Seelische Erkrankungen bei Menschen mit Behinderung. Walter J. Dahlhaus

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Seelische Erkrankungen bei Menschen mit Behinderung - Walter J. Dahlhaus aethera

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Wortsinn als »Dienst« am anderen neu verstanden wird, an seinem Werden, seiner Entwicklung und Entfaltung. Walter Dahlhaus schuf nichts weniger als ein Schulungsbuch, auf der methodischen Suche nach dem »inneren Ort« des anderen, des »gemeinten Menschen« in seiner »geheimen Gestalt« (Viktor Frankl). »Es kommt darauf an, etwas bis dahin Unbeachtetes beachtlich zu finden, den Blick auf Möglichkeiten zu lenken«, schrieb einst der Psychiater Karl Jaspers in der Einführung zu seiner Allgemeinen Psychopathologie.

      Das Werk ist zutiefst ermutigend. Es weist nach, wie weit man im Verstehen des vordergründig Unverständlichen und Fremden kommen kann und welche Möglichkeiten der neuen »Beheimatung« sich dadurch erschließen, in einer gemeinsamen, menschlichen Welt. Als Betroffene, Angehörige, Begleiter und Therapeuten ergeben sich uns vor diesem Hintergrund Perspektiven, mit denen wir praktisch arbeiten und in die Zukunft gehen können. Die Salutogenese-Kategorien von Aaron Antonovsky wendet die vorliegende Schrift daher vollkommen zu Recht auch auf diejenigen an, die sich, solchermaßen mit neuen Grundlagen versehen, in der Begleitung und Förderung der Betroffenen engagieren, mit einem neuen »Gefühl der Verstehbarkeit«, der »Handhabbarkeit« und »Sinnhaftigkeit«. Walter Dahlhaus steht in seiner ärztlichen und psychotherapeutischen Arbeit nicht nur seit Jahrzehnten erkrankten oder bedürftigen Menschen und ihren Freunden und Angehörigen bei, sondern auch den therapeutischen Gemeinschaften, die sich um sie kümmern. In dem Buch wird für alle Leser fassbar, was er ihnen zu geben vermag – oder anders: was eine vertiefte Menschenerkenntnis und Beziehungsbereitschaft zu geben vermag.

      Ein zentrales, wenn auch nur verhalten ausgesprochenes Anliegen des Buches ist es, Seelenpflege-bedürftige Menschen in krankheitsbedingten Lage-Zuspitzungen an ihrem Ort, ihrem zur Heimat gewordenen Ort halten zu können. Wir können lernen, ihr herausforderndes Verhalten in Krisenlagen besser zu verstehen und ihnen anders beizustehen. Sie sind gefährdeter in ihrer Konstitution und es gehört viel Erfahrung, aber auch ein »in Liebe vertiefter Blick« (Steiner) dazu, ihnen in Notlagen gerecht zu werden, ihre »Verhaltensstörung« nachvollziehen und behandeln zu können, ihnen die Treue zu halten. Folgt man den Ratschlägen dieses Buches, so wird dies in sehr vielen Fällen in Zukunft möglich sein.

      Die Würdigung des Werkes sollte vor dem Hintergrund einer Jahrhundertgeschichtsschreibung erfolgen – was für ein Weg von Alfred Hoches und Karl Bindings Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens (1920) zu diesem Buch, einem Buch der Auferstehung aus schwersten Niederungen, des Genozids und der Krankenmorde. »Die Begründung des Lebenswertes liegt im Leben selbst«, betont der Autor, und nicht zuletzt seine »menschenkundlichen Reflexionen« zeigen auf, welchen Fortschritt die Humanität in den letzten Jahrzehnten, nach furchtbaren Verfinsterungen, genommen hat. Auf der anderen Seite ist uns deutlich, wie gefährdet und bedroht humanistische Positionen in einer technisierten Hochleistungsgesellschaft noch immer sind, die nur sehr bedingt Abstand vom Selektionsprinzip genommen hat. Das große »Ja des Sein-Dürfens«, das dem Menschen »nur von menschlicher Person zu menschlicher Person gewährt werden kann« (Buber), braucht in der Gegenwart wache und mutige Befürworter. Die Geschichten von Einzelnen, die in die Kapitel des Buches eingefügt sind, handeln in oft tief berührender Weise davon. Sie handeln letztlich von der unantastbaren Würde des Menschen, jedes Menschen in jeder Gestalt. »Die Gesellschaft sollte ihre Meinung gegenüber Menschen mit einer Schwäche überdenken«, so zitiert Walter Dahlhaus aus dem Text eines Betroffenen, einem der vielen »Lehrmeister von Eindeutigkeit und Aufrichtigkeit«.

