Jugend in Berlin. Michael Kruse

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Jugend in Berlin - Michael Kruse

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Deutschlands. Zwei Trends zeichnen sich ab: Der Radiomarkt gilt als einer der härtesten in Europa, und in der vielfältigen Zeitungslandschaft ist bis heute ein Ost-West-Riss erkennbar. Dabei hat sich der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland relativ rasch und ohne lang anhaltende politische Diskussionen vollzogen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung über das neue Deutschland fand kaum statt, weil sie auch von der westlichen politischen Elite nicht gewünscht war. Die Organisationen im Westen haben Organisationen im Osten gegründet. Eigenständig im Osten gegründete Organisationen, soweit es sie denn überhaupt gab, blieben ohne relevanten politischen Einfluss. Und so mangelt es auch heute noch an einem eigenen ostdeutschen Mediensystem, das die Interessen der Menschen aus Ostdeutschland, insbesondere der Jugendlichen, vertritt und ihnen eine Stimme im wiedervereinigten Deutschland gibt. Zudem kam und kommt es aufgrund der Abwesenheit von bedeutsamen ostdeutschen Medien bzw. deren Abwicklung nicht zum Aufbau von ost-west-übergreifenden Informations- und Kommunikationsbeziehungen. In der Folge ist die wechselseitige Wahrnehmung und Aufmerksamkeit füreinander sehr einseitig. Auch auf der Rezipient*innenseite gibt es noch Unterschiede zwischen Ost und West, die im weiteren Verlauf medienspezifisch ausführlich dargestellt werden sollen, was zur Folge hat, dass sich beide Seiten nicht immer auf Augenhöhe begegnen.

      Jugendzeit ist Medienzeit. Dabei taucht die 1999 vom Freizeitforscher Horst W. Opaschowski beschriebene Generation @ in eine Multimediawelt ein, die sie gleichzeitig durch die Kanäle zappen und zugleich telefonieren lässt, ein typisches Konsumverhalten der Generation der 1990er Jahre. Seit den 1950er Jahren ist die Mediennutzung, insbesondere das Radiohören, bei den Jugendlichen neben dem Ausgehen die wichtigste Freizeitbeschäftigung. Auch Jutta Gysi weist aus DDR-Sicht darauf hin, dass Fernsehen, Rundfunk- und Musikhören die beliebtesten Freizeittätigkeiten sind (vgl. Gysi 1989). Dazu betonen Günter Lange und Hans-Jörg Stiehler einen wichtigen Aspekt der DDR-Medien: „Es ist keine Zuspitzung, sondern eine realistische Zusammenfassung vielfältiger Untersuchungsergebnisse, festzustellen, dass im Verlauf der 80er Jahre die Medien zunehmend als eines der zentralen geistigen Vermittlungsglieder zwischen Gesellschaft und Individuum (bzw. Partei, Staat und Gesellschaft) ausfielen und zunehmend nicht nur dysfunktional, sondern selbst destabilisierend hinsichtlich ihrer (reproduktiven) Leistungen für Individuum und Gesellschaft wurden. In den 80er Jahren kam es bei Rundfunk und Fernsehen zu drastischen Verschiebungen in den Relationen zwischen DDR- und BRD-Medien. In gewisser Hinsicht vollzogen sowohl die Medien als auch das Publikum eine Entkopplung von Lebensalltag und Medienrealität“ (Lange/Stiehler in: Burkart 1990: 60). Und Bernd Lindner betont in seinem Beitrag Erst die neuen Medien, dann die neuen Verhältnisse: „Die Welt stand uns schon lange offen: durch die Medien. Vergleicht man die derzeitigen Umbrüche im politischen Bereich mit den Ergebnissen der jahrelangen soziologischen Forschungen im Bereich der Kultur-, Literatur- und Mediennutzung, so muss man feststellen, dass wir gerade dabei sind, das auf der gesellschaftlichen Ebene nachzuvollziehen, was wir alle im kulturellen Bereich schon mehr oder weniger gelebt haben. […] Diese Annährung der Jugenden beider ehemaliger deutscher Staaten an einen gemeinsamen Mediennutzungslevel ist keineswegs ein Ergebnis der letzten Jahre allein. Hier ist, insbesondere von den Jugendlichen der DDR – noch zu Zeiten, in denen deren Existenz scheinbar unerschütterbar schien – kräftig ‚vorgearbeitet‘ worden. Nirgendwo wird den Heranwachsenden daher der Anschluss an bundesrepublikanischen Alltag so einfach fallen wie im Medienbereich!“ (Lindner in: Hennig/Friedrich 1991: 99; 102).

      Deutlich wird gerade im Medienbereich, wie sich die DDR und ihre Medienlandschaft seit der Wende für Jugendliche geändert hat: Intensiver Zugang zum Medienmarkt der Bundesrepublik Deutschland, erweitertes Medienangebot (Video, Computerspiele usw.), Kommerzialisierung des Medienmarktes und Erweiterung der audiovisuellen Kommunikation. Hier weist Bernd Lindner auf einen wichtigen Aspekt hin: „Die Medienzentriertheit des Freizeitverhaltens wird weiter zunehmen, schon weil auf diesem Gebiet das Gros der neuen Angebote erfolgen wird. Bisher in der DDR nur wenig verfügbare technische Geräte (wie Videorecorder und -kameras, CD-Player, Computer) wollen in ihren Möglichkeiten erkundet und ausgeschritten werden. Von einem ‚West-Schock‘ ist bei den DDR-Jugendlichen gegenwärtig nur wenig zu spüren, eher ein selbstverständliches Sich-Bedienen an den neuen Möglichkeiten“ (Lindner in: Friedrich/Griese 1991: 113). Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, wie Ost- und Westberliner Jugendliche die Medien nutzen, wo es Unterschiede und wo es Gemeinsamkeiten in der Rezeption gibt.

