Jugend in Berlin. Michael Kruse

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Jugend in Berlin - Michael Kruse

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zunimmt, je weiter es Richtung Osten geht. Nach der Wende in ein politisches Loch gefallen, verhielten sich viele Ostbürger*innen eher eskapistisch – die Flucht vor der Wirklichkeit und den realen Anforderungen des Lebens in eine imaginäre Scheinwelt verschaffte den Privatsendern eine bis heute ungeteilte Aufmerksamkeit. Das bestätigt auch Manfred (17) aus Ostberlin: „RTL gucke ich ab und zu mal, ist ganz lustig, aber sonst gucke ich gar nichts. Mal SAT.1 oder so was, überwiegend Private. Also die richtigen Fernsehanstalten, die Staatlichen, gucke ich nicht, ich gucke nur Privatfernsehen.“

      Ursächlich für eher geringeres Interesse am Fernsehen ist sicher auch zu nennen, dass besonders populäre Programme für Jugendliche, wie z. B. das legendäre Elf 99, die populäre Musiksendung Formel Eins oder die Diskussionssendungen Live aus dem Schlachthof und Doppelpunkt, aber auch die regional ausgestrahlten und beliebten Berliner Jugendsendungen 100 Grad, 45 Fieber oder Moskito, alle regelrecht gekippt wurden. Gina (20) aus Westberlin meint: „Ich war früher ein wahnsinniger Fan von Moskito. Das gucke ich auch heute noch gerne, also das finde ich immer noch genial … Es müssen auf jeden Fall immer Jugendliche zu Wort kommen, die dazu was sagen können. Und es müssen Themen sein, die die Jugendlichen interessieren.“ Dagegen Thomas (18) aus Westberlin: „Es gibt keinen vernünftigen Jugendsender, der irgendwie was bringt.“ Livestreams, Mediatheken und ein schnelles Internet, Programm jederzeit abrufbar, ohne vorgegebenes Sendeschema, auf mobilen Abspielgeräten Smartphone-kompatibel – das trifft heute die Sehgewohnheiten von Jugendlichen.

      Talkshows haben für viele Jugendliche nicht nur einen Unterhaltungswert, sondern auch einen hohen Informationswert. Politische Magazine werden dagegen weitgehend ignoriert. Auffällig ist auch, dass Fernsehen weniger als früher Anlass zur Diskussion und Reflexion bietet. Petra (20) aus Westberlin nennt dafür die Gründe: „Also es ist nicht mehr so wie z. B. bei Moskito, da war klar, dass es die ganze Klasse gesehen hat, da war klar, dass man es sich ansehen muss, während es jetzt eigentlich so ist, man guckt es, und dann hält man es mehr oder weniger für sich, also man unterhält sich nicht mehr. Und über Filme, das kann man eigentlich nur immer genau anschließend machen, das ist ja eigentlich das Tolle am Kino … Aber beim Fernsehen, da sitzt man meistens alleine, und dann habe ich auch schon wieder vergessen, ich habe den Film gesehen, ich kann mich nicht mehr erinnern, was war da überhaupt … Nee, man unterhält sich nicht mehr darüber.“

      Zusammenfassend lässt sich für den Fernsehbereich festhalten, dass sich die Nutzung des Fernsehgerätes bei zunehmender Kabeldichte in Ostberlin dem Westberliner Fernsehverhalten angeglichen hat. Dabei wird Fernsehen oft als Geräuschkulisse wahrgenommen und selten aktiv gesehen. Für die Jugendlichen hat es seinen Status verloren. Rezeptionsunterschiede gibt es dahingehend, dass Ostberliner Jugendliche auch heute noch stärker Interesse an Unterhaltungssendungen haben, die sie eher bei den Privatsendern finden.

       Radio

      Der Berliner Radiomarkt ist einer der umkämpftesten in Europa. Seit Ende der 1980er Jahre hat Berlin aber auch ein Spektrum von Formaten, das bundesweit einzigartig ist: von Urban Dance bis Klassik, vom Evangelen-Kuschelrock bis Jazz Radio, vom schlagerseligen Spreeradio über das türkische Metropol FM bis zum Weltmusikkanal. 32 Radiosender kämpfen zurzeit täglich um die Gunst der Berliner Hörer*innen, wobei der Radiomarkt nach der Wende heftig in Bewegung geraten ist. Neue Sender, wie 104.6 RTL oder Radio Energy, sind auf Frequenz gegangen, SFB 2, Radio Aktuell und RIAS 2 sind aus der Berliner Rundfunklandschaft verschwunden.

