Jugend in Berlin. Michael Kruse

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könnten langfristig auf der Strecke bleiben. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass hinsichtlich des Besitzes von Medien in Ost- und Westberlin heute keine Unterschiede mehr zu beobachten sind. Auch die angesprochene Beschleunigung der Nutzung der Medien, die im Besitz der Jugendlichen sind, erfahren keine Ost-West-Unterschiede.

       Fernsehen

      „Ja, ich denke, dadurch, dass jetzt die Mauer gefallen ist, irgendwie hat sich doch schon ziemlich viel verändert. Man hat halt viel mehr Freiheiten, irgendetwas zu machen, und ich glaube, so früher, was ich da gehört habe, wo dann die Leute die Kinder ausgefragt haben, ob die Eltern Westfernsehen gucken und so. Das war damals tabu, aber als ich in diesem Alter war, durfte ich das halt machen, und da war es auch ganz normal, ZDF zu gucken und so“, sagt Petra (13) aus Ostberlin rückblickend.

      Helmut Hanke betont die bedeutende Rolle des (West-) Fernsehens, wenn er die These vertritt, dass wir 1989 „Zeugen und Teilnehmer der 1. Fernsehrevolution der Welt waren“: „Die kulturelle Kommunikation in der DDR war stets gesamtdeutsch. Dafür sorgten neben den sich erneuernden und ausweitenden persönlichen Kontakten vor allem die Medien, insbesondere das Fernsehen. Fernsehen war in der DDR stets und in wachsendem Maße Westfernsehen. Jedenfalls war die DDR-Gesellschaft die einzige soziale Gemeinschaft in Europa, die selbstverständlich und alltäglich mit zwei Grundtypen von Medienkultur umging. Mehrheiten lebten in den Abendstunden schon immer im Westen, und dies umso mehr, je unglaubwürdiger die eigenen Medien, speziell das Fernsehen, wurden. Die kulturelle Erosion des alten Herrschaftssystems lief in der DDR vor allem über die Massenmedien, insbesondere über das Fernsehen. […] Jetzt erweist sich, dass ein jahrzehntelanger Umgang mit BRD-Medien langfristige kulturelle Folgen zeitigt, dass der Standard der Wünsche und Träume in allen Generationen überwiegend ‚westlich‘ war und ist, die Botschaften der Medien schon immer auf das reichere und schönere deutsche Land der Verheißung verwiesen. […] Fernsehen machte die Massenflucht öffentlich, Ohnmacht und Wut im Lande steigerten sich von Tag zu Tag. Die Verhöhnung und Verurteilung der Flüchtlinge in den eigenen Medien verstärkten die Wogen der Empörung. Der demokratische Aufbruch in der DDR war und ist wesentlich auch eine Revolution in den Medien und über die Medien“ (Hanke in: Burkart 1990: 144–148).

      Nicht zuletzt verkündete Hanns Joachim Friedrichs in den ARD-Tagesthemen am 9. 11. um 22:42 Uhr die Maueröffnung, die aber erst um 23:20 Uhr erfolgte. Der innerdeutsche „Krieg der Bilder“ wurde durch den „Frieden der Bilder“ ersetzt. Hans-Jörg Stiehler und Bernd Schorb betonen: „… die DDR hatte eine Westorientierung. Von oben bis unten. Und ich habe den Eindruck, die BRD hatte keine Ostorientierung. Ich halte es für ein wichtiges kulturelles Problem, dass es ein Ungleichgewicht gibt im Interesse, ‚zusammenzukommen‘“ (Stiehler/Schorb 1991: 148).

