KAISERSCHMARRN, RÖSCHTI UND ANDERE SCHMANKERL. Klaus Hübner

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KAISERSCHMARRN, RÖSCHTI UND ANDERE SCHMANKERL - Klaus Hübner

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Chemotherapie? Unsinn! »Das Bedürfnis, im Luxus zu sterben, in dem er nie gelebt hatte, breitete sich in Lewadski wie ein Scheunenfeuer aus … Ich lasse den Krebs Krebs sein, dachte er, für den zahle ich keine müde Kopeke. Stattdessen fliege ich nach Wien.« Mit den Wiener Großtanten hatte er schon als Kind im schönsten Hotel der Stadt Sahnetorten verspeist, ehe er im Goldenen Saal des Musikvereins noch ganz andere Genüsse kennenlernen durfte. Gesagt, getan. Der Grandseigneur aus Lemberg steigt im Hotel Imperial ab. Habib, ein aus Palästina stammender Jungwiener, kümmert sich um ihn, und Bekanntschaft mit einem gleichaltrigen Hotelgast ist schnell geschlossen. Lewadskis fast ein ganzes Jahrhundert mittel- und osteuropäischer Geschichte umfassendes, in originellen Träumen und aufschlussreichen Erinnerungen ausgebreitetes Leben geht, nicht ohne geradezu slapstickreife Szenen, in einer Luxussuite mit Butlerservice, im benachbarten Musikverein und in der opulenten Hotelbar höchst stilvoll dem Ende zu. Mit erstaunlicher Souveränität setzt Marjana Gaponenko ihrem Helden ein herzergreifendes und zugleich überaus komisches Denkmal. Wie bitte? Wer diese Martha ist? Ach was! Lesen Sie selbst!

       Marjana Gaponenko: Wer ist Martha? Roman. Berlin 2012: Suhrkamp Verlag. 239 S.

      Es wird ein Wein sein … Skurriles aus dem Reich der Pferdekutschen

      Der Roman Wer ist Martha?, für den die 1981 in Odessa geborene Marjana Gaponenko 2013 den Adelbert-von-Chamisso-Preis erhielt, ist ein für die deutschsprachige Gegenwartsliteratur ungewöhnlich skurriles Buch. Spätestens seit der damaligen Preisverleihung weiß man, dass diese Autorin nicht nur außerordentlich gute, passagenweise bis zum Brüllen komische Romane schreibt, sondern auch einer anderen intensiven Leidenschaft nachgeht: Sie liebt Pferdekutschen und Kutschpferde, und in der Welthauptstadt der Fiaker hat sie alle Gelegenheit dazu, diese Liebe auszuleben. Kein Wunder also, dass die Wiener Gesellschaft und das Reich der Pferdekutschen in Gaponenkos jüngstem Roman entscheidende Rollen spielen. Das macht den Einstieg in Das letzte Rennen nicht unbedingt leicht, denn die Welt der Pferde und Kutschen dürfte den meisten Lesern kaum vertraut sein. Doch ein paar Seiten genügen, und schon hat der Roman den Leser im Griff – man liest gebannt weiter, schmunzelt und grinst und wird gelegentlich von nicht zu vermeidenden Lachanfällen heimgesucht. Und nebenbei lernt man allerhand fürs Leben.

      Der gelernte Maschinenbauingenieur Adam Nieć hat vor vielen Jahren seine Heimatstadt Krakau verlassen und mit der Erfindung eines ölfreien Verdichters für Bremsen ein Vermögen gemacht. Adam lebt in Wien. Österreich hält er für ein »angenehm zurückgebliebenes, sozialistisches Land …, allerdings pfiffiger und unkomplizierter als Polen«. Auf den Praterwiesen hat der die Fremdsprache Deutsch mit stark jiddischem Akzent sprechende Flüchtling ein wahrlich prächtiges Gestüt samt Kutschensammlung aufgebaut. Und zudem hat Adam seine Leidenschaft für Ponys und Fiaker seinem einzigen Sohn weitergegeben, der zwar erkennt, dass er in erster Linie als »Hilfe beim Ausleben seiner Kutschenträume« angesehen wird, den Vater aber als »Geldgeber« braucht. »Mehr schlecht als recht erfüllten wir unsere Rollen als Vater und Sohn, die uns eine Neurose namens Pflichtgefühl vorgeschrieben hatte.« Aus der Ich-Perspektive dieses Kaspar Nieć – eines etwas ziellos vor sich hin studierenden Taugenichts, der von Menschen, besonders von Frauen, weitaus weniger versteht als von Pferden – und mit nostalgisch-melancholischen Reminiszenzen ans 19. Jahrhundert, die große Epoche der Pferdekutschen, erzählt Marjana Gaponenko ihre makabre Geschichte. Die spielt zwar am Anfang des 21. Jahrhunderts, aber das merkt man oft nur an den diskreten Anspielungen auf Computerspiele und Comicfiguren. In diesem springlebendigen, aspektreichen und bunten, immer von einer gehörigen Portion schwarzen Humors grundierten Roman, der großes Pathos und ganz großes Kino nicht scheut, beides aber mit ätzendem Witz und bissiger Ironie relativiert, mischen sich Gegenwart und Vergangenheit. Und es entsteht, hingetupft mit leichter Hand, ein witzig und süffisant gezeichnetes Gesellschaftsporträt, wie man es in letzter Zeit wohl kaum gelesen hat – äußerst amüsant und zugleich abgrundtief schockierend, von ähnlicher Wirkung wie manche Gemälde von Otto Dix aus den Zwanzigerjahren. Will man sich wirklich an der abgetakelten »Gelsenbar« ein Eis kaufen und ein »Freistil-Damenderby« besuchen? »Sich an ihren Champagnergläsern festhaltend, fieberten die Damen dem Rennen entgegen. Sie würden daran teilnehmen, weil es >a richtige Gaudi< war … Der Geruch abgestandenen Parfüms mischte sich mit den Alkoholausdünstungen der Männer.« Will man Adam mit seinen gebleachten Zähnen beim Weinen zuschauen? »Seine Augen waren mit einem Mal klein und traubenmosttrüb. So sah er auf verblüffende Art Stardust ähnlich, dem uralten Huzulenpony mit fortgeschrittener Mondblindheit.« Auch ob man sich als älterer Mensch mit ersten Anzeichen von Demenz tatsächlich in die Obhut einer Donezker Krankenschwester namens Nadja begeben möchte, wird man sich nach der Lektüre dieses Romans noch einmal überlegen.

