LTI. Victor Klemperer
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Man suchte den deutschen Volksgenossen weitgehend vor derartigen Namen zu schützen. Im September 1940 sah ich an den Litfaßsäulen die Anzeige einer Kirche: »Held eines Volkes; Oratorium von Händel.« Darunter stand, ängstlich klein gedruckt und in Klammern: »Judas Makkabaeus; neugestalteter Druck.« Etwa um dieselbe Zeit las ich einen kulturhistorischen Roman, der aus dem Englischen übersetzt war: The Chronicle of Aaron Kane. Der Verlag Rütten & Loening, derselbe, bei dem die große Beaumarchais-Biographie des Wiener Juden Anton Bettelheim erschienen ist! – der Verlag entschuldigte sich auf der ersten Seite, die biblischen Namen der Personen entsprächen ihrem Puritanismus und der Zeit- und Landessitte, weswegen sie also nicht geändert werden könnten. Ein anderer englischer Roman – ich weiß den Autor nicht mehr – hieß im Deutschen: »Geliebte Söhne.« Der auf der Innenseite in winziger Schrift angegebene Originaltitel lautet: »O Absalom!« Im Physikkolleg mußte der Name Einstein verschwiegen, durfte auch die Maßeinheit »ein Hertz« nicht mit diesem jüdischen Namen bezeichnet werden.
Weil man aber den deutschen Volksgenossen nicht nur vor den jüdischen Namen beschützen will, sondern noch viel mehr vor [93]jeder Berührung mit den Juden selber, so werden diese aufs sorgfältigste abgesondert. Und eines der wesentlichsten Mittel solcher Absonderung besteht in der Kenntlichmachung durch den Namen. Wer nicht einen unverkennbar hebräischen und gar nicht im Deutschen eingebürgerten Namen trägt, wie etwa Baruch oder Recha, der hat seinem Vornamen ein »Israel« oder »Sara« beizufügen. Er hat das seinem Standesamt und seiner Bank mitzuteilen, er darf es bei keiner Unterschrift vergessen, er hat alle seine Geschäftsfreunde darauf hinzuweisen, daß sie ihrerseits es nicht vergessen, wenn sie Post an ihn richten. Wenn er nicht gerade mit einer arischen Frau verheiratet ist und Kinder von ihr hat – die arische Frau allein hilft ihm nichts –, muß er den gelben Judenstern tragen. Das Wort »Jude« darin, dessen Buchstaben der hebräischen Schrift angeähnelt sind, wirkt wie ein an der Brust getragener Vorname. An der Korridortür klebte unser Name doppelt, über dem meinen der Judenstern, unter dem meiner Frau das Wort »arisch«. Auf meinen Lebensmittelkarten stand erst ein einzelnes großes J, später wurde das Wort »Jude« schräg über die Karte gedruckt, zuletzt stand auf jedem winzigen Abschnitt jedesmal das volle Wort »Jude«, etliche sechzigmal auf ein und derselben Karte. Wenn von mir amtlich die Rede ist, heißt es immer »der Jude Klemperer«; wenn ich mich auf der Gestapo zu melden habe, setzt es Püffe, falls ich nicht »zackig« genug melde: »Hier ist der Jude Klemperer.« Man kann die Verächtlichmachung noch steigern, indem man mit Hilfe des Apostrophs an die Stelle der Aussageform die des herrischen Anrufs setzt: von meinem beizeiten nach Los Angeles emigrierten Musikervetter las ich eines Tages in der Zeitung: »Jud’ Klemperer aus dem Irrenhaus entsprungen und wieder eingefangen.« Wenn die verhaßten »Kremljuden« Trotzki und Litwinow genannt werden, heißen sie immer Trotzki-Braunstein und Litwinow-Finkelstein. Wenn Laguardia, der verhaßte Bürgermeister von New York, genannt wird, heißt es immer: »der Jude Laguardia« oder mindestens »der Halbjude Laguardia«.
Und wenn es einem jüdischen Ehepaar trotz aller Bedrängnis dennoch einfallen sollte, ein Kind in die Welt zu setzen, so dürfen [94]sie ihrem Wurf – ich höre noch, wie der Spucker eine feine alte Dame anbrüllte: »Dein Wurf ist uns entkommen, du Judensau, dafür wollen wir dich fertigmachen!«, und sie machten sie dann auch fertig, am nächsten Morgen ist sie aus ihrem Veronalschlaf nicht mehr aufgewacht –, so dürfen die Eltern ihrer Nachkommenschaft keinen irreführenden deutschen Vornamen geben; die nationalsozialistische Regierung stellt ihnen eine ganze Reihe jüdischer Vornamen zur Auswahl. Seltsam sehen sie aus, die wenigsten unter ihnen haben die volle Würde des Alttestamentlichen.
