Gesammelte Werke von Johanna Spyri. Johanna Spyri

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Gesammelte Werke von Johanna Spyri - Johanna Spyri

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will ich dir nun gleich erklären, und dann sage du selbst, Mutter, ob ich anders hätte handeln können; es musste so sein«, versicherte Bruno. »Am Sonnabend haben mir die zweie angezeigt, heute müsste eine Tat ausgeführt werden, an der ich auch teilnehmen sollte. Sie hatten entdeckt, dass an dem schönen Pflaumenbaum hinten im Pfarrgarten die prächtigsten grünen Zuckerpflaumen eben reif geworden seien, die sollten geholt werden. Um zwölf Uhr, nachdem unsere Unterrichtsstunden zu Ende sind, geht der Herr Pfarrer nach der vorderen Stube zu Tisch, da sieht kein Mensch, was dann hinten im Garten vorgeht. Gleich heute sollte diese Zeit benutzt werden, den Baum zu schütteln und alle Taschen mit den Pflaumen zu füllen, ich müsse mitmachen. Da habe ich ihnen gesagt, es sei eine Schande für sie, mich dazu aufzufordern; ich würde auch Mittel finden, sie selbst an ihrer Schandtat zu verhindern. Dann haben sie sehr gelärmt: ich sei ein Verräter, wenn ich sie angäbe. Sie selbst hätten mir ihren Plan mitgeteilt, und Verraten sei eine ganz andere Schandtat als Pflaumenschütteln. Ich sagte ihnen, ich hätte nicht im Sinne, sie anzugeben; aber ich würde mit der Peitsche kommen, und sobald sie den Pflaumenbaum berührten, würde ich sie auch berühren und so, dass sie daran denken würden. Sie haben dann nur gelacht und gehöhnt; vor meiner Peitsche zu Hause fürchteten sie sich nicht. Und wie nun heut um zwölf Uhr der Unterricht zu Ende war und die beiden gleich nach dem Garten hinten ums Haus herum liefen, holte ich meine Peitsche hervor, die ich im Hausgang versteckt hatte, und lief ihnen nach. Da war Edwin schon halb oben, und Eugen fing eben zu klettern an. Erst drohte ich nur und wollte dadurch den einen zwingen, herunterzukommen, und den andern, nicht weiter zu steigen. Aber sie höhnten nur fort, bis Edwin den ersten Zweig erreicht hatte und ihn nun mit solcher Gewalt schüttelte, dass die schönsten Pflaumen klatschend auf den Boden schlugen. Da wurde ich so ergrimmt, dass ich drauflos hieb, einmal auf den oberen und einmal auf den unteren, immerzu. Da kugelte der obere auf den unteren herab, und dann liefen beide stöhnend davon; denn ich hieb immer noch auf sei ein. Die Pflaumen liessen sie schön liegen, und nun lief ich auch.«

      »Es ist schrecklich, Bruno, immer und immer wieder kommen solche Auftritte zwischen dir und den zweien vor«, jammerte die Mutter, »und du bist immer der Wilde, der tobt und im Zorn so dreinfährt, dass man dich nicht entschuldigen kann, wenn auch deine Absicht gut war. Wenn ich doch einen Weg wüsste, dass du gar nicht mehr mit den beiden zusammenkämst!«

      »Heut war’s aber gut, dass er recht zornig wurde, Mutter«, bemerkte Kurt, »siehst du, dann bringt ihn keiner unter, nicht einmal zwei. Wäre er aber ohne Zorn gewesen, so hätten ihn die beiden überwältigt, und der Herr Pfarrer wäre um seine Pflaumen gekommen.«

      Ob diese Erklärung ein Trost für die Mutter war, konnte man nicht wissen. Sie war mit einem Seufzer hinausgegangen, um für Brunos verspätetes Mittagessen zu sorgen. Gleich war ja auch die Zeit da, dass alle miteinander sich wieder auf ihre verschiedenen Arbeitsplätze zu begeben hatten.

      Als am Abend die Kinder alle zusammen vergnüglich um den Tisch sassen, die Grossen an ihren Schularbeiten, die Kleinen bei ihrem Spiel, kam Kurt hinter den Stuhl der Mutter geschlichen und fragte leise: »Kommt heute die Geschichte?«

      Die Mutter nickte bejahend: »Wenn die Kleinen zu Bett gebracht sind.« Mäzli spitzte die Ohren.