       Der Besitz von Medien

      „Ich bin im Besitz von einem Radio, von einem Kassettenrecorder, einem Walkman. Meine Mutter hat ’nen Plattenspieler und auch ein Radio, gleich drüben. Wir besitzen keinen Videorecorder, keinen CD-Player, keinen Computer“, berichtet Peter (13) aus Ostberlin unmittelbar nach dem Mauerfall. Dagegen der Westberliner: „Ich habe einen ziemlichen Maschinenfuhrpark zu Hause, würde ich fast behaupten, was haben wir denn? Also zwei Fernseher stehen rum, zwei Stereoanlagen, dann eben Computer noch, alles eigens Zeug …“, so Peter (14) aus Westberlin, der sichtbar stolz auf seine Medienlandschaft ist. Unterschiedlicher könnten die Aussagen der Jugendlichen unmittelbar nach dem Mauerfall gar nicht sein.

      Gut 30 Jahre später sieht es dagegen völlig anders aus. Ferchhoff bringt es auf den Punkt, wenn er von einem „elektronischen Paradies“ spricht (Ferchhoff 2007: 367). Betrachtet man bei den Jugendlichen den Umfang des Besitzes von Medien, so lassen sich heute zwischen Ost und West keine Unterschiede mehr feststellen. Laut JIM-Jugendstudie 2018 besitzen praktisch alle Jugendlichen in Deutschland ein Handy (99 %), einen Computer/Laptop (98 %) und ein Fernsehgerät (95 %) (vgl. MPFS 2018). Auch Westberliner Jugendliche besitzen heute keine umfangreichere Medienausstattung mehr als Ostberliner Jugendliche. Auffällig ist jedoch, dass sich die traditionellen Medien zum Zeitpunkt der Interviews oft fast ausschließlich im Besitz der Westberliner Jugendlichen befanden.

      Hinsichtlich der Ausstattung mit Medien bei den Ostberliner Jugendlichen hat seit der Wende relativ rasch eine Angleichung stattgefunden. Es fällt jedoch auf, dass die Medien, wie z. B. das Fernsehgerät, sich zum Teil auch heute noch im Besitz der Eltern befinden. „Es gehört allen, der Kassettenrecorder gehört allen, der Fernseher gehört allen, Plattenspieler gehört allen“, so Andrea (17) aus Ostberlin. Dies hat zur Folge, dass die Auswahl der Fernsehprogramme auch von den Eltern zum Teil bestimmt und kontrolliert wird. Dieser Trend wird noch dadurch verstärkt, dass durch die Arbeitslosigkeit der Eltern diese Zeit zwangsläufig oft zu Hause vor dem Fernsehgerät verbracht wird. Auswirkungen auf den Medienkonsum haben sicher auch die beengten Wohnverhältnisse, die zu Beeinträchtigungen im Medienkonsum der Ostberliner Jugendlichen führten: „Ich habe ein Zimmer zusammen mit meinem Bruder, das muss ich mit ihm teilen“, erklärt Thomas (14) aus Ostberlin.

      Ulrich Beck betont die Doppelfunktion der Medien: „Die Medien, die eine Individualisierung bewirken, bewirken auch eine Standardisierung“ (Beck 1986: 210). Hartmut Rosa weist darauf hin, „dass sich das durchschnittliche Lebenstempo seit dem Beginn der Moderne kontinuierlich, wenngleich nicht linear, sondern in von Pausen und kleineren Trendumkehrungen unterbrochenen Schüben beschleunigt hat“ (Rosa 2005: 199). Konkret zu den Medienkonsument*innen meint Rosa: „Kaum zu bezweifeln ist die Tatsache, dass eine wachsende Zahl von verfügbaren und potenziell interessanten Gütern und Informationen die Zeitspanne verkürzt, die jedem einzelnen Gegenstand gewidmet werden kann: Wenn wir einen konstanten Anteil unseres Zeitbudgets dem Lesen von Büchern, dem Hören von CDs und der Beantwortung von E-Mails widmen, sinkt die durchschnittliche Dauer, die wir jedem Buch, jeder CD und jeder E-Mail-Nachricht widmen können, parallel zur Steigerung der Zahl an Büchern und CDs, die wir pro Zeiteinheit erwerben (oder ausleihen), bzw. zur Zahl der E-Mail-Nachrichten, die wir empfangen und versenden“ (ebd.: 203). Eine Tendenz, die heute sicher nicht nur Jugendliche betrifft.

      Interessanterweise kauften sich fast alle interviewten Ostberliner Jugendlichen von ihrem Begrüßungsgeld im Westen einen Walkman, der heute unbeachtet in der Ecke liegt. Nach der JIM-Jugendstudie von 2018 nutzen Jugendliche an erster Stelle das Internet und das Smartphone (vgl. MPFS 2018). Das Mediennutzungsverhalten Jugendlicher

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