Der Sufi-Weg. Osho
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Jede Religion ist nur so lange lebendig, als in ihr der Sufismus lebendig ist. Eine Religion stirbt, sobald sie den Geist, den Sufi-Geist, ausgehaucht hat. Jetzt bleibt nur noch der Leichnam zurück – mag er noch so schön hergerichtet sein mit Philosophien, Metaphysik, Dogmen und Doktrinen. Sobald eine Religion den Sufismus ausgehaucht hat, riecht sie nach Verwesung. Das war immer so. Und es geschieht auch jetzt fast überall auf der ganzen Welt. Wenn man nicht aufpasst, schleppt man sich noch lange mit einem toten Körper ab.
Aus dem Christentum ist der Sufismus heute verschwunden. Es ist eine tote Religion. Die Kirche hat sie umgebracht. Wenn die „Kirche“ überhand nimmt, muss der Sufismus den Körper verlassen. Er verträgt sich nicht mit Dogmen. Er verträgt sich nicht mit Theologie. Sie sind schlechte Weggenossen. Und mit Päpsten und Priestern hält er es überhaupt nicht aus. Sie sind sein absoluter Gegensatz! Der Sufismus hat keine Päpste und Priester nötig; er braucht keine Dogmen. Er hat nichts mit dem Kopf zu tun, sondern ist eine Sache des Herzens. Das Herz ist seine Kirche – keine organisierte Kirche, denn jede Organisation ist vom Verstand bestimmt. Und wenn erst einmal der Kopf das Regime übernimmt, dann muss das Herz ohne Widerrede die Stellung räumen. Das Haus ist für das Herz zu eng geworden. Es braucht den weiten, offenen Himmel. Alles andere ist ihm zu eng. Man kann das Herz nicht in Kirchen einsperren. Die Schöpfung ist die einzige Kirche, die es kennt. Nur unter freiem Himmel kann es schlagen. Nur in Freiheit kann es schlagen. Aber wird es in ein System eingezwängt, in eine organisierte Machtstruktur, ein Ritual, dann stirbt es… dann entschlüpft der „Sufi-Geist“ ganz einfach.
Jesus wurde vom Christentum ermordet. Die Juden haben es nicht geschafft. Sie haben ihn natürlich gekreuzigt, aber umsonst. Töten konnten sie ihn nicht. Er überlebte die Kreuzigung. Das ist die Bedeutung der Auferstehung. Nicht etwa, dass Jesus körperlich überlebte, sondern die Kreuzigung erwies sich als Fehlschlag. Die Juden konnten ihn nicht töten. Sie versuchten es, aber Jesus überlebte. Was den Juden nicht gelang, erledigten die Christen. Sie töteten ihn ohne Kreuzigung. Sie brachten ihn mit Gebeten um. Sie brachten ihn mit Dogmen um. Sie brachten ihn durch kirchliche Organisation um. Den Anhängern ist gelungen, was den Feinden nicht gelang. Den Aposteln gelingt, was den Feinden misslingt.
Das Christentum ist heute tot, weil es kein Herz für den Sufismus hat. Es hat vor dem Sufismus Angst. Alle dogmatischen Religionen haben vor ihm Angst, weil der Sufismus für die totale Freiheit steht – ohne Einschränkung, ohne Grenzen. Er hat mehr mit Liebe und weniger mit logischen Spitzfindigkeiten zu tun. Er hat mehr mit Poesie, und weniger mit Prosa zu tun. Er ist irrational.
Kein Wunder, dass jede rationale Theologie Angst vor ihm hat. Wenn man dem Irrationalen erstmal Tür und Tor öffnet, weiß niemand, wo das hinführen wird. Und vergesst nicht: Gott selber ist irrational, und das ist auch wunderschön so, sonst wäre Gott nämlich Philosophieprofessor an irgendeiner Universität, oder irgendwo Papst oder Oberpriester – aber nicht das Universum selber.
Der Sufismus ist schon manchen Tod gestorben, in manch einer Religion. Auch der Jainismus ist so eine tote Religion. Es gab eine Zeit, da lebte er in vollen Zügen und schenkte einem so bedeutenden Mystiker wie Mahavir das Leben. Dann aber plötzlich versiegte der Strom und ließ nur ein trockenes Flussbett zurück. Da fließt jetzt kein Wasser mehr, und die Ufer grünen nicht mehr. Der Jainismus ist zur Wüste geworden – öd und verlassen. Wie konnte es dazu kommen? Die Jainas waren zu intellektuell, zu mathematisch, zu logisch geworden. Sie konnten das Geheimnis, das Mahavir umgab, nicht auf sich beruhen lassen und schufen dogmatische Systeme aus Lehrsätzen und Beweisen. Dadurch wurden sie zu berechnend, zu clever, und töteten so den Geist.
Aus dem Christentum musste sich der Sufismus deshalb zurückziehen, weil allmählich alles zum Ritual gemacht wurde. Aus dem Jainismus musste er sich zurückziehen, weil alles zu kopflasstig wurde, weil zuviel Gewicht auf Philosophie und Theologie gelegt wurde.
