KAISERSCHMARRN, RÖSCHTI UND ANDERE SCHMANKERL. Klaus Hübner
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Wenn ich zehn Romane geschrieben habe, wird es vielleicht möglich sein, eine gewisse Regelmäßigkeit, die man dann Wurzeln nennen könnte, auszumachen. Aber an diesem Punkt sind meine zwei Bücher – bei allen Parallelen, die ich bewusst eingebaut habe – unterschiedlich, Formen, die sich ergeben haben, weil mein Leben in Wien so verlaufen ist wie es verlaufen ist. Mein Leben in Wien ist viel bedeutender für meine Texte als meine albanischen Wurzeln. Interessant ist aber, dass sich für dieses Leben in Wien kaum jemand interessiert.
Zusammenfassend bin ich heute der Überzeugung, dass das Feuilleton sich vor allem auf den Text fokussieren sollte. Das ist bei heimischen Autoren auch der Fall. Die Fragen zu sprachlichen und kulturellen Wurzeln sind, glaube ich, Sache der Wissenschaft. Ich habe in der Studie von Holger Englerth gesehen, dass die Wissenschaft dann auch besser davor gefeit ist, in Klischees zu tappen.
Ist für Autoren, deren Muttersprache Ungarisch oder Japanisch oder Französisch ist und die später, warum auch immer, auf Deutsch schreiben, die Muttersprache ein Gewinn, ein Vorteil? Worin besteht dieses Plus? Oder ist die andere Muttersprache manchmal auch ein Hindernis?
Wir sind alle auf Gewinn und Vorteil aus. Das ist wahrscheinlich die Natur, die trotz der ganzen menschlichen Entwicklung wahrscheinlich immer nur das Plus, das Wachstum anstreben wird. Mehrsprachigkeit wird somit auch als ein Plus gewertet. Darüber habe ich lustige Diskussionen bei Kindergeburtstagen geführt. Viele Eltern veranstalten eine Art Wettbewerb: Wer spricht mit seinem eigenen Kind mehr Fremdsprachen? Ich denke dabei an einen Spruch von Lenin, der in meiner Krippe hing, in der ich auch als Erwachsener zufällig einmal war: »Eine Fremdsprache ist eine Waffe im Kampf des Lebens.« Ich habe den Spruch gemocht. Er war vielleicht die einzige an den Wänden prangende Losung von Lenin, die für mich lange Gültigkeit hatte. Die Aussage hat mich fasziniert. Doch irgendetwas hat mich auch irritiert. Jetzt kann ich sagen, dass es die Wörter »Kampf« und »Waffe« waren. Ich sehe Sprache nicht als Waffe und das Leben nicht als Kampf. Es gibt natürlich Zeitspannen, in welchen man das tut. Die gibt es in jedem Leben. Aber man ist dann auch nur ein Krieger. Und was macht so ein Krieger?
Zugleich muss ich aber betonen, dass ich oft unter dem Gefühl leide, eine Sprache zu verlieren. Ich verliere Albanisch, Englisch und auch Italienisch. Italienisch wohl am meisten. Das ist ein großes Minus. Auf Albanisch und Englisch lese und höre ich wenigstens regelmäßig Nachrichten. Es ist wirklich schade, dass man nicht gleichzeitig in drei, vier Ländern leben kann. Ob ich diese Sprachen aber als Bereicherung für meine Texte betrachte? Ehrlich gesagt nicht. Ich verwende sie sehr sporadisch und ohne große Ansprüche. Ich mache kaum Spielchen daraus. Das Einzige, was ich bislang getan habe, ist, einzelne Ausdrücke aus diesen Sprachen in die Texte einfließen zu lassen. Das vor allem mit der Absicht, im Leser ein wenig Neugierde zu wecken und auch das Gefühl zu erzeugen, wie es sein kann, wenn man keine Ahnung hat, was so ein Wort in einem Text, den man vollständig versteht, eigentlich bedeutet. Aber das ist eher als Streich gedacht, nicht als anspruchsvolles Spiel mit der Sprache, das natürlich einige Autoren auf eine bewundernswerte Weise betreiben. Ich denke dabei an Yoko Tawada. Das ist höchste Sprachkunst, die an Magie grenzt. Doch das kann nicht jeder. Auf jeden Fall kann das auf diesem Niveau kaum jemand außer ihr. Deshalb verzichte auch weitgehend auf solche Mittel.
Es gibt die oft strapazierte Metapher vom »Brückenbauen« – Brücken zwischen den Kulturen, Brücken zwischen den Sprachen … Sie haben mal gesagt: »Gott schuf keine Brücken.« Wie meinen Sie das?
