Sprachwitze. Robert Sedlaczek
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Ein Bauer lacht dreimal über einen Witz: das erste Mal, wenn man ihn erzählt, das zweite Mal, wenn man ihn erklärt, und das dritte Mal, wenn er ihn verstanden hat.
Ein Pachtherr lacht zweimal: das erste Mal, wenn man ihm den Witz erzählt, das zweite Mal, wenn man ihn erklärt. Verstehen wird er ihn nie.
Ein Büttel (= Polizist) lacht nur einmal: wenn man ihm den Witz erzählt; denn er verbietet dir, den Witz zu erklären, und verstehen wird er ihn deshalb nie.
Erzählst du den Witz einem Juden, so unterbricht er dich: „Ach, was, ein alter Witz!“ und er kann ihn dir besser erzählen.
(Joffe, S. 37, basierend auf Olsvanger, S. 3)
Das ist ein schöner Metawitz, ein Witz über den Witz beziehungsweise über das Witzeerzählen, und er hat einen subtilen Inhalt. Die beste Interpretation dieses Witzes habe ich in Josef Joffes empfehlenswertem Buch über den jüdischen Humor mit dem Titel Mach dich nicht so klein … gefunden. „Die Gojim, also die Christen, sind aus Sicht des Erzählers grundsätzlich nicht besonders helle“, schreibt der angesehene Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit, „aber der Landbesitzer und der Polizist, die Mächtigen, sind noch blöder als der Bauer, der in der Hierarchie nur knapp über dem Juden steht und deshalb schon fast ‚einer von uns‘ ist.“ Auf diese Weise „erhebt sich der Jude über seine Umwelt“. Für den osteuropäischen Schtetlbewohner, der selber fast nie Land besitzen durfte, „ist der Verpächter eine wirtschaftliche und der Polizist eine existenzielle Bedrohung, weil er eine willkürliche Staatsmacht vertritt. (…) Diesen Typen ihren geistigen Rückstand zu bescheinigen, bietet seelischen Trost in auswegloser Lage.“ Eine andere Interpretation könnte lauten: „Bleib auf dem Teppich. Du hast zwar die besseren Pointen, aber die haben die Macht.“ (Joffe, S. 37–38)
Landmann kannte die Quelle, aber sie veränderte den Schluss.
Erzählt man aber einem Juden einen Witz, so sagt er: „Den kenn’ ich schon!“ – und erzählt einen noch besseren. (Landmann, 1960, S. 510)
Dass Torberg diese Veränderungen sauer aufstießen, ist verständlich. „Nein! Nein! Erstens sagt er nichts, denn das würde bedeuten, dass er den Witz bis zum Ende anhört – er unterbricht ihn. Zweitens erzählt er nicht einen noch besseren, denn das würde bedeuten, dass er den ersten für gut hält – er hält ihn aber für schlecht. Und drittens erzählt er überhaupt keinen besseren, denn das würde bedeuten, dass er einen anderen erzählt – er erzählt aber den gleichen Witz anders, weil er überzeugt ist, ihn besser erzählen zu können.“ (Torberg, Wai, S. 49)
Ein Geschäftsmann kehrt von einer längeren Reise zurück und erfährt, dass in der Zwischenzeit einer seiner besten Freunde gestorben ist. Sogleich begibt er sich auf den Friedhof, um am Grab des Verstorbenen das Totengebet zu verrichten.
Hier ruht Samuel Kohn
Ein ehrlicher Mensch
Ein guter Kaufmann
lautet die Inschrift, die er auf dem Grabstein liest.
„Armer Sami“, murmelt er. „Mit zwei wildfremde Leut’ haben sie dich ins Grab gelegt.“ (Torberg, Wai, S. 49)
Ein großartiger Witz. Was hat Salcia Landmann daraus gemacht?
Eine Jüdin spaziert auf dem Friedhof umher und liest die Aufschriften auf den Grabsteinen. Sie liest unter anderem
Hier ruht Jossel Rosenblum, Kantor
Ein frommer Mann
Ein tugendhafter Mann
„Gott über die Welt“, ruft die Jüdin entsetzt, „drei Juden unter einem einzigen Stein.“ (Landmann, 1960, S. 214)
Torbergs Kommentar liest sich auch in diesem Fall amüsant: „… was soll damit gewonnen sein, dass Jossel Rosenblum Kantor ist? Seit wann werden auf den Grabsteinen die Ruf- oder Kosenamen der Beerdigten angegeben (Jossel statt Josef)? Seit wann ‚spazieren‘ Jüdinnen auf Friedhöfen? Und wer, vor allem, hat jemals von jüdischen Lippen den Ausruf ‚Gott über die Welt‘ gehört?“ (Torberg, Wai, S. 50)
Weil die von Torberg inkriminierten Witze im Original so großartig sind, noch ein drittes Beispiel, auf das ich in einem späteren Kapitel zurückkommen werde (siehe S. 245 f.).
