LTI. Victor Klemperer
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Hier ist die völlige Umwertung des Fanatismus zur Tugend bereits gegeben. Aber bei allem Weltruhm Rousseaus blieb sie doch wirkungslos in dieser Anmerkung verborgen. Was in der Romantik auf Rousseau zurückging, war die Verherrlichung nicht des Fanatismus, sondern der Leidenschaft in jeglicher Form, für jegliche Sache. In Paris, in der Nähe des Louvre, steht ein zierlich-schönes kleines Monument: ein um die Ecke stürmender blutjunger Trommler. Er trommelt Alarm, er trommelt Begeisterung wach, er ist repräsentativ für die Begeisterung der französischen Revolution [72]und des auf sie folgenden Jahrhunderts. Die Zerrgestalt seines Bruders Fanatismus schritt erst 1932 durchs Brandenburger Tor. Bis dahin blieb das Fanatische trotz jenes heimlichen Lobes eine verpönte Eigenschaft, etwas das zwischen Krankheit und Verbrechen mitteninne stand.
Es gibt im Deutschen keinen vollwertigen Ersatz für dieses Wort, auch dann nicht, wenn man es aus der ursprünglichen Anwendung auf das Kultische allein befreit. Eifern ist ein harmloserer Ausdruck, man stellt sich unter einem Eiferer eher einen leidenschaftlichen Prediger vor als einen unmittelbaren Gewalttäter. Besessenheit bezeichnet mehr einen krankhaften und somit entschuldbaren oder bemitleidenswerten Zustand als ein gemeingefährliches Handeln aus diesem Zustand heraus. Schwärmer ist ungleich heller im Ton. Gewiß, dem um Klarheit ringenden Lessing ist schon das Schwärmen anrüchig. »Gib ihn nicht (schreibt er im Nathan) den Schwärmern deines Pöbels preis.« Aber man frage sich einmal, ob in den abgegriffenen Zusammenstellungen »düsterer Fanatiker« und »liebenswürdiger Schwärmer« die Epitheta vertauschbar seien, ob sich also von einem düsteren Schwärmer und einem liebenswürdigen Fanatiker reden lasse. Das Sprachgefühl sträubt sich dagegen. Ein Schwärmer verbohrt sich nicht engstirnig, er löst sich vielmehr vom festen Boden, übersieht dessen reale Bedingungen und schwärmt zu irgendwelchen vorgestellten Himmelshöhen empor. Posa ist für den ergriffenen König Philipp ein »sonderbarer Schwärmer«.
So steht das Wort fanatisch im Deutschen unübersetzbar und unersetzbar da, und immer ist es als wertender Ausdruck mit starker Negation geladen, es bezeichnet eine bedrohliche und abstoßende Eigenschaft. Selbst wenn man gelegentlich im Nachruf auf einen Forscher oder Künstler die Floskel zu lesen bekommt, er sei ein Fanatiker seiner Wissenschaft oder Kunst gewesen, so schwingt doch in diesem Lobe immer die Feststellung eines stachligen Fürsichseins, einer peinlichen Unnahbarkeit mit. Niemals vor dem Dritten Reich wäre es jemandem eingefallen, fanatisch als ein positives Wertwort zu gebrauchen. Und so ganz unauslöschlich haftet [73]der negative Wert an diesem Wort, daß sogar die LTI selber es bisweilen negierend gebraucht. Hitler spricht im Kampfbuch wegwerfend von »Objektivitätsfanatikern«. In einem Werk, das in der Glanzzeit des Dritten Reiches erschien, und dessen Stil eine unablässige Aneinanderreihung nazistischer Sprachklischees ist, in Erich Gritzbachs hymnischer Monographie: »Hermann Göring, Werk und Mensch«, heißt es von dem verhaßten Kommunismus, es habe sich gezeigt, wie diese Irrlehre die Menschen zu Fanatikern erziehen könne. Aber hier ist das nun schon eine fast komische Entgleisung, ein ganz unmöglicher Rückfall in den Sprachgebrauch früherer Zeiten, wie er denn freilich in vereinzelten Fällen sogar dem Meister der LTI widerfährt; ist doch bei Goebbels noch im Dezember 1944 (wohl in Anlehnung an die zitierte Hitlerstelle) die Rede von dem »wirrköpfigen Fanatismus einiger unbelehrbarer Deutscher«.
