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Pappel hinaus. Sie blüht wirklich aufs prächtigste. Vielleicht wird doch Friede – ganz von der Hand zu weisen ist Volksglaube nie.« Feder, der mit dem Judenstern und mit der Staubschutzkappe, die er aus seinem alten Richterbarett hergestellt hatte.

      [80]XI Grenzverwischung

      Daß es zwischen den Naturreichen keine festen Grenzen gibt, lernt seit langem schon der Volksschüler. Weniger allgemein verbreitet und anerkannt ist, daß auch auf dem Gebiet des Ästhetischen die sicheren Grenzen fehlen.

      Man benutzt zur Gliederung der modernen Kunst und Literatur – dies ist die Reihenfolge, denn die Malerei hat angefangen, die Dichtung kam hinterher – das Begriffspaar Impressionismus-Expressionismus; die Begriffsschere muß hier ganz einwandfrei schneiden und trennen können, denn es handelt sich um absolute Gegensätze. Der Impressionist ist dem Eindruck der Dinge ausgeliefert, er gibt wieder, was er in sich aufgenommen hat: er ist passiv, er läßt sich von seinem Erleben in jedem Augenblick beeinflussen, ist in jedem Augenblick ein anderer, er hat keinen festen, einheitlichen, dauernden Seelenkern, kein sich gleichbleibendes Ich. Der Expressionist geht von sich selber aus, er erkennt nicht die Macht der Dinge an, sondern drückt ihnen seinen Stempel, seinen Willen auf, drückt sich an ihnen, in ihnen aus, formt sie nach seinem Wesen: er ist aktiv, und sein Handeln wird vom sicheren Selbstbewußtsein des unwandelbar dauernden Ichs gelenkt.

      Schön und gut. Aber der Eindruckskünstler gibt absichtlich nicht das objektive Bild des Realen wieder, sondern nur das Was und Wie des von ihm Gesehenen; nicht den Baum mit allen seinen Blättern, nicht das einzelne Blatt in seiner bestimmten Form, nicht das an sich vorhandene Grün oder Gelb der Färbung, das an sich vorhandene Licht einer Tages- und Jahreszeit, eines Wetterzustandes, sondern die ineinanderfließende Blättermasse, die sein Auge erfaßt, und die Farbe, das Licht, die seiner augenblicklichen Gemütslage entsprechen, seine Stimmung also, die er von sich aus der Realität der Dinge aufzwingt. Wo steckt da die Passivität seines Verhaltens? Er ist im Ästhetischen genau so aktiv, er ist genau so Ausdruckskünstler wie sein Widerpart, der Expressionist.

      [81]Der gegensätzliche Unterschied bleibt nur auf ethischem Gebiet bestehen: der seiner selbst gewisse Expressionist schreibt sich und der Mitwelt feste Gesetze vor, kennt Verantwortlichkeit. Der schwankende, von Stunde zu Stunde sich ändernde Impressionist nimmt amoralisches Verhalten für eigene und fremde Verantwortungslosigkeit in Anspruch.

      Doch auch hier ist Grenzverwischung unvermeidlich. Ausgehend vom Gefühl der Hilflosigkeit und Verantwortungslosigkeit des Einzelnen, gelangt der Impressionist zum sozialen Mitleid und zum aktiven Eintreten für bedrückte, für verirrte Geschöpfe, es ist da kein Unterschied zwischen einem Zola und den Brüdern Goncourt auf der impressionistischen, einem Toller und Unruh und Becher auf der expressionistischen Seite.

      Nein, ich habe kein Zutrauen zu rein ästhetischen Betrachtungen auf den Gebieten der Geistes-, der Literatur-, der Kunst-, der Sprachgeschichte. Man muß von menschlichen Grundhaltungen ausgehen; die sinnlichen Ausdrucksmittel können bisweilen bei ganz konträren Zielen die gleichen sein.

      Gerade auf den Expressionismus trifft das zu: Toller, den der Nationalsozialismus getötet hat, und Johst, der im Dritten Reich Akademiepräsident wurde, gehören beide zum Expressionismus.