„Ornstein, was ist los mit Ihnen?“, ruft aufgeregt ein Passant, der im Straßengewühl auf einen anderen zugetreten ist. Früher waren Sie groß – jetzt sind Sie klein. Früher waren Sie dick, jetzt sind Sie mager. Früher hatten Sie eine Glatze, jetzt haben Sie Haare. Früher …“ – „Aber ich heiße ja gar nicht Ornstein“, kann der Angeredete endlich unterbrechen. „Was?! Ornstein heißen Sie auch nicht mehr?“ (Torberg, Wai, S. 50)
Salcia Landmann lässt den Rufer seinen Text abspulen, nachdem er über den Irrtum informiert wurde.
„Hallo Ornstein!“ – „Ich heiße doch gar nicht Ornstein.“ – „Herr des Himmels! Wie kann sich ein Mensch nur so verändern. Die Figur ist verwandelt, die Haarfarbe, die Nase auch – und sogar der Name ist ein anderer geworden.“ (Landmann, 1960, S. 237)
Torberg kritisiert außerdem Fehler in Landmanns Buch, „über die sich nicht streiten lässt“: Falsche Sterbedate von Arthur Schnitzler und Henri Bergson, ein falsches Geburtsdatum von Sigmund Freud, der noch dazu, „man fasst es nicht (und nicht einmal Alfred Adler wird sich darüber freuen“, als „Individualpsychologe“ bezeichnet wird. (Torberg, Wai, S. 52) Hier der Landmann’sche Lapsus:
„Der Großteil wirklich guter Witze, die wir kennen, lässt sich leicht auf jüdischen Ursprung zurückverfolgen. Der Individualpsychologe Freud hat sich um diese Seite der Frage wenig gekümmert. Doch sind die meisten von ihm zitierten Witzbeispiele dem jüdischen Bereich entnommen. Auch dass er selber, der Analytiker des Witzes, Jude war, empfand er bestimmt nicht als Zufall.“ (Landmann, 1960, S. 33–34)
Dem streitbaren und brillant formulierenden Autor ist in vielen Punkten zuzustimmen: Salcia Landmann gibt Witze als jüdisch aus, die keine jüdischen Witze sind. „Einfach dadurch, dass man einen Popen oder einen Dorfpfarrer zum Rabbiner macht, werden russische, polnische oder böhmische Geschichten noch nicht jüdisch.“ (Torberg, Wai, S. 60) Salcia Landmann habe mit ihrer Sammlung den jüdischen Witz als solchen zur Unkenntlichkeit verstümmelt. „Sie hat ihn, wai geschrien, ermordet.“ (Torberg, Wai, S. 65) Torberg vermutet, dass „dieses schnöde Machwerk“ deshalb zu einem Bestseller werden konnte, weil es den Lesern „das Gefühl gibt, sie haben die Vergangenheit bewältigt und haben sich dabei auch noch gut unterhalten“. Obwohl es nicht ihre Absicht gewesen sei, habe sie dem Antisemitismus Vorschub geleistet. „Diese Unempfindlichkeit, die fundamentale Gefühl- und Instinktlosigkeit gegenüber allem, aber auch wirklich allem, was das Wesen des jüdischen Witzes ausmacht, musste zwangsläufig zum antisemitischen Effekt des Buches führen.“ (Torberg, Wai, S. 56)
Im Jahr 1971 erschien im Berliner Colloquium Verlag das Buch Der echte jüdische Witz. Der Autor, Jan Meyerowitz, geboren in Breslau, war in die USA emigriert und hatte sich als Komponist, Dirigent, Pianist einen Namen erworben. Meyerowitz teilte Torbergs Kritik, ja er verschärfte sie sogar. Die „Soziologie und Sammlung“ jüdischer Witze – so der Untertitel von Landmanns Buch – sei „der Aufgabe so ziemlich alles schuldig geblieben, und die weite Verbreitung des Buches ist ein großes, vielleicht unreparierbares Missgeschick. Wir würden gar nicht darüber reden, wenn es nicht