Sprachwitze. Robert Sedlaczek
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Meyerowitz spricht damit das Hauptproblem des Buches an. Der erste Teil mit dem Titel Einleitung enthält die historischen und psychologischen Erklärungen, der zweite Teil ist die Witzesammlung. Wer in dieser blättert, ohne die Einleitung gelesen zu haben, erfährt nichts über den Hintergrund. Meyerowitz hingegen hat einen durchgeschriebenen Text abgeliefert, in den die Witze als Belege eingebaut sind.
Salcia Landmann hat als Reaktion auf ihr Buch unzählige Witze von Juden aus aller Welt geschickt bekommen. Im Jahr 1972 veröffentlichte sie einen Ergänzungsband. Im Vorwort wies sie darauf hin, dass ihr erstes Buch über den jüdischen Witz mit Begeisterung aufgenommen worden sei. „Mit dem wachsenden Erfolg des Buches, es liegt heute in verschiedenen Ausgaben in über 500.000 Exemplaren vor, kamen natürlich auch Angriffe. Etliche aus den ehemaligen jüdischen ‚Witzezentren‘ – also Wien, Berlin etc. – aus der Feder jüdischer Kollegen. Sie übersahen unter anderm, dass es hierfür ziemlich solider Kenntnisse der jüdischen Geistestradition bedarf.“ Was Torberg als Problem des Buches ansah, definiert sie als seine Stärke. „Man empfand es als einen Schritt zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschen und Juden. Man war erleichtert, nach den fürchterlichen Vorgängen der Nazizeit endlich auch wieder anders als nur mit Schreck und Gram an die Juden Europas denken zu dürfen.“ (Landmann, 1972, S. 7) Ihr ging es darum, möglichst viele Witze zu sammeln und für die Nachwelt zu dokumentieren; sie veröffentlichte im Anhang ihrer späteren Bücher Listen der „Spender von Witzen“.
In einem entscheidenden Punkt geht Torbergs Kritik ins Leere. Er klassifiziert die kurzen Sprachwitze in der Landmann’schen Sammlung als „die ödesten Kalauer“ (Torberg, Wai, S. 56). Auch die „Schirm-Scharm“-Witze, auf die ich später zurückkommen werde (siehe S. 98, S. 203), missfallen ihm.
Torberg hat diese Sprachwitze nicht gemocht und als witzlos abgetan, das ist sein gutes Recht. Aber er hat übersehen, dass sie spezifisch jüdisch sind und in einem Buch über den jüdischen Witz nicht fehlen dürfen. Armin Berg, den Torberg geschätzt und immer wieder lobend erwähnt hat, trug genau solche Witze unter dem Jubel des Publikums vor.
Torberg hatte sich schon Mitte der 1970er Jahre einem verwandten Thema gewidmet, den Anekdoten aus dem jüdischen Milieu. Sein Buch Die Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten sollte ein ebenso großer Bestseller wie Salcia Landmanns Witzesammlung werden, wobei sich auch Torberg einige Schlampigkeitsfehler zuschulden kommen ließ.
Für mein Buch Die Tante Jolesch und ihre Zeit studierte ich in der Handschriftensammlung der Nationalbibliothek den Briefwechsel Torbergs mit Zeitgenossen. Gewissenhafte Leser seines Anekdotenbandes wiesen ihn auf zahlreiche Irrtümer hin (Sedlaczek/Mayr, S. 161). Verglichen mit jenen Böcken, die Salcia Landmann geschossen hat – wir erinnern uns: sie verwechselte Sigmund Freud mit Alfred Adler –, waren Torbergs Fehler grosso modo weniger gravierend. Schlimm ist jedoch ein falsch wiedergegebenes Karl-Kraus-Zitat, das eigentlich ein Sprachwitz ist. Zu finden in der Fackel, Nr. 381–383, 19. 9. 1913, S. 71. Im Original lautet es:
Einen Brief absenden heißt in Österreich einen Brief aufgeben.
Friedrich Torberg macht daraus:
Einen Brief befördern, heißt in Österreich einen Brief aufgeben. (Torberg, Tante Jolesch, S. 172)
Nicht die Post gibt Briefe auf, sondern der Absender. „Ich beknirsche mich ganz besonders wegen des falschen Kraus-Zitats; das hätte mir nicht passieren dürfen“, antwortete Torberg dem Leserbriefschreiber. (Torberg, zitiert in Sedlaczek/Mayr, S. 163) – und versäumte es in der Folge, das Zitat in den Nachauflagen zu korrigieren. Auch in der heutigen Taschenbuchausgabe findet sich das entstellte Kraus-Zitat – und der 2. Wiener Gemeindebezirk, „der fast ausschließlich von Juden bewohnt war“, wird in dem Buch fälschlich „Leopoldstraße“ genannt – statt richtig: „Leopoldstadt“. (Torberg, Tante Jolesch, S. 40) Das ändert aber nichts an meiner Einschätzung, dass Die Tante Jolesch ein geniales und zugleich vergnügliches Buch ist.