      Betrachtet man das Nutzungsverhalten getrennt nach Ost und West, so lassen sich zum Teil große Unterschiede feststellen. War vor der Maueröffnung RIAS 2 mit Abstand der populärste Sender bei Jugendlichen aus Ost- und Westberlin, hatte er nach der Wende vor allem im Ostteil einen unerwartet hohen Popularitätsverlust zu verzeichnen. RIAS 2 erreichte zu DDR-Zeiten oft Kultstatus bei den Ostberliner Jugendlichen: „Früher, als man 14, 15 war, da hat jeder seine Zeit so durchgemacht, so Diskotheken und schick aussehen und Schickimicki und so. Da hat man schon RIAS 2 gehört, weil da kam halt immer die neueste Musik, was so in den Diskotheken auch gespielt wurde. Man konnte sich da informieren und Charts hören und aufnehmen“, erinnert sich Andreas (17) aus Ostberlin. RIAS 2 war zentraler Gesprächsgegenstand bei den Jugendlichen im Osten. Für DDR-Jugendliche war die Musik aus dem Westen auch ein Ausstieg aus der DDR-Realität in Richtung Westen, was aber mit dem Ende der DDR seinen Ausgangspunkt verlor. Und Tanja (19) aus Ostberlin ergänzt: „Ich bin RIAS-2-Hörer; also erst mal sind mir die Moderatoren sehr sympathisch, angenehm und sprechen genau auf der Wellenlänge, die ich mag, so lustig. Die Musik, die dort gespielt wird, die gefällt mir, sicherlich Nachrichtensendungen, so einige Berichte; das sagt man sich, okay, ist der RIAS, das muss man nicht alles so nehmen.“ Und den einsetzenden Hörer*innenverlust erklärt Jana (16) aus Ostberlin so: „Früher habe ich bevorzugt RIAS 2 gehört und heute höre ich entweder DT 64 oder RTL im Radio. Ich bin irgendwie dann mal auf DT 64 gekommen. Ich habe ihn bei Bekannten gehört, und dann hat er mir ganz gut gefallen. Früher konnte man dann ja auch immer schön aufnehmen, irgendwelche Kassetten, die es hier ja nicht zu kaufen gab. Da habe ich das immer so halbstündig gemacht, und seitdem höre ich ihn eigentlich regelmäßig. Na ja und so bin ich von RIAS 2 weggekommen. Früher wollte ich immer was aufnehmen, aber die quatschen ja immer auf die Musik drauf.“ Auch Gina (20) aus Westberlin bestätigt den Kultstatus: „RIAS 2 ist wahrscheinlich der Jugendsender überhaupt; wenn man mal angefangen hat, den zu hören, dann kommt man davon wahrscheinlich so schnell auch nicht wieder weg. Das war der Sender, den alle gehört haben!“

      Insgesamt lässt sich noch um die Jahrtausendwende eine deutliche Mediengrenze innerhalb Berlins feststellen. Zahlen aus dem Jahr 2001 belegen, dass die „Mauer im Ohr“ nach wie vor eine feste Größe ist. Zwar legten die erfolgreiche SFB-Welle Stadtradio 88,8 und das Inforadio des RBB zu, aber dies gelang nur im Westteil der Stadt. Umgekehrt wiesen die Zahlen für den Berliner Rundfunk im Osten 17,6 % Marktanteil auf und im Westen dagegen nur 8,3 %. Bemerkenswert ist, dass die Jugendwelle Fritz 1994 in beiden Stadthälften einen Marktanteil von 4,2 % hatte, aber 2001 im Osten (6,2 %) deutlich häufiger als im Westen (3,6 %) eingeschaltet wurde. 2013 lag der Altersdurchschnitt der Hörer*innen inzwischen bei 32 Jahren, sicher auch eine Folge des demografischen Wandels. Mittlerweile hat sich das populäre Jugendradio, anfangs von der ARD skeptisch beäugt, zu einem Vorläufer für öffentlich-rechtliche Jugendwellen entwickelt. Alle Westberliner Radioprogramme haben insbesondere bei den Ostberliner Hörer*innen zum Teil erheblich verloren. Dagegen verzeichneten neue Programme, wie BB Radio und Antenne Brandenburg, deren Standorte im Osten liegen, einen deutlichen Popularitätsschub bei Ostberliner Hörer*innen. Lediglich Starmoderatoren, wie die früheren Stasi-Mitarbeiter Lutz Bertram und Jürgen Kuttner, vermochten es auch im Westen, jugendliche Hörer zu gewinnen.

      Besonders schmerzlich ist der Verlust des ehemaligen DDR-Senders Jugendradio DT 64, der auch in Westberlin großen Anklang fand: „Ich kenne DT 64, das Jugendradio aus Ostberlin, aus dem ehemaligen Ostteil; das Programm von DT 64 finde ich gar nicht mal so schlecht, weil die auch eine Menge erzählen, sich auch mal mit Problemen beschäftigen, dass man z. B. auch mal einen Einblick bekommt, wo liegen die Probleme im Jugendbereich und wie ist es da oder wie ist es da nicht“, so Thomas (20) aus Ostberlin. Nicole (15) aus Ostberlin meint: „DT 64 sind noch die Einzigen, die erstens noch gute Musik machen und zweitens auch das ansprechen, was man in dem Alter halt so … oder was man in der Szene überhaupt so tut. Was die da manchmal sagen, ist sehr interessant.“ Andrea (19) aus Ostberlin nennt ein häufiges Argument, warum DT 64 so beliebt war: „Den hör ich öfter mal so um 19 Uhr, wenn Schallplatten vorgestellt werden, und dann werden die Schallplatten ja so abgespielt, so zum Aufnehmen.“ Und Tina (18) aus Ostberlin ergänzt: „Wir hatten nicht die Möglichkeit gehabt, Platten zu kaufen, und du hattest eben die Möglichkeit gehabt, vom Recorder mitzuschneiden. Das war das Einzige, was ich mir anhörte; da hab ich vorher in die Zeitung geguckt, welche Platten kommen, und wenn es interessant war, dann hab ich eben den Sender … Aber damals die ganze Politik, die da mitgespielt hat, die spielte

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