Ich nenne derartiges einen komischen Rückfall; denn da der Nationalsozialismus auf Fanatismus gegründet ist und mit allen Mitteln die Erziehung zum Fanatismus betreibt, so ist fanatisch während der gesamten Ära des Dritten Reiches ein superlativisch anerkennendes Beiwort gewesen. Es bedeutete die Übersteigerung der Begriffe tapfer, hingebungsvoll, beharrlich, genauer: eine glorios verschmelzende Gesamtaussage all dieser Tugenden, und selbst der leiseste pejorative Nebensinn fiel im üblichen LTI-Gebrauch des Wortes fort. An Festtagen, an Hitlers Geburtstag etwa oder am Tag der Machtübernahme, gab es keinen Zeitungsartikel, keinen Glückwunsch, keinen Aufruf an irgendeinen Truppenteil oder irgendeine Organisation, die nicht ein »fanatisches Gelöbnis« oder »fanatisches Bekenntnis« enthielten, die nicht den »fanatischen Glauben« an die ewige Dauer des Hitlerreiches bezeugten. Und erst im Kriege, und nun gar als sich die Niederlagen nicht mehr vertuschen ließen! Je dunkler die Lage sich gestaltete, um so häufiger wurde der »fanatische Glaube an den Endsieg«, an den Führer, an das Volk oder an den Fanatismus des Volkes als an eine deutsche Grundtugend ausgesagt. Der quantitative Höchstgebrauch in der Tagespresse wurde im Anschluß an das Attentat auf Hitler [74]vom 20. Juli 1944 erreicht: in buchstäblich jedem der übervielen Treuegelöbnisse für den Führer steht das Wort.
Hand in Hand mit dieser Häufigkeit auf politischem Felde ging die Anwendung auf anderen Gebieten, bei Erzählern und im täglichen Gespräch. Wo man früher etwa leidenschaftlich gesagt oder geschrieben hatte, hieß es jetzt fanatisch. Damit trat notwendigerweise eine gewisse Erschlaffung, eine Art Entwürdigung des Begriffes ein. In der erwähnten Göring-Monographie wird der Reichsmarschall unter anderem auch als »fanatischer Tierfreund« gerühmt. (Jener tadelnde Nebensinn des fanatischen Künstlers fällt hier durchaus weg, da ja Göring immer wieder als der zutunlichste und geselligste Mensch geschildert wird.)
Es fragt sich nur, ob mit der Erschlaffung auch eine Entgiftung des Wortes verbunden war. Man könnte das bejahen mit der Begründung, die Vokabel »fanatisch« sei nunmehr gedankenlos mit einem neuen Sinn erfüllt, sei eben die Bezeichnung eines erfreulichen Gemisches aus Tapferkeit und leidenschaftlicher Hingabe geworden. Aber dem ist nicht so. »Sprache, die für dich dichtet und denkt …« Gift, das du unbewußt eintrinkst und das seine Wirkung tut – man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen.
Doch dem sprachlich führenden Kopf des Dritten Reiches, dem es um die volle Wirkung des aufpeitschenden Giftes zu tun war, ihm freilich mußte die Abnutzung des Wortes als eine innere Schwächung erscheinen. Und so wurde Goebbels zu dem Widersinn gedrängt, eine Steigerung über das nicht mehr zu Steigernde hinaus zu versuchen. Im »Reich« vom 13. November 1944 schrieb er, die Lage sei »nur durch einen wilden Fanatismus« zu retten. Als sei die Wildheit nicht der notwendige Zustand des Fanatikers, als könne es einen zahmen Fanatismus geben.
Die Stelle bezeichnet den Verfall des Wortes.
Vier Monate zuvor hatte es seinen höchsten Triumph gefeiert, war es gewissermaßen der höchsten Ehre teilhaftig geworden, die das Dritte Reich zu vergeben hatte, der militärischen. Es ist eine besondere Aufgabe, zu verfolgen, wie die überkommene Sachlichkeit und fast kokette Nüchternheit der offiziellen Heeressprache, [75]vor allem der täglichen Kriegsbulletins, allmählich von den Geschwollenheiten des Goebbelsschen Propagandastils überspült wurde. Am 26. Juli 1944 wurde zum erstenmal im Heeresbericht das Adjektiv »fanatisch« im rühmenden Sinn auf deutsche Regimenter angewendet. Unsere in der Normandie »fanatisch kämpfenden Truppen«. Nirgends ist der weltweite Abstand zwischen der militärischen Gesinnung des ersten und der des zweiten Weltkrieges so grausam deutlich wie hier.
Schon ein Jahr nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches läßt sich ein eigentümlich stichhaltiger Beweis dafür beibringen, daß »fanatisch«, dieses Schlüsselwort des Nazismus, niemals durch das Übermaß der Anwendung wirklich entgiftet wurde. Denn während sich überall Brocken der LTI in der Sprache der Gegenwart breitmachen, ist »fanatisch« verschwunden. Daraus darf man mit Sicherheit schließen, daß eben doch im Volksbewußtsein oder -unterbewußtsein der wahre Sachverhalt all die zwölf Jahre lebendig geblieben ist: dies nämlich, daß ein umnebelter, der Krankheit und dem Verbrechen gleich nahestehender Geisteszustand durch zwölf Jahre als höchste Tugend betrachtet wurde.