      Formen der Willensbetonung und des stürmischen Vorwärtsdrängens erbt die LTI von den Expressionisten oder teilt sie mit ihnen. »Die Aktion« und »Der Sturm« hießen die Zeitschriften der jungen, nur erst um Anerkennung ringenden Expressionisten. In Berlin saßen sie als linkester Flügel, als hungrigste Bohème der Künstlerschaft im Café Austria an der Potsdamer Brücke (auch in dem bekannteren und eleganteren Café des Westens, aber dort war man doch wohl schon arrivierter, dort gab es auch mehr »Richtungen«), in München im Café Stephanie. Das war in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg. Im Austria warteten wir in der Wahlnacht 1912 auf die einlaufenden Pressetelegramme und jubelten, als der hundertste sozialdemokratische Sieg gemeldet wurde; wir glaubten, nun sei das Tor zu Freiheit und Frieden ganz weit und für immer offen …

      [82]Die Worte Aktion und Sturm wanderten um 1920 aus dem weibischen Café in das männliche Bräuhaus. Aktion gehörte von Anfang bis zum Schluß zu den unverdeutschten und unentbehrlichen Fremdwörtern der LTI, Aktion verband sich mit den Erinnerungen an die heroische Frühzeit, mit dem Bilde des Stuhlbeinkämpfers; Sturm wurde zur militärisch-hierarchischen Gruppenbezeichnung: der hundertste Sturm, der Reitersturm der SS, wobei allerdings auch die Tendenz der Verteutschung und des Anknüpfens an die Tradition mitspielte.

      Der verbreitetste Gebrauch der Bezeichnung Sturm ist zugleich der verborgenste, denn wem ist noch bewußt, oder war es in den Jahren der nazistischen Allmacht, daß SA: Sturmabteilung bedeutete?

      SA und SS, die Schutzstaffel, also die Prätorianergarde, sind als Abbreviaturen so selbstherrlich geworden, daß sie nicht mehr abkürzende Vertretungen darstellen, sondern von sich aus eigene Wortbedeutung besitzen und ganz verdrängt haben, was sie vorher vertraten.

      Nur notgedrungen schreibe ich hier das SS mit der gleitenden Kurvenlinie des normalen Schriftzeichens. In der Hitlerzeit gab es in den Setzkästen und auf der Tastatur amtlich gebrauchter Schreibmaschinen die besondere scharfeckige SS-Type. Sie entsprach der germanischen Siegrune und war im Erinnern hieran geschaffen worden. Aber darüber hinaus hatte sie auch Beziehungen zum Expressionismus.

      Zu den Soldatenausdrücken des ersten Weltkrieges gehört das Adjektiv zackig. Zackig ist ein straff militärischer Gruß, zackig kann ein Befehl, kann eine Ansprache gehalten sein, zackig ist, was einen zusammengerafften, einen disziplinierten Energieaufwand ausdrückt. Es bezeichnet eine Form, die der expressionistischen Malerei und der expressionistischen Dichtersprache wesentlich ist. Bestimmt war die Vorstellung »zackig« das erste, was in einem philologisch unbelasteten Kopf beim Anblick des nazistischen SS auftauchte. Und noch ein anderes kam hinzu.

      Lange bevor es die nazistische SS gab, sah man ihr Zeichen in [83]roter Farbe an Umspannhäuschen, und darunter stand die Warnung: »Achtung, Hochspannung!« Hier war das zackige S offenbar das stilisierte Bild des Blitzes. Des Blitzes, der in seiner Energiespeicherung und Schnelligkeit dem Nazismus ein so liebes Symbol ist! Also dürfte das Schriftzeichen SS auch eine unmittelbare Verkörperung, ein malerischer Ausdruck des Blitzes sein. Wobei die Doppellinie auf verstärkte Kraft deuten mag, denn auf den schwarzen Fähnchen der Kinderformationen gab es nur einen Zackenblitz, sozusagen ein halbes SS.

      Häufig wirken, dem Formenden unbewußt, mehrere Gründe für eine Formung zusammen, und so scheint es mir auch hier zu sein: SS ist beides, Bild und abstraktes Schriftzeichen, ist Grenzüberschreitung nach der Seite des Malerischen hin, ist Bildschrift, ist Rückkehr zur Sinnlichkeit der Hieroglyphen.

      Wer aber solch grenzverwischendes Ausdrucksmittel in der Moderne zuerst anwendet, das sind die entschiedensten Antipoden der selbstgewissen Expressionisten und Nationalsozialisten, das sind die Zweifler, die Zersetzer des Ichs und der Moral, die Dekadenten. Guillaume Apollinaire, in Rom geborener Pole und glühender Wahlfranzose,

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