Sprachwitze. Robert Sedlaczek

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Sprachwitze - Robert Sedlaczek

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von Beginn an als Ehefrau mit. Aber natürlich war sie ein Emporkömmling, allerdings – wenn man dem Zeitungsbericht Glauben schenkt – nicht mit einem protzenden Lebensstil. In den Salons der Stadt, wo man die über sie gemachten Witze erzählte, waren diese Fakten sicherlich bekannt.

      Die Witze hatten damals auch einen bitteren Beigeschmack. In einer Phase des aggressiven Antisemitismus unter Bürgermeister Karl Lueger entsprachen Witze über eine reiche Jüdin, die sich fortwährend blamiert, dem Zeitgeist. Die Witze hatten also eine antisemitische Wirkung, wenngleich sie von Juden erzählt, wenn nicht sogar erfunden wurden. Offensichtlich hat man deshalb irgendwann nach ihrem Tod zwei fiktive Elemente in die biografischen Angaben eingefügt: Sie sei zum Christentum konvertiert und sie habe sich im März 1938 nach dem Einmarsch der Nazitruppen aus dem Fenster gestürzt.

      Herr und Frau Pollak kommen nach Paris, steigen in einem noblen Hotel ab, und Frau Pollak trägt sich ins Gästebuch ein: Le Baron et la Baronne Pollak de Parnegg, parvenus de Vienne. (franz. venu = gekommen, parvenu = aufgekommen) (Landmann, 1988, S. 443)

      Die Frau Pollack stammte offenbar aus einem bildungsfernen Prager Elternhaus, die Geschichten, die über sie erzählt wurden, waren Übertreibungen, aber man kann davon ausgehen, dass sie einen wahren Kern hatten. Gewitzelt wurde über sie, weil sie nicht ein Bildungsniveau anstrebte, das dem sozialen Status ihres zum Großindustriellen aufgestiegenen und geadelten Mannes entsprach.

      Frau Pollak besucht eine Ausstellung: „Ich wusste gar nicht, dass der Prinz Eugen ermordet wurde!“ – „Wie kommen Sie drauf?“ – „Lesen Sie selber. Hier steht: Prinz Eugen nach einem Stich von Bernard Picart.“ (Landmann, 2010, S. 578–579 und Ott, S. 175, beide mit „Friedrich der Große“ und „Adolf Menzel“)

      ◊

      Für ihre nächste Soirée möchte Frau Pollak etwas Besonderes haben. Eine Freundin rät ihr zum Roséquartett. Nach der Soirée fragt sie, wie der Erfolg war. Darauf Frau Pollak: „Komischer Mensch, der Roséquartett. Ich habe ihn engagiert – und er hat sich gleich noch drei andere mitgebracht.“ (Landmann, 2010, S. 582; 2007, S. 281)

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      Frau Pollak hat ihre Freunde eingeladen und erzählt ihnen: „Wie wir jetzt in Venedig waren, habe ich einen fabelhaften Tizian gekauft. Aber weil die Behörden die Ausfuhr verboten haben, habe ich mir von einem Maler einen Mussolini drübermalen lassen. Wie ich das Bild hab’ abwaschen lassen, hat mir der Trottel auch den Tizian weggewaschen.“ – „Großer Gott“, sagt einer der Gäste, da haben Sie doch einen großen Schaden erlitten!“ Darauf sagt Frau Pollak: „Zum Glück war der Schaden nicht groß, denn stellen Sie sich vor: Unter dem Tizian war noch ein Bild von unserem seligen Kaiser Franz Joseph.“ (vgl. Landmann, 1988, S. 448–449) ◊

      Frau Pollak ruft ihren alten, schwerhörigen Buchhändler an: „Ich möchte ‚Die Fackel‘ abonnieren.“ Der Buchhändler: „Ich höre schlecht, wollen Frau Baronin bitte buchstabieren!“ – „Also passen S’ auf: F wie Ferd. A wie Ampire. C wie zem Beispiel. K wie Krist. E wie ebberhaupt. L wie Lektrische.“ (Landmann, 1988, S. 440)

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      Frau Pollak besucht mit ihrem Mann eine Bildergalerie. „Du Moritzleben, was stellt dieses Bild dar?“ – „Stillleben.“ – „Warum? Man wird doch noch fragen dürfen.“ (Landmann, 1988, S. 440)

      In diesem Witz heißt Frau Pollaks Ehemann nicht Leopold, sondern Moritz. Aber „Moritzleben“ und „Stillleben“ in einen Zusammenhang zu bringen, ist jedenfalls eine raffinierte Witzetechnik.

      Das angehängte „-leben“ in „Moritzleben“, „Tateleben“ etc. geht auf jiddisch leb zurück, mit der Bedeutung „mein Lieber“. So bedeutet tate leb, auch tate leben, so viel wie „lieber Vater“; „Stillleben“ wird von Frau Pollak als sei still, mein leben (= sei still mein Lieber) interpretiert. Das Herkunftswort ist mittelhochdeutsch liep, liup (= lieb). Vielleicht ist die Bedeutung auch durch hebräisch lew (= Herz) beeinflusst. (Wolf, S. 138). Dass Salcia Landmann auch das Wort „Lebkuchen“ mit hebräisch lew in Verbindung bringt, ist nicht durch Forschungsergebnisse der Sprachwissenschaft gedeckt.

