Sprachwitze. Robert Sedlaczek

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Sprachwitze - Robert Sedlaczek

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Otto Waalkes und bei einigen anderen müsste noch geschrieben werden.

      Vielleicht sollte ich hier gleich das Problem streifen, dass man Witze nicht erklären darf. Wenn jemand in einer Gesellschaft einen Witz erzählt und anschließend die Pointe erläutert, dann hat er sich als Witzeerzähler disqualifiziert. Wer ein Buch über Sprachwitze schreibt und die dahinterstehende Technik erläutert, muss also zwangsläufig gegen dieses eherne Gesetz des Witzeerzählens verstoßen. Anders geht es leider nicht. Die eine oder andere Erläuterung habe ich in den Anhang verschoben, dort finden Sie auch Quellenangaben und zusätzliche Informationen, die den Lesefluss stören würden.

      Genauso unmöglich ist es, die Regeln der Political Correctness bei der Auswahl der Witze einzuhalten. Freud hat festgestellt, dass in Witzen häufig das zum Vorschein kommt, was üblicherweise unterdrückt wird, zum Beispiel infolge einer Hemmung, sexuelle oder aggressive Triebe auszuleben. Der Witz baut diese Hemmung kurzzeitig ab, dadurch entsteht ein Lustgewinn aus erspartem psychischem Aufwand (Freud, S. 132 ff.). Diese Auffassung wird auch als Entladungstheorie bezeichnet.

      Freuds Buch Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten gilt nicht nur als Schlüsselwerk der Psychoanalyse, sondern auch der Witzeforschung. Für mich waren vor allem jene Kategorisierungen hilfreich, die den ersten Teil seines Buches ausmachen. Fachbegriffe wie Wortmischung, Mehrfachverwendung desselben Materials, Modifikation, Verschiebung, Unifizierung, Darstellung durchs Gegenteil und Aufsitzer gehen auf ihn zurück oder wurden von ihm popularisiert.

      Freud unterscheidet zwischen Technik und Tendenz eines Witzes. Die Technik ist das Hauptthema meines Buches, aber die Tendenz spielt oft eine zusätzliche Rolle.

      Freud stellt bei den Tendenzwitzen vier Kategorien auf:

      obszöne, entblößende Witze,

      aggressive (feindselige) Witze,

      zynische Witze (kritische, blasphemische),

      skeptische Witze.

      Die Tendenz weckt Gefühle beim Zuhörer, sie ist „das Körnchen Salz“ oder „das Tröpfchen Adrenalin“, wie es Arthur Koestler formuliert (Koestler, S. 52). In obszönen Witzen geht es um Sexuelles, das gesellschaftlich tabuisiert ist, im Witz hingegen angesprochen wird – oft verklausuliert, verhüllend. Aggressive Witze richten sich gegen das Fremde oder gegen politische Gegner. Zynische Witze attackieren Grundsätze, die allgemein anerkannt sind. Zu dieser Gruppe gehören auch blasphemische Witze. In diesen werden religiöse Dogmen oder der Gottesglaube selbst angegriffen. Skeptische Witze zweifeln jede Form der Erkenntnis an, in Tierwitzen und Kinderwitzen lösen sie beim Zuhörer ein Gefühl der Rührung aus. Die meisten Flachwitze haben keine Tendenz.

      Wieso können Seeräuber keinen Kreis fahren? – Weil sie π-raten.

      Hier werden keine Gefühle angesprochen. Es geht einzig und allein darum, das Zeichen π zu verbalisieren und die Lösung „Piraten“ zu finden. Dass Seeräuber und Piraten ein und dasselbe sind, ergibt sich sofort. Wir lächeln über derartige Witze einzig und allein deshalb, weil sie uns überraschen, und der Zuhörer darf ein wenig stolz sein, dass er das Rätsel entschlüsselt hat.

      Ich habe einen Hipster ins Bein geschossen – jetzt hopster.

      Als Hipster bezeichnet man eine Person mit starkem Szenebewusstsein, womit eine Abgrenzung vom Mainstream signalisiert wird. Dies äußert sich in der Bekleidung: Flanellhemden, Hornbrillen, Schlauchschals, Röhrenjeans, Converse-Schuhe, Tätowierungen und Piercings, aber auch im Getränkekonsum: Hipster trinken Szenegetränke wie Club-Mate-Limonade. Sie verwenden Smartphones, Tablets und MacBooks.

      Der Hipster ist in diesem Witz im wörtlichen Sinn eine Zielscheibe: Auf ihn wird geschossen. Nach der analytischen Methode Sigmund Freuds ist er auch im übertragenen Sinn eine Zielscheibe: Er ist neben dem Erzähler und dem Zuhörer jene dritte Person, gegen die sich die aggressive Tendenz des Witzes richtet. Wer vom Mainstream abweicht, wird bestraft.

