Jugend in Berlin. Michael Kruse

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Jugend in Berlin - Michael Kruse

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stehen zwei Berliner Bezirke im Mittelpunkt, die für die Entwicklung der Stadt typisch sind und geografisch nebeneinanderliegen: die Bezirke Neukölln und Treptow. Neukölln (290.300 Einwohner*innen im Jahr 1987; 2018 waren es 329.767 Menschen aus 160 Nationen), im Norden durch Altbauhäuser um die Jahrhundertwende geprägt, ferner das Rollbergviertel, eine Siedlung mit etwa 2.000 Wohnungen in Betonburgen, die nach der Kahlschlagsanierung in den 1970er Jahren entstanden ist, in der Mitte ein großes Industriegebiet und im Süden dorfähnliche Strukturen (Britz, Buckow und Rudow) und die gewaltige Hochhaussiedlung der Gropiusstadt mit Berlins größtem Einkaufscenter, bot sich als eines der beiden Untersuchungsgebiete an. Negativ in die Schlagzeilen durch einen Bericht des Spiegel gebracht, ist hier das Image trotz starker Yuppisierung („Kreuzkölln“) besonders fragwürdig. Verwahrlosung, Gewalt und sogar Hunger würden den Alltag im bevölkerungsreichsten Berliner Bezirk prägen, das Rathaus sei „das größte Sozialamt Deutschlands“, so Peter Wensierski in Der Spiegel 43/1997. Mittlerweile ist es angesagt, in den Norden Neuköllns zu ziehen, was zu einer massiven Verdrängung der ursprünglichen Bevölkerung führt. Im Süden, wo es weniger Probleme gab, ist die Lage stabil geblieben. Die Arbeitslosenquote in Neukölln liegt bei 12,1 %. Erschreckend ist der Anstieg der Kinderarmut: Sie ist von 10 % im Jahr 2001 auf 55,9 % im Jahr 2018 gestiegen. Neukölln wird als erster deutscher Slum ausgemacht. Aber es gibt auch sehr idyllische Ecken: „Ja, also ich wohne in Berlin, das ist ein Einfamilienhaus. Es ist im Blumenviertel, also etwas im Grünen, etwas ruhig, es ist ein recht großes Haus, wo wir also zu viert inklusive Hund leben, mit Garten und so … Bei uns ist also Land in Ruhe, und der Eiermann kommt einmal die Woche, das ist fast wie in Bayern“, so Thomas (20) aus Westberlin.

      Gegenüberliegend befindet sich der Bezirk Treptow (267.167 Einwohner*innen im Jahr 2018) mit dem niedrigsten Anteil an Berliner*innen mit Migrationshintergrund (7,1 %), bestehend aus acht Ortsteilen und mit der längsten Grenze zwischen den Berliner Ost- und Westbezirken. Der Norden ist ebenfalls durch ein Altbauviertel geprägt, daran schließt sich der Treptower Park mit dem 1969 als Kulturpark gegründeten und seit 1991 als Spreepark fortgeführten Freizeitpark an, der inzwischen pleite ist und dessen Attraktionen bis zur Schließung weit über die Bezirksgrenzen hinaus für viele Berliner Jugendliche ein Anziehungspunkt waren. Südwärts liegen das Industriegebiet Schöneweide mit dem ehemaligen Flughafen Johannisthal sowie die eher dörflich geprägten Ortsteile Adlershof, Altglienicke und Bohnsdorf. „Da haben wir zusammen gespielt und dann war da ein Hof; auf dem Hof, da war hinten die Mauer, dann war da das Grenzgebiet, also gleich dicht am Hof war das Grenzgebiet … Na ja, da haben wir uns an die Mauer gestellt und gesagt: Die alten Omis, die dürfen jetzt da rüberfahren und sich das ankieken, und wir, wir müssen jetzt immer hier sitzen“, so Peter aus Ostberlin (zum Zeitpunkt des ersten Interviews kurz nach der Wende 13 Jahre) zu seinen Mauererfahrungen. Martina (17) aus Ostberlin erinnert sich an ihre Treptower Mauererfahrungen: „Das war früher hier Grenzgebiet. So ungefähr zehn Meter weiter war so eine rot-weiße Schranke, und da musste jeder, der da vorbeiwollte, der da gewohnt hat, so eine Karte, auch Besucher haben die immer gekriegt, und jeder, der da hin wollte, musste diese Karte vorzeigen. Also Kinder haben sie meistens nicht kontrolliert, aber Erwachsene. Und da durfte man nur mit der Karte rein. Und dann war da die Mauer und zehn Meter davor war noch mal so ein Ding, und da durfte man auch nicht hinter. Da habe ich früher immer Löwenzahn für mein Meerschweinchen gepflückt. Und dann haben da immer die Leute aus dem Wachturm gebrüllt, dass man da verschwinden soll.“ Peter (17) aus Ostberlin im Rückblick: „Meine Schule stand direkt an der Mauer; wenn ich aus dem Fenster sah, guckte ich auf das Niemandsland, und von dort aus konnte man immer gut die Grenzer ärgern, und man hat sich doch auch Gedanken gemacht, wie es wohl auf der anderen Seite sein wird. Geändert hat sich durch die Maueröffnung sehr viel.“ Martin (20) aus Ostberlin entsinnt sich: „Baumschulenweg ist früher so am Ende der Welt gewesen, war zwar ein Grenzübergang gewesen, aber ziemlich tot halt. Abends um acht waren die Bürgersteige hochgeklappt, war kein Mensch auf der Straße gewesen. Jetzt abends kann man kaum noch bei offenem Fenster schlafen … Die Sonnenallee ist jetzt Stadtautobahn von Berlin geworden.“ So weit frühe Erinnerungen aus Treptow. Diese ersten Äußerungen aus dem Osten der Stadt machen deutlich, dass die Mauer im Alltag der Jugendlichen wahrgenommen, aber auch hingenommen wurde. Sie gehörte einfach dazu. Erst der Fall der Mauer hat für die Ostberliner Jugendlichen einschneidende Veränderungen in allen Bereichen mit sich gebracht. Der Alltag wurde für sie, aber auch für ihre Eltern (80 % der Erwachsenen mussten nach der Wende eine neue Stelle antreten oder blieben arbeitslos) auf den Kopf gestellt.