      Die Sache endet spektakulär. Vater und Sohn liefern sich ein letztes Kutschrennen, die Pferde geraten in Panik, Kaspar kommt unter die Räder. »Nicht nur abgeklemmt, sondern zermalmt waren die Arme.« Als er nach einer Woche im künstlichen Koma wieder zu sich kommt, hat er keine mehr. Kann es für einen leicht schnöseligen Nichtsnutz ein böseres Erwachen geben? Eigentlich nicht. Doch siehe da, irgendwann kriegt Kaspar wieder die Kurve: Er wird weiterleben, zeitweise sogar fröhlich. Es ist nicht ohne Hintersinn, dass diese Nadja mit vollem Namen »Nadjeschda« heißt – auf Russisch bedeutet das »Hoffnung«. Marjana Gaponenko versteht sich darauf, die Höhen eines Menschenlebens ebenso packend und faszinierend zu schildern wie die Tiefen. Und dabei nichts ernster zu nehmen als unbedingt nötig.

       Marjana Gaponenko: Das letzte Rennen. Roman. München 2016: C. H. Beck Verlag. 266 S.

      Schau heimwärts, Engel! Ein Bibliothekarsroman von Marjana Gaponenko

      Am Ende dankt die Autorin unter anderem dem Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg – und ihrer einäugigen Katze Lilly. Einäugig ist auch der Held ihres jüngsten Romans, der Mediävist, Bibliothekar, Sammler, Katalogisierer und heimliche Gottsucher Ernest Herz. Er hat sich, erschöpft und enttäuscht von seinem ausschweifenden Liebesleben, als Leiter der Bibliothek ins »Stift W.« gerettet, einem verwunschenen und geheimnisvollen, wie Franz Kafkas Sterbeort an der Donau gelegenen Schauplatz skurriler Geschehnisse. Aber das weiß der »Dorfgescheite« noch nicht, wenngleich er bereits ahnt, dass es mit einer beschaulichen, ganz dem Geist und den alten Büchern gewidmeten zweiten Lebenshälfte nichts Rechtes werden wird: »Nun heißt es, sich sammeln, ora et labora, Sodom und Gomorra.« Pünktlich zum elften November, dem Martinstag und Beginn des Karnevals, nimmt die groteske Romanfarce Fahrt auf, und rasch gerät man hinein in einen theologisch fundierten Klosterkrimi, der auch eine Eltern-Sohn-Geschichte ist und eine Migrationsgeschichte dazu. Nicht nur Franz Kafka und Umberto Eco lassen grüßen, auch ein verdächtiger Pudel spukt herum, und nicht ohne Hintersinn zieht ein Dampfer mit der Aufschrift »Ukraina« vorüber.

      Marjana Gaponenko ist seit ihrem preisgekrönten Roman Wer ist Martha? (2012) als ernsthafte Schriftstellerin ohne jede Angst vor Kitsch und Kolportage bekannt. Der Dorfgescheite bestätigt diesen Ruf. Ernest Herz stellt bald fest, dass seine Vorstellungen von einer zeitgemäßen Bibliothek vom undurchsichtigen Stiftsprälaten und dessen abgründigem Personalchef Schmalbacher nicht geteilt werden, dass sein Telefunkengerät nur noch »Radio Gabriel« empfangen kann und dass der spektakuläre Suizid seines polnischen Vorgängers Mrozek eine äußerst merkwürdige Vorgeschichte hatte. Irgendwie hängt sie zusammen mit dem Dialogus miraculorum (1219–1223) des Caesarius von Heisterbach, einem Bestseller des Mittelalters, in dem die Darstellungen des Bösen und Unheimlichen, des Lasters und der Hölle die des Erfreulichen und Heiteren bei Weitem überwiegen. Im Aschekasten seines Kachelofens findet Herz ein wertvolles Exemplar dieses Werks, das sein Vorgänger irgendwo entwendet und mit der Inschrift »Lammengel, heile einen blinden Sünder!« versehen hat. Damit kommt das zwischen Bordell und Pilgerherberge gelegene Gast- und Likörhaus »Zum Lamm« ins Spiel. Weiß der junge, zarte und scheue Kellner Raphael, schön wie ein Erzengel und in sich eingemauert wie ein Autist, mehr über den Dialogus des Mönchs von Heisterbach und das grausame

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