      Ich habe für dieses Buch sowohl alte als auch neue Witze ausgewählt, wobei die alten Witze meist Klassiker sind und bereits viele Jahre auf dem Buckel haben. Aber: Es gibt Witze, die muss man einfach kennen.

      Besonders die älteren existieren oft in verschiedenen Versionen, und dann taucht die Frage auf: „Welche ist die bessere?“ Leidenschaftliche Witzeerzähler lassen in dieser Hinsicht keine Kompromisse gelten. Sie warten, bis die Pointe fertig ist, und sagen dann: „Nein, der Witz geht ganz anders!“ – und beginnen ihn neu zu erzählen.

      Wenn man die äußerst umfangreiche wissenschaftliche Literatur über Witze und die Witzesammlungen durchsieht, fällt auf, dass einzelne Witze immer wieder in verschiedenen Abwandlungen auftauchen. Aber schon kleine Änderungen können einen Witz beschädigen oder völlig zerstören. In diesem Buch werden Sie einige Beispiele dafür finden.

      Oft ist auch das subjektive Empfinden ganz entscheidend. Ich meine, dass sich Witze durch Kürze und Zielstrebigkeit auszeichnen sollen. Hans-Martin Gauger, ein langjähriger Professor für Romanistik an der Universität Freiburg im Breisgau und der einzige Wissenschafter, der sich in den letzten Jahrzehnten mit Sprachwitzen befasst hat, verlangt in seinem Buch Das ist bei uns nicht Ouzo von einem Witz folgende Eigenschaften: „Ein Witz sollte um des Hörers oder Lesers willen schnell sein Ziel erreichen. Andererseits muss alles – dann aber wiederum nur das – gesagt werden, was zur Realisierung der Pointe nötig ist. Es ist der Witz selbst, der Kürze will. Genauer: Nicht er selbst, sondern unser Bewusstsein von ihm. Metaphorisch aber ist es in der Tat ‚er selbst‘. Er will also möglichst schnell zur Pointe und – mit ihr und durch sie – zu der kleinen Explosion kommen, die das Lachen oder das Lächeln des Hörers sind.“ Gauger vertritt daher das Prinzip: „so lang wie nötig, so kurz wie möglich“, schränkt jedoch anschließend ein: „Zur nötigen Länge gehört aber auch (rien n’est simple) eine gewisse Farbigkeit, eine gewisse andeutend situierende Ausgestaltung, also durchaus nicht nur das rein logisch oder intellektuell Notwendige.“ (Gauger, 2006, S. 14–15)

      „Witze, sind die kürzeste und präziseste Form erzählter Literatur“, meinte einmal Hellmuth Karasek, er war einer der vier Diskussionsteilnehmer des Literarischen Quartetts. Gute Witze unter Literatur einzureihen, wird nicht falsch sein – in einem gut erzählten Witz muss jedes Wort „sitzen“. Und manche Sprachwitze, die sich der Dialogform bedienen, sind eigentlich allerkürzeste Minidramen. Situationswitze sind allerkürzeste Kurzgeschichten.

      Mit dem Satz „Nein, der Witz geht ganz anders“ könnte man auch die viel beachtete Polemik Friedrich Torbergs gegen Salcia Landmann und ihr 1960 im Schweizer Walter Verlag erschienenes Buch Der jüdische Witz überschreiben. Salcia Landmann, geboren in Żółkiew, damals Galizien, heute Ukraine, war die Tochter des Ehepaares Israel Passweg und Regina Passweg, geborene Gottesmann. Während des Ersten Weltkriegs übersiedelte sie mit ihrer Familie in die Schweiz nach St. Gallen. Sie promovierte in Philosophie und heiratete den Philosophen Michael Landmann. Ihre schriftstellerische Arbeit verstand sie als „stilles Requiem auf die untergegangene ostjüdische Kulturwelt“.

      Das erinnert ein wenig an Friedrich Torbergs Bestreben, der jüdischen Kultur, die durch die Schoah vernichtet wurde, ein Denkmal zu setzen. Sein erfolgreichstes Buch, Die Tante Jolesch, trägt den Untertitel „Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten“.

      Im Oktober 1961 erschien in der Zeitschrift Der Monat jene Polemik Torbergs, die in der Folge hohe Wellen schlagen sollte. Ihr Titel: „Wai geschrien!“ oder Salcia Landmann ermordet den jüdischen Witz. Anmerkungen zu einem beunruhigenden Bestseller. Torbergs Aufsatz wurde seither oft in Auszügen zitiert, ich wollte den gesamten Artikel lesen.

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