      Da Ostberlin bis zur Wende von mir als weißer Fleck wahrgenommen wurde, verbrachte ich die ersten Wochen nach der Grenzöffnung damit, den östlichen Teil Berlins, insbesondere Treptow, ausführlich kennenzulernen. Ich besuchte die wichtigsten Jugendclubs und unterhielt mich mit Jugendclubleitern und anderen Erwachsenen, um eine Einschätzung der allgemeinen Situation der Jugendlichen und der Strukturen der Jugendpolitik zu bekommen.

       Die Interviews

      Im Februar 1990 fanden die ersten Befragungen von Jugendlichen in Treptow statt. Insgesamt wurden 35 Jugendliche im Alter von 13 bis 20 Jahren befragt, 20 Mädchen und 15 Jungen. Zwei Drittel der Befragten kommen aus Ostberlin, ein Drittel der Befragten aus Westberlin, da sich im Laufe der Untersuchung herausstellte, dass sich für die Jugendlichen aus dem Ostteil der Stadt wesentlich mehr verändert hat als für die Jugendlichen aus Westberlin. Ende der 1990er Jahre wurden noch drei Wiederholungsinterviews geführt. Alle Interviews wurden in der Regel bei den Jugendlichen zu Hause durchgeführt. Die Dauer der Interviews betrug zwischen anderthalb und drei Stunden. Insgesamt wurden insgesamt ca. 800 Seiten ausgewertet. Drei Jugendliche wurden noch einmal interviewt, um so neuere Entwicklungen und Einschätzungen der Befragten festzuhalten. Alle Interviews wurden anonym durchgeführt, wobei die meisten Jugendlichen sehr offen ihre Situation schilderten. Sie geben deshalb einen tiefgehenden Einblick in die Gefühlslage der Berliner Jugend in den 1990er Jahren. Auch Klaus Farin und Eberhard Seidel betonen die Wichtigkeit, Jugendliche möglichst authentisch zu Wort kommen zu lassen (vgl. Farin/Seidel 2019: 9). Im Anschluss daran fanden oft noch Gespräche mit den Eltern statt, die eine gewisse Neugier hinsichtlich der Interviews erkennen ließen.

      Aus der Zahl der Interviewten sollen beispielhaft zwei Personen kurz biografisch skizziert werden: Martina aus Ostberlin und Peter aus Westberlin. Martina, in Ostberlin geboren, schloss sich in ihrer Jugend der Gruftiszene der DDR an. In der Folge erhielt sie nicht nur Alex-Verbot, sie und ihre Eltern wurden auch von der Stasi regelmäßig überwacht. Der Vater blieb bei einem Westbesuch in Westberlin. Darauf stellte die Mutter einen Antrag auf Ausreise nach Westberlin, der überraschenderweise und kurzfristig genehmigt wurde. Die Ausreise 1987 über den S-Bahnhof Friedrichstraße war ein tiefer Einschnitt in das Leben der gesamten Familie. Martina kam relativ unvorbereitet im Westen an und fühlte sich Tag für Tag auf der Straße als Ostlerin erkannt. War sie früher in Ostberlin eher ein Ausgehtyp, so zog sie sich bis zur Wende völlig in die Familie zurück. Bei der Öffnung der Mauer traf sie ihre alten Freund*innen aus Ostberlin wieder und feierte mit ihnen an den früheren Jugendtreffpunkten. Nachdem die erste Neugier verflogen war, zog sie wieder in den Osten, traf sich gelegentlich mit früheren Freunden der Gruftiszene und gründete später eine Familie.

      Peter dagegen wurde in einem bayrischen Dorf geboren. Auf Wunsch der Familie zogen sie nach Westberlin. Schnell freundete er sich mit vielen jungen Menschen an, obwohl ihm am Anfang sein bayrischer Dialekt beim Kennenlernen oft Schwierigkeiten bereitete. In der Folgezeit legte er sich eine größere Plattensammlung zu, damit er bei verschiedenen Veranstaltungen in Neukölln als DJ auftreten konnte. Den Osten kannte er nicht und hat ihn bis zur Wende, wie die meisten Westberliner Jugendlichen, nicht wahrgenommen. Den Mauerfall erlebte er nicht direkt als Bereicherung. Wirtschaftlich gesehen war es für ihn jedoch ein Glücksfall, da er nun auch im Osten bei größeren Feten als DJ auftreten konnte. Doch die jugendlichen Menschen im Osten blieben ihm fremd.

       MEDIENSTADT BERLIN UND IHRE JUGENDLICHEN NUTZER*INNEN

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