Jugend in Berlin. Michael Kruse

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Jugend in Berlin - Michael Kruse

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bei Arbeitslosen – die Quote ist im Osten Deutschlands auch heute noch wesentlich höher als im Westen Deutschlands – ist eine Vorliebe für Unterhaltungsprogramme der Privatsender festzustellen. Es ist zu vermuten, dass sich die Menschen durch das Unterhaltungsangebot von ihren beruflichen Sorgen und wirtschaftlichen Problemen ablenken wollen.

      In der Konsequenz haben viele Ostdeutsche ein geringeres Interesse an Politik und ein stärkeres Gefühl politischer Machtlosigkeit. Auch die PEGIDA-Demonstrationen deuten darauf hin. Mangelndes Interesse an Informationssendungen ist eine weitere Ursache für den Hang zu kommerziellen Programmanbietern im Osten: Politische Magazine und Reportagen, Wirtschaftssendungen und Kulturberichte finden im Osten nur unterdurchschnittlichen Zuspruch. Außerdem ist die Bevölkerung in Ostdeutschland jünger. Und je jünger die Zuschauer*innen sind, desto mehr werden die kommerziellen Sender bevorzugt. Der Leipziger Kommunikationsforscher Hans-Jörg Stiehler spricht 2002 von einer „Fernseh-Mauer“, die immer noch so hoch sei wie kurz nach der Wiedervereinigung: „Das hätte ich vor zehn Jahren so nicht vorausgesehen, dass die Unterschiede so stabil bleiben“ (Stiehler in: werben & verkaufen 33/2002). Stiehler beschreibt die ostdeutschen Fernsehgewohnheiten so: „In der DDR bestimmt ein anderer Zeitrhythmus das tägliche Leben. In den Betrieben, in den Büros hat der Tag schon um sieben angefangen, und um 22 Uhr war 80 % der Bevölkerung bereits im Bett. In den neuen Bundesländern werden die TV-Geräte gut eine Stunde früher am Tag eingeschaltet, so dass die Nutzungsspitze eine Stunde eher, zwischen 19 und 20 Uhr, erreicht wird. Davon profitiert nicht nur die Sendung RTL aktuell, die um 18.45 Uhr ausgestrahlt wird, die Tagesschau kommt erst um 20 Uhr, aber auch der MDR, der als einziges drittes Programm nicht um 20 Uhr zur Tagesschau schaltet, sondern um 19.30 Uhr mit MDR aktuell eigene Nachrichten präsentiert, zu eben der Zeit, zu der das DDR-Fernsehen seine Nachrichten ausstrahlte. Und der MDR präsentiert in einer Zeit, in der praktisch alles umgekrempelt wird, aus früheren Zeiten bekannte Gesichter und übernimmt inhaltlich mit einem Mix aus Regionalinformationen, Unterhaltungs- und Ratgebersendungen die Funktion des ‚Sprachrohrs für die kleinen Leute‘, ein Programm von Ostdeutschen für Ostdeutsche“, so Stiehler weiter (ebd.).

      Aber auch aus einem anderen Grund kommen ARD und ZDF im Osten oft nicht an. Als öffentlich-rechtliche Sender werden sie nach wie vor mit dem „Staatsfernsehen“ assoziiert. Und dem gegenüber „haben die Ostdeutschen noch aus DDR-Zeiten heraus eine tiefe Abneigung“, meint Stiehler. Wenn sich auch das Fernsehverhalten seitdem angeglichen hat, so ist doch beim Sehverhalten der Ostberliner Jugendlichen auch heute noch eine stärkere Orientierung an den Privatsendern erkennbar.

      Marktführer in Deutschland war 2019 das ZDF (13,1 %) vor der ARD (11,3 %), RTL (8,5 %), Sat.1 (6,0 %), Vox (4,7 % und Pro 7 (4,3 %). „Ich glaube, das spricht einfach eine große Masse an. Also die haben die besten Bilder, überhaupt die besseren Farben an sich schon. Das sieht ganz anders aus schon“, befindet Gina (20) aus Westberlin über den privaten Marktführer RTL. Anzumerken ist jedoch, dass es im Hauptprogramm von ARD und ZDF keine einzige Sendung mehr mit einem Zuschauer*innendurchschnitt von unter 50 Jahren gibt. ARD, ZDF und Dritte drohen zu Spartenprogrammen für Senior*innen zu werden. Denn beim Publikum zwischen 14 und 49 Jahren sieht die Reihenfolge ganz anders aus: RTL führt weit vor der ARD. Nach West und Ost getrennt sind auch heute noch wesentliche Unterschiede im Nutzungsverhalten erkennbar. Zum einen bleiben RTL in Ostdeutschland und ARD in Westdeutschland die jeweils meistgesehenen Einzelsender. Zum anderen sind beide öffentlich-rechtlichen Hauptprogramme im Westen und alle großen Privatsender im Osten erfolgreicher als im jeweils anderen Landesteil. Dazu Andrea (19) aus Ostberlin: „Also sagen wir mal so, ARD und ZDF können sie bei mir rausdrehen, das gucke ich so gut wie überhaupt nicht.“ Der Marktanteil des RBB-Fernsehens im Sendegebiet Berlin-Brandenburg liegt 2018 bei 5,9 %, wobei allein die Abendschau mit einem Marktanteil von 25,5 % und etwa 240.000 Zuschauer*innen im Tagesdurchschnitt ein Quotenrenner ist, allerdings mit rückläufiger Tendenz und hohem Altersdurchschnitt (67 Jahre).

