Der Sufi-Weg. Osho
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Was taten also diese Leute, diese Fanatiker und orthodoxen Dogmatiker? Sie argumentierten so: Gott hat den Menschen erschaffen, der Mensch ist also nur Kreatur, niemals der Schöpfer selbst; also ist es Gotteslästerung – eine unerhörte Gotteslästerung, die schlimmste, die es geben kann – zu behaupten, man sei selber Gott. Also töteten sie ihn…
Und was sagte Mansoor, während sie ihn umbrachten? Er rief laut zum Himmel: „Du kannst mich nicht täuschen! Selbst in diesen Mördern kann ich dich erkennen – du kannst mich nicht täuschen. Du bist hier, sogar in diesen Mördern! Gleich in welcher Form du kommst, mein Gott, ich erkenne dich doch, denn ich habe dich längst erkannt.“
Der Sufismus denkt nicht über das Dasein nach – Sufismus heißt, das Dasein selbst zu sein. Er denkt nicht nach und greift nicht irgendwie in das Dasein ein. Er ist weder Gedanke noch Tat. Er ist Sein. Und jetzt in diesem Augenblick kannst du ohne weiteres Sufi sein.
Wenn du zu denken aufhörst und dich von der Zwangsvorstellung, irgendetwas tun zu müssen, wenn du also die fixe Idee aufgeben kannst, ein denkender und tätiger Mensch sein zu müssen, wenn du dich damit begnügst, einfach nur zu sein – dann ist plötzlich ein Sufi aus dir geworden. Und allein darum geht es mir bei diesen Gesprächen über den Sufismus: nicht darum, euch zu indoktrinieren oder euch noch gescheiter zu machen, sondern darum, euch in Sufis zu verwandeln.
Die Sufis singen; sie predigen nicht. Denn das Leben ist ein Lied und keine Kanzelpredigt. Und sie tanzen, anstatt über Dogmen zu reden, denn Tanz ist lebendig, das Tanzen ist der Schöpfung viel näher – den Vögeln, die in den Bäumen zwitschern, dem Wind, der durch die Föhren rauscht. Tanzen ist wie das Rauschen des Wasserfalls, wie das Niederprasseln des Regens, wie das Gras, das wächst. Das ganze Leben ist ein Tanz, bebend und pulsierend vor unerschöpflicher Lebendigkeit.
Die Sufis tanzen gern. Sie interessieren sich nicht für Dogmen. Und schöne Geschichten erzählen sie. Das Leben ist nicht Geschichte, sondern eine Geschichte. Und die Sufis haben herrliche kleine Geschichtchen erfunden. Sie sind leicht misszuverstehen, wenn man nicht tiefer blickt. Oberflächlich betrachtet sind sie eher wie ganz gewöhnliche Anekdoten. Aber wenn ihr tiefer blickt, sind Sufi-Geschichten voll Bedeutung, sind sie voll von bedeutsamen Hinweisen auf die höchsten und letzten Dinge. Ich werde euch also ein paar von diesen Geschichten erzählen und sie im Einzelnen besprechen, damit ihr zu diesem versteckten Kern vordringen könnt. Aber auch, damit ihr ein paar Dinge über das Herz verstehen lernt; und damit ihr ermuntert werdet, mit eurer ganzen Energie, eurem ganzen Wesen die Reise zum Herzen anzutreten.
Um euch einen Anstoß zu geben – denn ihr werdet Angst bekommen! Das Herz ist das allergefährlichste Ding von der Welt. Jede Kultur, jede Zivilisation, jede so genannte Religion sorgt dafür, dass schon die Kinder den Kontakt mit dem Herzen verlieren. Es ist so gefährlich! Alles, was gefährlich werden kann, kommt aus dem Herzen. Der Verstand ist sicherer, mit dem Verstand kennt man sich aus. Mit dem Herzen kennt sich kein Mensch aus. Mit dem Verstand lässt sich alles berechnen, vermessen, abwägen. Und man hat immer die Masse hinter sich, vor sich, neben sich. Die meisten halten sich nur an den Verstand; er ist eine Autobahn – zementiert, solide, man fühlt sich sicher. Mit dem Herzen bist du allein. Keiner ist bei dir. Die Angst packt dich, ergreift Besitz von dir. Wohin geht die Reise? Du weißt es jetzt nicht mehr. Solange du noch mit der Masse auf der Autobahn fährst, glaubst du zu wissen, wohin die Reise geht, weil du denkst, ‚die andern werden es schon wissen.‘
Und den andern geht es ganz genauso. Jeder denkt – wenn so viele Leute in diese Richtung laufen, muss es ja irgendwo hingehen. Warum wären sonst so viele Menschen unterwegs? Tausende und Abertausende – irgendwo müssen sie ja hin wollen! Und so denkt jeder! Aber in Wirklichkeit geht die Reise nirgends hin.