Das ist ein Begriff, der eigentlich kaum hinterfragt wird. Doch ich habe mich gefragt, was dieser Begriff in Anbetracht meiner Lebensumstände bedeutet. Ich bin mit einer Österreicherin verheiratet, einer Wienerin, genauer genommen. Ihre Mutter ist auch in Wien geboren. Der Großvater jedoch stammt aus Pula, Kroatien, das damals Teil der k.u.k.-Monarchie war. An sich ist das ja eine perfekte Ausgangslage, um als Brückenbauer aufzutreten. Nur hat mich irgendetwas an den Begriff gestört, abgesehen von der inflationären Verwendung. Ich habe die Familie meiner Frau und meine eigene Familie miteinander verglichen. Die Hintergründe, die Wünsche, die Verhaltensweise und die Probleme waren quasi identisch. Alles, was nicht individuell bedingt war, war wirklich deckungsgleich. Und da habe ich mich schon gefragt: Zwischen wem soll ich da Brücken bauen? Oder soll ich nur so tun, als ob ich Brückenbau betreibe, um dann zum Schluss zu kommen, dass Brücken gar nicht notwendig sind? Auf dem Balkan ist die Brückenbaumetapher in der Tat sehr beliebt. Sobald man Geld für eine Brücke auf dem Balkan braucht, ist Geld da. Ich glaube aber, dass auf dem Balkan eine vernünftige Vergangenheitsbewältigung im Moment wichtiger wäre als alles andere.
Gott hat alles Mögliche erschaffen, Brücken allerdings nicht. Doch zurück zum bildlichen Brückenbau. Meiner Meinung nach geht es nicht bloß darum, über eine Brücke zu gehen, um dem Anderen, dem Nachbarn, dem Fremden zu begegnen. Es kommt vor allem darauf an, wie man über die Brücke geht. Denn über die Brücke gehen ja die Waffen wie das Brot. Die Kinder und die Soldaten. Mein Gedanke ist aber, dass, wenn es diese Brücken nicht gäbe, die Menschen gezwungen wären, zum anderen Ufer zu schwimmen. Und einer, der einen Fluss schwimmend überquert, kommt ganz anders an als einer, der über die Brücke gegangen ist. Ich glaube, dass unsere Kultur die Brücken überschätzt und das Schwimmen vernachlässigt hat.
Sind Sie ein Rebell? Ein Sprachrebell? Gibt es für Sie literarische »Hausheilige«? Welche?
Ich beginne mit den literarischen Hausheiligen. Die gibt es tatsächlich, aber das hält sich in Grenzen. Es sind genau genommen drei Bücher: Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Vittorinis Conversazione in Sicilia und Hemingways Der alte Mann und das Meer. Auch eine Person ist meine literarische Hausheilige: meine Großmutter. Diese Konstellation bringt es mit sich, dass man mitunter als »Rebell« wahrgenommen wird. Rebellieren ist ja positiv konnotiert. Es gibt vielleicht welche, die »Querulant« dazu sagen würden. Entscheidend ist, worum gerungen wird und wie. Nur als Sprachrebell würde ich mich nicht bezeichnen. Mein einziger Anspruch ist, so verständlich wie möglich zu schreiben. Ich will weder schön noch anspruchsvoll schreiben, sondern nur klar. Das ist doch nicht rebellisch, oder?
Womit beschäftigen Sie sich heute? Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Ich bin damit beschäftigt, mir eine neue Biografie zusammenzuschustern, über die ich dann einen Roman schreiben kann. Das ist mein jetziges Projekt. Und mein wichtigster Plan ist, mindestens tausendfünfhundert Euro monatlich nach Hause zu bringen, ob als Autor oder als Arbeiter, ist nicht relevant. Und, um das Interview nicht so desillusionierend abzuschließen: Ich möchte weiterhin Texte schreiben, die zeigen, dass man Menschen anhand ihres Charakters und ihrer Eigenschaften unterscheiden kann, aber keineswegs anhand ihrer Herkunft. Ich bin ein Gerechtigkeitsfanatiker. Ich habe gehört, das kommt davon, wenn man zu viele Proteine isst.
Ilir Ferra, vielen Dank für das Gespräch!
Der komische Alte. Eine anrührende Geschichte vom Ende des Lebens
Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr schreibt Marjana Gaponenko Gedichte und Prosa in deutscher Sprache. Das eigenwillige Deutsch fällt an ihrem ersten Suhrkamp-Roman sogleich auf: ausladend und schwelgerisch, radikal romantisch, weder hohes Pathos noch kapriziöse Wortschöpfungen scheuend, vor Stilbrüchen nicht zurückschreckend – eine ungewöhnliche Kunstsprache, die sich seltsamerweise leicht und angenehm liest. Obwohl die Autorin nichts Angenehmes erzählt, sondern sich – grundiert von aufmerksamer, einfühlsamer, ja zarter Menschenfreundlichkeit – in die letzten Lebenswochen eines alten Mannes hineinfabuliert.
Luka Lewadski, emeritierter Professor der Zoologie mit Schwerpunkt Vogelkunde und lebenslanger Musikliebhaber, sechsundneunzig Jahre alt,