Für unser Thema nicht uninteressant ist der Einwand eines Leserbriefschreibers gegen die Pointe der folgenden Anekdote. Ich reduziere sie auf den Kern.
In Wien gab es vor 1938 zwei beliebte koschere Restaurants, das Neugröschl und das Tonello. Eines Tages bestellt ein Gast im Tonello zu früher Stunde ein Scholet. Als der Kellner aus der Küche kommt und bedauert, dass das Scholet noch nicht fertig sei, ruft der enttäuschte Gast: „Was? Halb eins und noch kein Scholet? Bei Neugröschl wird schon gerülpst!“ (Torberg, Tante Jolesch, S. 69)
Der Leserbriefschreiber wandte ein, dass der Gast im Tonello nicht das Wort rülpsen verwendet habe. Der Ausspruch sei anders verbürgt: „Bei Neugröschl prallen sie schon.“ Torberg rechtfertigte sich in seiner Antwort an den Leserbriefschreiber damit, dass er aus Gründen der sogenannten „guten Manieren“ den Ausspruch des Gastes absichtlich falsch zitiert habe, „weil in diesem Zusammenhang der von mir verwendete Ausdruck die gleichen Dienste tut wie der originale. Hier wird keine Korrektur erfolgen.“ (Torberg, zitiert in Sedlaczek/Mayr, S. 157)
Schon Jahre vor dem Erscheinen der Tante Jolesch erzählte Fritz Muliar die Geschichte als Witz – sie ist zu finden auf Preiser Records und im Buch Das Beste aus meiner jüdischen Witze- und Anekdotensammlung.
(…) Dort beim Tonello kommt herein um dreiviertel zwelf ein Mensch. Elegant, groiße Erscheinung, schmeißt den Hut auf dem Haken und schreit: „Kellner! Eine Bohnensuppe!“ – „Verzeihen Se, es is dreiviertel zwelf, die Bohnensuppe is nich fertig.“ – „Wos“, sogt er, „nich fertig!? Beim Neugröschl prallen se schon!“ (Muliar, S. 20)
Salcia Landmann bringt den Witz ebenfalls, aber sie siedelt ihn nicht in Wien an, sondern „in zwei koscheren Restaurants, Ascher und Milowicz“. Ihre Pointe lautet: „Bei Ascher grebezzn (= aufstoßen) sie schon.“ (Landmann, 2007, S. 222–223) Ohne die Einwände gegen Torbergs Version zu kennen, ist sie also in diesem einen Punkt einer Meinung mit ihm.
In einer Neuausgabe ihrer jüdischen Witzesammlung verzichtet Salcia Landmann bei einem anderen „Tscholent“-Witz hingegen nicht auf die Pointe mit dem volkstümlichen Ausdruck für Flatulenz.
Schmul musste sich einer Magenoperation unterziehen. Nachher schreibt ihm der Professor eine strenge Diät auf. Schmul möchte aber auf den herrlichen, fetten Tscholent nur ungern verzichten. Der Professor bleibt jedoch unerbittlich.
Schmul geht zu einem zweiten Arzt. Der lässt sich genau beschreiben, was Tscholent ist – und er verbietet ihn ebenfalls.
Da geht Schmul zu seinem jüdischen Hausarzt und klagt ihm sein Leid. Ein Jude wird doch Verständnis haben für seinen Kummer? „Iss Tscholent so viel du willst!“, sagt der Hausarzt. „Bloß: prallen wirst du schon im Himmel.“
(Landmann, 2010, S. 425–426; 2007, S. 220–221)
Witze haben üblicherweise keinen Urheber, keinen Autor. Im Reich der Witze gibt es kein Privateigentum. Witze werden in Umlauf gebracht und weitergereicht, sie kursieren und zirkulieren. Dabei werden sie adaptiert, verbessert, manchmal auch verschlechtert. Auch die erstmalige schriftliche Fixierung ist in der Regel nicht die Geburtsstunde eines Witzes. Außerdem werden Witze oft von einem Genre in ein anderes verschoben: Aus einem Burgenländerwitz wird ein Blondinenwitz, aus einem Frau-Pollak-von-Parnegg-Witz