel Phipp«, antwortete Lippo.

      »Gelt, du hast gedacht, wenn so ein armer kleiner Kerl kein Hemd mehr hat, so kann er doch noch einen Helm mit rotem Federbusch auf den Kopf bekommen«, sagte Kurt lachend.

      »Du brauchst nicht so zu lachen«, sagte Lippo ein wenig kläglich, »die Mutter hat ja gesagt, man müsse den Abgebrannten nicht nur schicken, was man selbst nicht mehr wolle, darum habe ich den Helm gegeben, ich wollte ihn sehr gern für mich behalten.«

      »Du musst ihn nicht auslachen, Kurt, so habe ich wirklich gesagt«, bestätigte die Mutter; »er hat etwas Rechtes tun wollen, nur hat er nicht den rechten Weg gefunden. Du hättest mir nur sagen sollen, was du im Sinne hattest, Lippo, so hätte ich dir dazu helfen können, damit du mit deiner guten Absicht auch etwas Gutes hättest erreichen können. Ein andermal sag mir lieber, was du Gutes tun möchtest; es ist besser, wir tun es zusammen.«

      »Ja, ich will«, versprach Lippo beruhigt.

      »Jetzt hör nur weiter, Mutter«, drängte Kurt, »zweitens erfolgte etwas, das dich nicht freut, und uns auch nicht; denn die ganze Klasse hält es mit Loneli, und heute musste Loneli auf der Schandbank sitzen.«

      »Oh, warum denn? Das arme Kind!« rief die Mutter aus. »Was hat es denn getan? Die Grossmutter in ihrer Ehrenhaftigkeit wird einen schrecklichen Jammer erheben, wenn sie nur das arme Loneli nicht auch noch für die Strafe bestraft, dass es auf der Schandbank gesessen hat.«

      »Nein, das darf sie durchaus nicht«, eiferte Kurt, »der Lehrer selbst hat laut vor der ganzen Schule gesagt, nur ungern setze er Loneli auf die Schandbank; denn es sei eine brave und gehorsame Schülerin, wie er nur wenige habe; aber sein Wort müsse er halten. Er habe nun einmal gesagt, um dem leidigen Schwatzen ein Ende zu machen, den ersten Schüler oder die Schülerin, die er beim Schwatzen entdecke, werde er auf die Schandbank setzen. Da musste sich denn das Loneli hinsetzen, ganz allein, und es weinte so schrecklich, dass es uns allen ganz leid tat. Und du kannst auch denken, Mutter, ein Mensch schwatzt doch nicht allein, nicht wahr? Also hätte Loneli doch nicht allein dort sitzen müssen. Aber der Lehrer hatte eben gefragt: ‘Wer hat dort geschwatzt? Wenn’s auch nur geflüstert war, so hab ich’s wohl gehört. Wer war’s?’ Da antwortete das Loneli leise: ‘Ich’, und dann kam das Urteil. Nun hätte doch eine der Nachbarinnen auch ‘ich’ rufen müssen; denn eine hatte mitgeschwatzt, das ist klar.«

      »Loneli kann auch eine Frage getan und keine Antwort erhalten haben«, meinte die Mutter.

      »Das wird Mea berichten, sie lief nach der Schule dem Loneli nach. Jetzt geht’s weiter, Mutter«, fuhr Kurt fort, »also drittens sind heute früh zwei Buben aus meiner Klasse von Herrn Trius durchgeprügelt worden. Sie stiegen in aller Frühe über den Zaun am Schlossgut und wollten ein wenig nachsehen, wie es um die Rosenäpfel stehe, auf der anderen Seite des Zaunes. Aber der Herr Trius war schon auf den Füssen. Mit einem Male stand er da mit seinem dicken Stock und ihm Hui hatte jeder ein paar Triushiebe auf dem Rücken. Denn weisst du, der Zaun ist hoch und fest, so schnell ist man nicht wieder auf der anderen Seite. Jetzt noch viertens hat des Haldenbauern Marx, der hinter dem Schloss wohnt, erzählt: gestern nacht, wie sein Vater ganz spät erst nach zwölf vom grossen Viehmarkt aus dem Tal heraufgekommen sei, habe er eine grosse, ganz verschlossene Kutsche hinter sich herkommen und dann in den Schlossweg einlenken gesehen. Ganz sicher sei die Kutsche zum Schloss hinaufgefahren; aber was da drin hinaufgebracht worden sei, könne kein Mensch wissen. So, jetzt hast du mir endlich auch recht zugehört, Mutter, bis jetzt warst du gar nicht so aufmerksam, ich habe es wohl gemerkt. Dann hat Marx noch etwas von seinem Vater erzählt; aber du wirst bös, wenn ich dir das wiederhole.«

      »So ist es etwas Unrechtes, Kurt, sonst würdest du das nicht sagen, dann will ich auch lieber, du wiederholst es nicht«, sagte die Mutter.

      »Nein, gewiss, es ist nichts Unrechtes, nur etwas Merkwürdiges, weisst du, etwas, von dem du nichts wissen willst; aber ich glaube ja auch gar nichts von dieser Geschichte, so kann ich es ja wohl sagen. Marx hat noch erzählt, sein Vater habe gesagt, mit diesem Fuhrwerk sei es nicht richtig gewesen. Er sei weit aus dem Weg gegangen; denn der Kutscher habe ausgesehen, wie wenn er nur einen halben Kopf gehabt hätte; der Mantelkragen sei so hoch aufgeschlagen gewesen, als müsse er verdecken, was darunter war, und auf die Rosse habe er losgehauen, dass sie im hellen Galopp den ganzen Schlossberg hinaufgejagt und ihnen lauter Feuerfunken aus den Hufen geflogen seien.«

      »Wie kannst du so etwas nacherzählen,

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