      Auch andere Forscher betonen die wichtige Rolle des Fernsehens: „Dabei ist natürlich eine Wechselwirkung zwischen Medienrezeption und der politischen Einstellung in Rechnung zu stellen. Langzeitwirkungen einer intensiven und selektiven Nutzung der Westsender auf die Einstellung zur nationalen Frage sind noch heute nachweisbar. […] Tatsache ist, dass die Rezeption westlicher Kanäle generell wesentlich zum politischen Mentalitätswandel vor der Wende beigetragen hat“ (Förster/Friedrich/Müller/Schubarth 1993: 68). Und noch einmal dieselben Autoren: „Die Ergebnisse legen die Annahme nahe, dass eine intensive und selektive mediale Wahrnehmung der Vorzüge westlicher Lebensqualität (Lebensstandard, persönliche Freiheiten) im Kontrast zu den Alltagserfahrungen der Jugendlichen in der von der Krise gekennzeichneten DDR-Gesellschaft langfristig den Boden mit dafür bereitet hat, die Vereinigung herbeizuwünschen und so selbst an der erstrebten Lebensqualität der Bundesrepublik teilzuhaben“ (ebd.: 238 f.). Sarah (16) aus Ostberlin bestätigt das: „Vor der Maueröffnung fand ich eigentlich, die Medien haben ziemlich viel, ja, der böse Osten und der gute Westen im Westfernsehen und im Ostfernsehen genau umgedreht, der böse Westen und der gute Osten und so, dass sie eigentlich ziemlich gegeneinander gehetzt haben, fand ich.“ Auch Andrea (20) aus Ostberlin wirft einen Blick zurück: „Das gab es auch so bei den Parteimenschen, bei der SED, die durften kein Westfernsehen sehen. Fand ich völlig schlimm. Ich meine, was ist denn dabei, okay, ein bisschen Heuchelei und so ist in jedem Fernsehen, gab es im Ostfernsehen genauso dem Westen gegenüber, aber wenn du wirklich keinen Westen gesehen hast, hast du echt hinter dem Mond gelebt. Weil du von vorne bis hinten nur verscheißert wurdest. Und das finde ich eigentlich jetzt urst gut, dass du das jetzt sehen kannst, so wie es wirklich ist.“ Und Peter (16) aus Westberlin beschreibt seine Fernseherfahrungen so: „Bis zum 9. November war das ja eine Propagandamaschinerie, da haben wir uns vorgesetzt, wenn wir ganz herzlich lachen wollten. Da muss man sich erst dran gewöhnen, dass es eben keine Propagandamaschinerie ist, sondern dass diese Sender genau wie ARD und ZDF, N3 oder die Privaten bei uns jetzt dazugehören zur deutschen Medienlandschaft.“ Petra (17) aus Ostberlin erinnert sich: „Früher durften wir ja nicht so viel sehen. Die haben gesagt, das kommt von drüben, und deshalb durften wir es nicht gucken. Habe ich gesagt, wieso der Film anders ist, bloß weil er drüben läuft, der heißt genauso, hat die gleiche Handlung, die gleichen Darsteller, bloß, dass er von drüben kommt. Nein, der kommt von drüben, also durften wir ihn nicht sehen. Aber jetzt kannst du alle Sender einstellen, kannst alles hören, was du willst, kannst alles sagen, was du willst, jedenfalls nimmt dich keiner dafür hops und so.“

      Auch andere Aussagen von Ostberliner Jugendlichen machen eine großen Widerspruch deutlich: Zum einen erfahren sie die Wirklichkeit des DDR-Alltags im Widerspruch zu den verkündeten Ruhmestaten der DDR, zum anderen erleben sie im Westfernsehen einen Staat, der immer wieder Anlass für Träume der Jugendlichen wegen seiner Unerreichbarkeit ist. Tanja (19) aus Ostberlin erinnert sich: „… und weil du sowieso wusstest, wie es hier abläuft, dass es immer die gleiche Einheitssoße ist, die hier erzählt wird, deswegen habe ich früher auch nie Aktuelle Kamera gesehen, also wirklich, wenn ich da die Leute gesehen habe, die ganze Aufmachung, und dann erst mal eine Viertelstunde erzählt, wie viel Getreide geerntet wurde, der blanke Wahnsinn. Und dadurch hat man immer nur den Westen gesehen.“

      „Die fahren dann eben wirklich mehr auf Fernsehsendungen ab, weil das ist einfacher, der einfache Konsum, da setzt du dich vor und lässt dich berieseln … Aber im Prinzip würde ich das so sehen, dass eigentlich alle Leute zurzeit sich überall berieseln lassen. Man will ja nichts versäumen, man will ja immer brandaktuell und mit dabei sein. Ansonsten, der normale Mensch, der hetzt auch irgendwo immer dem Konsum hinterher, und dann muss man eben auch informiert sein, was ist zurzeit in“, so Peter (18) aus Westberlin. Dieser ständige, berieselnde Fernsehkonsum hat allerdings heute für die meisten Jugendlichen in Ost- und Westberlin keinerlei wesentliche Bedeutung, und Unterschiede in der Rezeption sind kaum erkennbar. Schon Dieter Baacke wies darauf hin: „Fernsehen ist eine normale Aktivität, die in der Jugendkultur wenig Status oder Identität verleiht“ (Baacke/Heitmeyer 1985: 172).

      Anfang 1999 stellt die Studie der Thüringer Landesmedienanstalt Ostdeutschland im Fernsehen ein „innerdeutsches Schweigen“ fest. Drei Thesen werden zur Diskussion gestellt:

      1. Die Ostdeutschen werden von ARD, ZDF, SAT.1, RTL und Pro 7, gemessen an der Bevölkerungszahl, in der Berichterstattung und im Infotainment so gut beachtet wie die Westdeutschen.

      2. In der Tendenz schneiden die Menschen zwischen Ostsee und Erzgebirge nicht schlechter ab als die Bürger*innen zwischen Kiel und Konstanz.

      3. Es gibt im Fernsehen zwischen Ost und West ein Kommunikationsloch, weil die Menschen aus beiden Teilen Deutschlands im Medium nur selten miteinander diskutieren (vgl. Früh u. a. 1995).

      So wurde hier eine Chance vertan, damit Ostdeutsche und Westdeutsche miteinander ins Gespräch kamen. Seit der Wende wird darüber diskutiert, wieso sich die Fernsehgewohnheiten in Ost- und Westdeutschland unterscheiden. Ostdeutsche bevorzugen die kommerziellen Sender und schauen täglich bis zu 270 Minuten (2013) – fast eine halbe

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