      Im Berliner Kabelnetz können heute mehrere 100 Fernsehprogramme empfangen werden. Die Musikfernsehsender MTV und VIVA, die ewigen Konkurrenten, gibt es so nicht mehr: VIVA ist abgeschaltet, und MTV konzentriert sich überwiegend auf Serien. Anfang der 1990er Jahre sah es noch anders aus: Neue Musikvideos, präsentiert von Ray Cokes und Heike Makatsch, begeisterten das junge Publikum. So gab es den Klangteppich gegen Einsamkeit: „… aber sonst läuft eigentlich den ganzen Tag nur MTV, wenn ich zu Hause bin, so als Hintergrund, wenn Freunde bei mir sind oder so“, berichtet Ina (15) aus Ostberlin. „Oh ja, es läuft immer Musik, und die haben auch noch die schönste Werbung, wenn auf den anderen wirklich nichts mehr läuft, man schaltet immer zum Schluss auf MTV, weil die doch immer irgendwas bringen, das geht ins Blut“, lobt Thomas (18) aus Westberlin. Heute fällt es der Musikindustrie zunehmend schwerer, ihre Künstler*innen zu Stars aufzubauen. Waren 1989 zur Zeit des Mauerfalls noch Bands wie Milli Vanilli, Roxette und Bros am beliebtesten, bei den Sängern waren es Jason Donovan, David Hasselhoff und Michael Jackson, bei den Sängerinnen waren Sandra, Madonna und Kylie Minogue die Favoriten, so sind es später Eintagsfliegen aus Deutschland sucht den Superstar, Top of the Pops oder The Dome, die Traumquoten erreichen und dann sehr schnell im Nirwana des Pophimmels verschwinden. Als Folge wurde die Musik im Fernsehen reduziert zugunsten von Dating-Shows oder grenzgängerischen Real-Formaten. Galt der Videoclip eine Weile lang als die Kunstform der Zukunft, so ist er heute ein sterbendes Genre. (Amerikanische) Serien und Castingshows sind an seine Stelle getreten und begeistern die Jugend in Deutschland.

      Die Medienforschung sieht die Jugendphase als einen Abschnitt des Lebens, in dem am wenigsten Fernsehen geguckt wird. „Ich gucke ja so selten Fernsehen, und wenn, nur so manchmal, wenn ich von der Schule komme um drei und ich habe nichts zu tun, keine Hausaufgabe, und ich weiß nicht, was ich machen soll. Dann setze ich mich hin, mache irgendwas an“, beschreibt Andrea (17) aus Ostberlin ihren Fernsehkonsum. „Fernsehen tue ich ganz selten. Nur wenn ich absolute Langeweile habe, ich komme aus der Schule, dann setze ich mich vor den Fernseher und dann kommt ja eine Serie nach der anderen. Und wenn man die von nachmittags um drei bis sechs Uhr alle durchgeguckt hat, dann ist einem ja meistens was eingefallen, was man machen kann“, so Sonja (17) aus Ostberlin. Peter (16) aus Ostberlin meint: „Was ich mir immer mal ganz gerne ansehe, sind diese Diskussionssendungen, Talk im Turm, Explosiv und den Ulrich Meyer, Einspruch. Die gehen gut ab und bringen was rüber. Wenn es gute Themen sind, das sieht man ja in der Vorschau, dann schalte ich das auch ein.“ Auch diese Fernsehformate, die damals besonders auch Jugendliche ansprachen, sind inzwischen in der Versenkung verschwunden und machten neuen Formaten Platz, wobei das zunehmende Schielen auf die Einschaltquote oft den frühzeitigen Tod eines neuen Formats bedeutet. Petra (19) aus Westberlin ergänzt: „Fernseher ist wohl in jedem Haushalt da, und der wird eigentlich auch genutzt, der ist unheimlich gut zum Einschlafen, hab ich festgestellt. Bei dem Fernsehprogramm macht sich das wunderbar.“

      Nach Jahren höchster Aufmerksamkeit hat sich das Fernsehen aus der Mitte der Familien verabschiedet. Als Tagesbegleitmedium mit sich permanent steigernden Wahlmöglichkeiten schieben sich nicht die einzelnen Programme, sondern das Medium selbst in den Hintergrund. Dabei hat sich das Spiel mit der Fernbedienung, das gemeinsame Sehen am „Lagerfeuer“, wieder aufgelöst. Jeder schaut in seinem Zimmer, allen voran Kinder und Jugendliche. Dabei emanzipiert das Zappen die Zuschauer*innen von den Erzählstrukturen, die die Programmmacher*innen aufgebaut haben. So wird das Fernsehmachen zum Kampf gegen den Wegschaltimpuls der Zuschauer*innen. Jedes Bild, jeder Ton buhlt um das Dranbleiben der Zuschauenden. Die Zapper*innen, insbesondere auch die jugendlichen Zapper*innen, werden zu Herr*innen über die Bilder und liefern sich ihnen dabei nur umso mehr aus. Fernsehen wird so zu einem Kampf um die Gewalt über Bild und Ton, der reizvoller ist als die inszenierten Kämpfe selbst. Und so siegt das Medium über einen Inhalt. Hans Magnus Enzensberger drückt es so aus: „Die Medien haben einen Kalender, der auch als Ersatz für eine Idee dienen kann“ (Gorris im Gespräch mit Enzensberger in: Der Spiegel 41/2014).

      Ein weiterer Aspekt zum unterschiedlichen Fernsehkonsum ist noch zu erwähnen: Ostberliner*innen beschreiben als Inhalt ihres Fernsehkonsums oft spannende Spielfilme,

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