      Wenn alle Arbeiten abgetan waren, folgte am Abend gewöhnlich noch ein gemeinsames Spiel. Kurt, der sonst immer der erste war, der seine Hefte zusammenpackte, kritzelte immer noch auf seinem Papier fort, als Mea ihre Bücher in den Schrank brachte. Sie schaute ihm über die Schulter auf sein Heft: »Nun schreibt er wieder Verse«, rief sie aus, »wen hast du wieder angesungen, Kurt?«

      »Ich will dir’s gleich vorlesen, dann kannst du raten«, sagte der Bruder, »der erste Vers steht anderswo, also zweite Strophe, pass auf, Mea:

      ‘Sie wirft die Blicke her und hin,

       Die alle sagen wollen:

       Bin ich allhier nicht Königin,

       So hätt ich’s werden sollen.

      Die Freundin glaubt es demutsvoll

       Und bindet ihr die Schuhe.

       Das Fräulein denkt: ‘s ist wie es soll,

       Es schickt sich, dass sie’s tue!

      Doch zeigt die Freundin noch so sacht

       Dem Fräulein seine Tücken,

       Gleich ist die Freundschaft ganz verkracht,

       Das Fräulein kehrt den Rücken.’«

      Erst hatte Mea ein wenig über die Beschreibung des demutsvollen Wesens lachen müssen, in dem sie doch nicht so ganz das ihrige erkannte; aber nun beim Schluss stieg ihr die betrübende Erinnerung wieder auf. »Weisst du, Mutter«, brach sie erregt los, »das ist nicht das Ärgste, dass sie mir den Rücken gekehrt hat; aber dass man gar nie mit ihr einer Meinung sein kann, und dass jedesmal, wenn ich etwas schön und gut finde, sie das Gegenteil sagt, und wenn ich von etwas sage: das ist recht oder gemein, dann lässt sie es wieder nicht gelten, auch wenn ich meine Meinung gar nicht erfunden habe, sonder ganz gut weiss, dass du dasselbe auch schon gesagt hattest. So kann man ja gar keine rechte Freundschaft mit ihr halten; alle Augenblicke kommt man wieder in einen Streit, wenn man es gar nicht im Sinne hat.«

      »Lass sie nur fahren, so geht es einem gerade mit ihren Brüdern«, sagte Bruno, »mit denen will ich auch keine Freundschaft, gar nichts mehr will ich von ihnen.«

      »Lieber ihnen noch etwas geben, so wie heut«, bemerkte Kurt.

      »Ich begreife Mea wohl«, sagte die Mutter, »sie hatte sich gleich, wie wir herkamen, in Freundschaft an Elvira angeschlossen, sie hat mehr das Bedürfnis nach Freundschaft als ihr.«

      »Mutter, ich habe hier sechs oder acht Freunde, das ist doch nicht wenig«, schaltete Kurt ein.

      »Sie sind auch danach«, sagte Bruno schnell.

      »So muss es Mea weh tun«, fuhr die Mutter fort, »dass Elvira so wenig geeignet ist, eine Freundin für sie zu sein. Dass du ihr sagst, was du für unrecht hältst, ist ganz recht, Mea, das brauchst du nicht zu verbergen. Zeigst du ihr daneben deine Anhänglichkeit und bist du nicht gleich empfindlich bei jeder kleinen Verschiedenheit eurer Ansichten, so kann nach und nach eure Freundschaft doch vielleicht noch besser werden.«

      Lippo und Mäzli fühlten, dass die Zeit zum allgemeinen Spiel gekommen war, und drängten sich nun immer näher an die Mutter heran, um ihr begreiflich zu machen, dass sie nun einmal auch wieder etwas von ihr wollten. Sie ordnete nun auch das Spiel an, und bald waren alle im grössten Eifer dabei.

      Aber leider geschah auch heute, was fast jeden Tag vorkam, wenn man eben im besten Zug war und alles andere vergessen hatte, so fing plötzlich die alte Uhr an der Wand überlaut zu schlagen an und schlug unerbittlich fort, bis keine Hoffnung mehr übrig blieb. Es war die Stunde, die allem Spiel ein Ende setzte und den Gesang des Abendliedes und darauf das Abtreten der Kleinen forderte. So wurde denn trotz aller Einwände das angefangene Spiel wohl zu Ende gebracht, aber kein neues mehr begonnen, und während nun die älteren Kinder die Spielsachen zusammenräumten, ging die Mutter zum Klavier, um das Lied aufzuschlagen, das gesungen werden sollte.

      Mäzli war ihr schnell nachgelaufen: »Darf ich auch einmal das Lied aussuchen, das man singen soll, Mama?« fragte es angelegentlich.

      »Gewiss, wenn dir ein Lied besonders lieb ist, so darfst du es nennen«, erlaubte die Mutter.

      Mäzli ergriff sehr geschäftig das Gesangbuch.

      »Aber Mäzli, du kannst ja nicht lesen«, sagte die Mutter,

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