Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
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Er warf einen Blick auf Hubert.
»Und dann müssen wir beten, daß es nicht schlimmer wird mit ihm.«
Abwechselnd stützten sie den Kranken, während sie den Weg zur Hütte suchten. Bei einigen machten sich die Anstrengungen der Wanderung jetzt auch bemerkbar. Sie rangen nach Luft, und Pausen mußten öfter eingelegt werden.
Das Gewitter setzte schließlich schneller ein, als sie erwartet hatten. Es überraschte sie, als die Männer gerade wieder weitergehen wollten. Bis zur Hütte mußte es nach ihrer Einschätzung noch eine gute Stunde zu laufen sein. Der Himmel öffnete seine Pforten, und der Regen fiel sintflutartig zur Erde. Dazu blitzte und krachte es, und jeder Donner hallte als vielfaches Echo von den Bergen zurück.
All dies war noch nicht so schlimm. Das größte Übel war, daß es urplötzlich dunkel wurde und man kaum mehr die Hand vor den Augen sehen konnte. Es war mehr ein Tasten, als ein Gehen, und jeder Schritt mußte genau abgewägt werden.
Die Gruppe hatte einen schmalen, vom Regen ausgewaschenen Pfad betreten. Vorsichtig, jeden Fuß einzeln vor den anderen setzend, kam sie voran. Dabei mußten sie noch mehr auf Hubert Brunnenmayr acht geben, der immer noch gestützt wurde. Seine Kräfte alleine reichten nicht mehr aus.
Ewald Obermeyer, der als letzter ging, trug den Rucksack mit den Resten des Proviants und den Wanderkarten über der rechten Schulter. Wie alle anderen, war er bis auf die Haut durchnäßt. Der Regen war so stark, daß er sogar die Windjacken durchdrungen hatte. Die Gruppe schob sich langsam über den Pfad, rechts davon ging es in die Tiefe. Aufgrund der Dunkelheit konnte man nicht erkennen, wie tief es hinunter reichte. Ewald tastete sich langsam an der Felswand entlang, seine Finger rutschten über den nassen Stein. Plötzlich blendete ihn ein greller Blitz, und für einen Moment achtete er nicht darauf, wohin er trat. Sein rechte Fuß trat ins Leere. Ewald schrie auf und griff instinktiv nach einem Halt. Er bekam seinen Vordermann zu packen und krallte sich an ihm fest. Dabei rutschte der Rucksack, der nur locker über der Schulter gehangen hatte, herunter und glitt von seinem Arm. Vergeblich versuchte Ewald, danach zu greifen, er konnte nicht verhindern, daß der Rucksack in der Tiefe verschwand.
Der Vordermann hatte ihn festgehalten. Zitternd lehnte Ewald an dem Felsen und atmete tief durch.
Irgendwo dort unten, wo der Rucksack lag – dort hätte auch er liegen können…
*
Mit merkwürdig weichen Knien stieg Max Trenker aus seinem Dienstwagen. So lange wie möglich hatte er den Besuch auf dem Leitnerhof hinausgeschoben, doch nun gab es kein Zurück.
Beinahe drohend stand das alte Bauernhaus vor ihm in der Abenddämmerung. Keine Menschenseele war zu sehen, und über dem Hof lagen dunkle Wolken. Es schien sich ein Unwetter zusammenzubrauen – und Max hatte das unbestimmte Gefühl, nicht nur über dem Leitnerhof, auch über seinem Kopf könnte heute ein Donnerwetter niedergehen.
Langsam ging er zum Haus hinüber und klopfte an die Tür. Er mußte nicht lange warten, schon nach wenigen Sekunden wurde ihm geöffnet.
»Grüß’ dich, Max«, sagte Vinzenz Leitner und streckte ihm die Rechte entgegen. »Komm herein.«
Max war zwar mit dem Dienstwagen gekommen, trug aber Zivil. Damit es nicht allzu feierlich wirkte, hatte er sich allerdings leger gekleidet. Der gute Anzug hing zu Hause im Schrank.
Vinzenz führte den Gendarm in das Wohnzimmer. Max machte große Augen, als er den gedeckten Kaffeetisch sah.