      Seit wann gibt es die Frau-Pollak-von-Parnegg-Witze? Sie dürften kurz nach der Jahrhundertwende entstanden sein, wie Gaugusch aus verschiedenen Presseberichten abgeleitet hat. (Gaugusch, Bd. 2, S. 2596) In den kleinen Witzebüchern von Heinrich Eisenbach, erschienen ab 1905, heißt die neureiche und ungebildete Jüdin meist noch Baronin von Barches, Baronin Parcheweg oder Baronin Parchenek.

      „Barches“ ist die westjiddische Variante des ostjiddischen Wortes „Challa“. Es bezeichnet im 4. Buch Mose 15,17–21, wo die Erstlingsopfer beschrieben sind, den Teil des Brotteiges, der als Opfergabe abgesondert und den Priestern des Tempels gegeben wurde. Nach der Zerstörung des Tempels wurde von den Rabbinern festgelegt, dass ein kleiner Teil des Teiges auch weiterhin abzusondern ist. Da er jedoch nicht mehr den Priestern gegeben werden kann, wird er stattdessen verbrannt.

      Wenn Eisenbach im Witz „eine Baronin von Challa“ auftreten lässt, so ist damit diese Person im Publikum unverrückbar als Jüdin identifiziert.

      Bei „Baronin Parcheweg“ oder „Baronin Parchenek“ ist wiederum eine Klangähnlichkeit mit „Freiherr von Parnegg“ erkennbar. Zumindest ein Teil der Theaterbesucher wird auch diesen Hinweis verstanden haben.

      Die Baronin von Barches spricht mit einem Herrn über Reisen und der Herr sagt, er war jetzt in Italien und hat den Vesuv gesehen. Darauf sagt die Frau Baronin: „Nu, wie sieht er aus?“ Drauf sagt der Herr: „Er raucht ununterbrochen Tag und Nacht.“ Da sagt die Baronin: „Hat der gar nix anderes zu tun?“ (Eisenbach, XV, S. 8)

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      Die Baronin Parcheweg hat eine Jause gegeben und der Zucker wurde ohne Zuckerzange serviert, worauf ihr eine Dame gesagt hat: „Frau Baronin, schau’n Sie, es ist ja nichts dabei, aber man muss eine Zuckerzange haben, wenn man bedenkt, dass einige der Herren herausgeh’n, dann kommen sie herein und nehmen den Zucker mit den Fingern und das ist höchst unappetitlich.“ Bei der nächsten Jause war wieder keine Zuckerzange am Tisch und dieselbe Dame sagt: „Frau Baronin, Sie haben wieder die Zuckerzange vergessen.“ Drauf sagt die Baronin: „Ich hab’ nicht darauf vergessen. Überzeugen Sie sich selbst, am Klosett hängt e silberne Zuckerzange.“ (Eisenbach, XIX, S. 13, Landmann, 1962, S. 203, Ott, S. 26, Habres, S. 55)

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      In einer Gesellschaft bei der Baronin Parchenek wirft ein Herr die Frage auf: „Was ist der schönste Teil des Weibes? Der eine sagt: Der Mund, der andere, das Auge, ein dritter, der Fuß, wieder ein anderer, die Büste.“ Drauf sagt die Hausfrau: „Herts scho auf, sonst sagt ana wirklich das Richtige!“ (Eisenbach, XIV, S. 8–9)

      Vor allem die Witze mit sexuellen Themen werden in einer durch bürgerliche Doppelmoral gekennzeichneten Gesellschaft ein Riesengelächter ausgelöst haben – wenn sie der großartige Schauspieler Eisenbach auf der Bühne darbrachte. Nicht weniger groß wird die Lachkraft gewesen sein, wenn sie ein Leser in dem Büchlein Heinrich Eisenbach’s Anekdoten, gesammelt und vorgetragen in der Budapester Orpheumgesellschaft in Wien vorfand. Außerdem schlug sich Eisenbach mit diesen Witzen auf die Seite der ärmeren Juden – es waren also Schadenfreudewitze und Witze eines Juden „für ünsere Leut‘“.

      Aber Eisenbach wurde noch deutlicher. In zwei Witzen, die er auf der Bühne erzählte und in Buchform publizierte, kommt Frau Pollack sogar mit ihrem richtigen Namen vor – es sind die ältesten Belege eines Frau-Pollak-von-Parnegg-Witzes, die ich finden konnte. Dass es sich um eher harmlose Witze handelt, ist nachvollziehbar. Vermutlich dienten sie hauptsächlich dazu, die Verbindung zwischen der realen Frau Pollack und den Witzefiguren

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