       Freiburg, Februar 2020

       Peter Selg

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       Einleitung – Warum ein solches Buch?

       Man kann kaum einem Menschen seelisch etwas sein, in dessen Innenlage man sich nicht versetzen kann.

       Rudolf Steiner

      Vor dem Hintergrund meiner Tätigkeit als Heilpädagoge sowie meiner daran anschließenden psychiatrisch-psychotherapeutischen Ausbildung stellt die Behandlung von Menschen mit Assistenzbedarf, die zusätzlich an einer seelischen Erkrankung leiden, seit mehr als zwanzig Jahren den Schwerpunkt meiner ärztlich-psychiatrischen Praxis dar. So durfte ich einen großen Kreis Betroffener – Kinder, Jugendliche und Erwachsene – kennenlernen und als Arzt begleiten. Wichtige Erfahrungen eröffnete mir dabei die häufig langjährige, zum Teil jahrzehntelange Begleitung dieser Menschen.

       besonderes Umfeld

      Die oft große Not vieler dieser Menschen hat mich betroffen gemacht. Menschen mit Assistenzbedarf leben praktisch immer in einem besonderen Umfeld – in einem heilpädagogischen Rahmen wie Kindergarten oder Schule oder im sozialtherapeutischen Bereich bzw. im Zusammenhang einer WfbM, einer Werkstatt für behinderte Menschen. Zusätzlich steht dieser Personenkreis in einem weiteren unterstützenden Bezugsrahmen wie Heim, Tagesstätte oder betreuten Wohnstrukturen. Daneben gibt es noch das familiäre Umfeld. Hier habe ich unterschiedliche Beziehungsstrukturen kennengelernt. Menschen mit kognitiven Einschränkungen und Assistenzbedarf erfahren teilweise durch Eltern und Geschwister eine entscheidende Förderung und Unterstützung. Gerade auch bedingt durch den Umstand, dass Mitarbeiter heilpädagogischer und sozialtherapeutischer Institutionen häufig nur begrenzte Zeit verweilen, kann der familiäre Hintergrund oft Garant von Kontinuität sein.

       Überforderung von Angehörigen

      Daneben habe ich wiederum Angehörige erlebt, die durch das So-Sein der Betroffenen – gerade auch wenn zusätzlich eine seelische Erkrankung besteht – überfordert waren.

      Dies bedingt, dass ich die betroffenen Menschen fast ausschließlich im Zusammenhang mit ihren Begleitern aus dem fachlich-institutionellen wie auch aus dem familiären Hintergrund betreue.

       Not der Begleiter

      Die Not der Erkrankten ist fast immer auch eine Not der Begleiter. Dies führte in den vergangenen Jahren dazu, dass ich für Kollegien heilpädagogischsozialtherapeutischer Einrichtungen, auf Fortbildungen und Tagungen sowie in Ausbildungsstätten vermehrt Weiterbildungsangebote über den Zusammenhang »seelische Erkrankungen bei Menschen mit Intelligenzminderung« gestaltet habe.

       hilfreiche Strukturen schaffen

      Es galt und gilt, für diese Thematik zu sensibilisieren – um darauf aufbauend anzuregen und zu unterstützen, dass hilfreiche Strukturen geschaffen werden können, die den Bedürfnissen der Betroffenen angemessen sind. Auf diesem Boden können dann weitere therapeutische Maßnahmen angewendet werden.

      Die in diesem Zusammenhang in mehr als 20 Jahren gesammelten Erfahrungen sind in dieses Buch eingeflossen.

      Mein Schreiben ist getragen von der Hoffnung, dass ein größeres Wissen über seelische Erkrankungen helfen kann, sich entwickelnde Krankheiten früher zu erkennen, um möglichst früh möglichst hilfreiche Bedingungen – persönlicher wie struktureller Art – für die Betroffenen wie auch für die Begleiter gestalten zu können.

      Allzu lange ist dieser Zusammenhang – das gleichzeitige Auftreten von intellektueller Beeinträchtigung und psychischer Erkrankung – nicht hinreichend wahrgenommen worden. Viele herausfordernde Verhaltensweisen von Betroffenen wurden unter dem Begriff der »Verhaltensstörung« be- und verurteilt. So wurde oft versäumt, die wirklichen Ursachen, den zielführenden Grund des Verhaltens, aufzusuchen, um adäquate Hilfen, Therapien und positive Strukturen anzubieten und aufzubauen. Oft ist übersehen worden, dass für viele Menschen mit kommunikativer und intellektueller Beeinträchtigung

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