Eine Masse ist noch nie irgendwo angekommen. Aber Massen sind ununterbrochen unterwegs. Du wirst geboren – in die Masse hinein. Und die Masse war schon unterwegs, als du noch nicht geboren warst. Und irgendwann bist du erledigt und stirbst, und die Masse rennt weiter, denn immerzu werden neue Menschen geboren. Die Masse kommt nie an! – aber sie gibt dir ein Gefühl von Geborgenheit. Du fühlst dich wie in Watte gepackt, du bist ja von so vielen Leuten umringt, die klüger sind als du, älter und erfahrener. Die werden schon wissen, wo die Reise hingeht – mit ihnen bist du sicher.
Aber sobald du anfängst, zum Herzen hinabzufallen… Und es ist ein Fallen, wie wenn man in einen Abgrund fällt. Deshalb heißt es im Englischen, wenn man sich verliebt, ‚falling in love‘. Es ist ein Fall – für den Kopf ist es wie ein Fall, eine Verirrung, ein Verrat.
Wenn du beginnst, zum Herzen hinunterzufallen, wird es einsam um dich, denn dorthin kann dir niemand folgen. Nur du – in deinem totalen Alleinsein. Dir wird ängstlich und furchtsam zumute sein. Jetzt weißt du nicht, wohin die Reise geht, denn es ist niemand sonst da, und Kilometersteine gibt es nicht. Es gibt noch nicht einmal einen festen Weg. Das Herz wurde nie vermessen, nie befahren, es gibt keine Wanderkarten.
Eine nie gekannte Angst überkommt dich. Und meine ganze Anstrengung geht dahin, euch die Angst zu nehmen, denn nur durch das Herz kommt ihr zur Neugeburt. Aber bevor ihr neugeboren werden könnt, müsst ihr sterben. Keiner kann neu geboren werden, bevor er nicht gestorben ist. Sufismus, Zen, Chassidismus – alles Formen des Sufismus – lehren nur dies eine: wie man stirbt; die Kunst zu sterben ist das eigentliche Fundament. Ich lehre euch hier nichts anderes als das: die Kunst zu sterben.
Wenn du stirbst, öffnest du dich den unendlichen Quellen des Lebens. Du stirbst tatsächlich in der Form, in der du gegenwärtig lebst. Denn sie ist zu eng geworden. Du kannst gerade noch in ihr überleben – aber leben kannst du nicht. Die ungeheuren Möglichkeiten des Lebens sind dir total verschlossen, und du fühlst dich eingekerkert, eingeengt. Überall stößt du auf Schranken und Grenzen. Wohin du dich wendest – Mauern, Felswände. Eine einzige Mauer.
Ich will nichts anderes, als euch helfen, diese Mauern niederzureißen. Aber sie sind nicht aus Stein – sie sind aus Gedanken. Und kein Stein ist so hart wie Gedanken. Eure Mauern sind aus Ideologien gebaut, aus Bibeln. Ihr seid von ihnen umzingelt. Und ihr schleppt sie mit euch herum, wohin ihr auch geht. Ihr tragt euer Gefängnis mit euch herum. Es klebt ständig an euch. Wie könnt ihr es einreißen?
Diese Mauern zu durchbrechen, wird euch wie Sterben vorkommen. Und in gewisser Weise stimmt das auch, denn du verlierst deine gegenwärtige Identität dabei. Was du jetzt bist, bist du dann nicht mehr. Plötzlich ist etwas anderes da…
Es war schon immer da, verborgen in dir, nur hast du es nicht gewusst. Ein plötzlicher Sprung – das Alte ist nicht mehr, und etwas absolut Neues ist eingetreten. Dieses Neue hängt mit dem Alten nicht zusammen. Darum ist es richtig, von einem Tod zu sprechen. Es gibt keinen Zusammenhang – eine Lücke klafft. Und wenn du zurückschaust, kommt dir alles, was vor dieser Wiederauferstehung lag, unwirklich vor. Du glaubst, du hättest geträumt. Oder ein anderer hätte dir seine Geschichte erzählt – mit dir jedenfalls hat sie nie etwas zu tun gehabt; es muss ein anderer gewesen sein. Das Alte verschwindet vollkommen. Darum sprechen wir von einem Tod. Eine absolut neue Welt zeigt sich dir. Und wenn ich sage „absolut“, dann meine ich „absolut“. Sie hat mit der alten Welt nicht das Geringste gemeinsam, sie ist nicht das Altbekannte in neuem Gewand. Es ist eine Transfiguration. Aber ohne die Bereitschaft zum Tod ist Transfiguration nicht möglich. Sufismus ist Tod und Transfiguration. Deshalb nenne ich ihn die Religion. Lasst uns jetzt auf diese wunderbare Geschichte eingehen.