»Grüß Gott, miteinander«, nickte er.
Um den Tisch herum saßen Monika und Resl Leitner. Ein Gedeck war für den Besucher vorgesehen. Es stand neben Theresas. Max hatte keine andere Wahl, als sich neben das Madel zu setzen. Resl strahlte ihn liebevoll an, und ihr Bruder schmunzelte so merkwürdig, daß es Max immer unbehaglicher wurde.
Monika Leitner schenkte Kaffee ein, und Resl verteilte den Kuchen. Dabei achtete sie darauf, daß Max ein besonders großes Stück bekam. Sie unterhielten sich über dieses und jenes, und Max glaubte schon, einem Irrtum unterlegen zu sein. Offenbar hatte er Resl am Telefon falsch verstanden, und die Einladung hatte gar nichts mit der Geburtstagsfeier und dem, was da zwischen ihm dem Madel gewesen war, zu tun.
Erleichtert aß er seinen Kuchen und sagte auch nicht nein, als ihm ein zweites Stück angeboten wurde. Schließlich kam das Unausweichliche dann doch auf ihn zu.
Die beiden Frauen erhoben sich.
»Wir lassen euch jetzt alleine«, sagte Monika. »Ihr habt ja einiges zu besprechen.«
Resl blinzelte Max zu und folgte ihrer Schwägerin nach draußen. Vinzenz stand ebenfalls auf. Er ging an den alten Bauernschrank und holte eine Flasche Enzian und zwei Gläser heraus. Damit kam er an den Tisch zurück.
»So, Max«, sagte er, nachdem er den Schnaps eingegossen und seinem Gast ein Glas hingestellt hatte, »jetzt wollen wir mal über den eigentlichen Grund für diese Einladung reden.«
Er setzt sich wieder, während dem Polizisten immer mulmiger zumute wurde.
»Obwohl«, winkte Resl’s Bruder ab, »soviel zu bereden gibt’s ja auch wieder net. Wie die Resl sagt, seid ihr euch einig. Was soll ich mich da noch groß einmischen. Geld genug verdienst du, um eine Familie zu ernähren, und eine kleine Mitgift bekommt das Madel natürlich auch.«
Er hob sein Glas und prostete Max zu.
»Also, als Schwager bist mir willkommen. Meinen Segen habt ihr, und den von der Mutter werdet ihr auch bekommen.«
Max hatte sein Glas nicht angerührt. Er räusperte sich. »Also, wenn ich da auch mal was sagen dürft’… ich… ich glaub’, da liegt ein Irrtum vor…«
Vinzenz Leitner beugte sich vor und schaute ihn aus großen Augen an.
»Was? Wie meinst’ denn das, ein Irrtum?«
»Ja,… ich glaub’, die Resl, die…, also, ich weiß net, aber wir haben doch nur getanzt«, stammelte er.
Vinzenz stand auf und baute sich vor Max auf. »Nur getanzt?« brüllte er so laut, daß der arme Max unwillkürlich zusammenzuckte. »Willst du etwa bestreiten, daß ihr euch geküßt habt? Daß du ihr dein Herz schenken wolltest, daß du ihr die Ehe versprochen hast? Ist das alles net wahr?«
Max hob beschwichtigend die Hände.
»Ein Busserl vielleicht«, gab er zu. »Aber das war doch ganz harmlos.«
»So, harmlos nennst du das, einem Madel die Ehre zu nehmen und es dann sitzenzulassen«, rief Vinzenz Leitner, immer noch erregt. »Weißt du, wie man das nennt, Max Trenker? Brechen eines Eheversprechens nennt man das, und das kommt dich teuer zu stehen. Jawohl!«
Max sprang jetzt auch auf.
»Ich hör’ mir diesen Unsinn net mehr länger an«, sagte er empört. »Ich laß’ mich doch net für etwas verantwortlich machen, das ich gar net zu verantworten habe.
Hör’ zu, Leitner-Bauer, da war nix mit deiner Schwester, und da wird auch nie ’was mit ihr sein. Ich fahr’ jetzt heim, und wenn ich noch einmal diesen Quatsch höre, dann steck’ ich dich wegen groben Unfugs in die Zelle.