Vergesst es nicht: der Sufismus ist keine Kirche. Und er gehört keiner Religion an. Aber alle Religionen, sofern sie lebendig sind, gehören zum Sufismus. Er ist der weite Himmel, der sich über ein ganz bestimmtes Bewusstsein spannt.
Was bedeutet das? Wie wird man ein Sufi? Jedenfalls nicht, indem man einem ganz bestimmten Orden beitritt; sondern indem man sich vom Kopf zum Herzen fallen lässt. So wird man zum Sufi. Man kann sein Leben von zwei verschiedenen Punkten her leben. Entweder man lebt vom Kopf her – das bringt Erfolg in der Welt. So kommt man zu Reichtum, Ansehen, Macht. Zum Beispiel wird man ein erfolgreicher Politiker. In den Augen der Welt wird man so zum beispielhaften Vorbild. Innen allerdings scheitert so einer völlig, scheitert er restlos – denn der Kopfmensch kann die Innenwelt nicht betreten. Der Kopf orientiert sich nach außen; er öffnet sich für das „Andere“. Das Herz geht nach innen; es öffnet sich zu dir selber hin. Und man kann entweder als Kopfmensch leben oder man kann als Herzensmensch leben. Wenn sich deine Energie, deine Lebensenergie, vom Kopf zum Herzen verlagert, wirst du zum Sufi.
Ein Sufi ist ein Mensch des Herzens, ein Mensch der Liebe. Er ist jemand, der sich keine Gedanken darüber macht, wo dieses Universum herkommt, der sich nicht darum kümmert, wer es erschaffen hat, der nicht fragt, wo die Reise hingeht. Ja, ein Sufi stellt überhaupt keine Fragen – nein, er fängt lieber gleich zu leben an. Das Dasein ist da: nur Narren befassen sich mit der Frage, woher es kommt. Ich sage: nur Narren. Sie mögen sich noch so sehr mit klugem philosophischem Abrakadabra tarnen, aber Narren sind sie trotzdem. Ein weiser Mensch lebt das Leben. Es findet hier und jetzt statt. Warum sich also darüber Gedanken machen, wo das Leben herkommt? Wen kümmert es dann, woher es kommt? Ob es nun jemand geschaffen hat oder nicht, ist doch völlig irrelevant. Du bist da, in dir pocht ein Herz, in deinen Adern fließt Leben – tanze mit der Schöpfung! Lebe das Leben! Sei es! Und öffne ihm und seinem unendlichen Geheimnis dein ganzes Inneres.
Und das Wunder ist: einer, der sich nicht fragt, woher es kommt, einer, der überhaupt nicht fragt – genau der erhält Antwort. Ein Mensch, der nicht neugierig ist, sondern lieber gleich das jetzige Leben feiert – der es feiert, ohne wie und was und warum zu fragen – der stößt plötzlich auf die Quelle, auf den Ursprung, auf den Angelpunkt aller Dinge. Anfang und Ende treffen sich in ihm selbst – denn nun ist er zum Mysterium geworden.
Jetzt ist das Mysterium nicht länger etwas „da draußen“, ein Gegenstand, um den man immerzu kreist, den man beäugt und von außen beguckt und begutachtet. Nein – das führt zu gar nichts, so geht man immer nur daran vorbei. Ihr könnt bis in alle Ewigkeit im Kreis herumgehen, aber damit dringt ihr niemals bis zur Mitte vor. Wie könnt ihr sie jemals so kennen lernen? Ihr geht um den heißen Brei herum! Ihr wollt in die Mitte vorstoßen, indem ihr auf der Kreislinie bleibt. Es geht aber leider nicht anders: ihr müsst schon selber in den Kreis eindringen und bis zur Mitte vorstoßen… selber zur Mitte werden. Und das ist möglich: denn du bist Teil der Mitte.
Ja, du kannst zur Mitte werden, denn sie ist Teil von dir… Dann plötzlich lösen sich alle Fragen in Rauch auf. Plötzlich ist die Antwort da. Nicht etwa, dass ihr endlich die Lösung eurer Probleme gefunden hättet. Nein. Es gibt überhaupt keine Probleme mehr. Und wenn es keine Probleme gibt, habt ihr zum ersten Mal eure ganzen Kräfte voll zur Verfügung: die Kraft, jenes Geheimnis zu leben, das sich Leben nennt; die Kraft, Gott zu leben; die Kraft, selber Gott zu sein.
Ein berühmter Sufi – vielleicht kennt ihr seinen Namen schon – Al Hillaj Mansoor – wurde von den Muslimen getötet, weil er gesagt hatte: „Anal Hak“ – Ich bin Gott. Wer in das Geheimnis des Lebens eindringt, ist kein Beobachter mehr, denn ein Beobachter ist immer ein unbeteiligter Außenseiter; nein, man verschmilzt mit ihm. Du schwimmst nicht etwa im Fluss, du treibst nicht etwa mit der Strömung, du kämpfst nicht etwa gegen sie an – nein, du wirst zum Fluss. Plötzlich erkennst du: die Welle gehört untrennbar zum Fluss. Wir sind nicht nur Teil von Gott – Gott ist auch Teil von uns.
Als Al Hillaj Mansoor erklärte: „Ich bin