In seinen Studien aus »Halbasien« erzählt Karl Emil Franzos, wie die galizischen Juden im 18. Jahrhundert zu ihren Namen gekommen sind. Es war eine Maßnahme Josephs II. im Sinne der Aufklärung und Humanität; aber viele Juden sträubten sich aus orthodoxer Abneigung, und höhnische Subalternbeamte zwangen dann den Widerspenstigen lächerlich machende und peinliche Familiennamen auf. Der Hohn, der damals gegen die Absicht des Gesetzgebers wirksam wurde, ist von der nazistischen Regierung absichtlich in Rechnung gestellt worden; sie wollte die Juden nicht bloß absondern, sondern auch »diffamieren«.
Als Mittel hierfür bot sich ihr der Jargon dar, der den Deutschen seinen Wortformen nach als eine Verzerrung der deutschen Sprache erscheint, und der ihnen rauh und häßlich klingt. Daß sich gerade im Jargon die durch Jahrhunderte bewahrte Anhänglichkeit der Juden an Deutschland ausdrückt, und daß ihre Aussprache sich weitgehend mit der eines Walter von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach deckt, das weiß natürlich nur der Germanist von Metier, und ich möchte den Professor der Germanistik kennen, der während der Nazizeit in seinem Seminar darauf aufmerksam gemacht hätte! So also kamen auf die Liste der den Juden überlassenen Vornamen die dem deutschen Ohr teils peinlich, teils lächerlich tönenden jiddischen Koseformen, die Vögele, Mendele usw.
Im letzten Judenhaus, das wir bewohnt haben, las ich jeden Tag ein charakteristisches Türschild, auf dem sich nebeneinander Vater und Sohn anzeigten: Baruch Levin und Horst Levin. Der Vater brauchte das Israel nicht hinzuzusetzen – Baruch allein war [95]jüdisch genug, das stammte noch aus polnischem und orthodoxem Judengebiet. Der Sohn wiederum durfte das Israel deshalb beiseite lassen, weil er Mischling war, weil es seinen Vater derart zum Deutschtum hinübergezogen hatte, daß er eine Mischehe eingegangen war. Es hat eine ganze jüdische Horstgeneration gegeben, deren Eltern sich im Betonen und Überbetonen ihres fast schon Teutschtums nicht hatten genugtun können. Diese Horstgeneration hat weniger unter den Nazis gelitten als ihre Eltern – ich meine natürlich seelisch gelitten, denn vor dem KZ und dem Gasofen gab es keinen Generationsunterschied, Jude war Jude. Aber die Baruchs haben sich aus dem Land ihrer Liebe ausgetrieben gefühlt. Während die Horsts – es gab zahlreiche Horsts und Siegfrieds, die als Volljuden das Israel zusetzen mußten –, während diese Jüngeren dem Deutschtum gleichgültig und zu einem beträchtlichen Teil geradezu feindselig gegenüberstanden. Sie waren in der gleichen Atmosphäre der pervertierten Romantik aufgewachsen wie die Nazis, sie waren Zionisten …
Nun bin ich doch wieder in die Betrachtung jüdischer Dinge gedrängt worden. Ist es meine Schuld oder die des Themas? Es muß doch auch nichtjüdische Seiten haben. Es hat sie auch.
Der Wille zur Tradition in der Namengebung griff selbst auf Zeitgenossen über, die dem Nazismus im übrigen fernstanden. Ein Oberstudiendirektor, der lieber in Pension ging, als daß er sich der Partei anschloß, erzählte mir gern von den frühen Heldentaten seines kleinen Enkels Isbrand Wilderich. Ich fragte, wie der Junge zu seinem Namen gekommen sei. Die Antwort lautete wörtlich: »So hieß ein Mann unserer aus Holland stammenden Sippe im siebzehnten Jahrhundert.« Durch den bloßen Gebrauch des Wortes Sippe machte der Rektor, den frommer Katholizismus gegen hitlerische Verführung schützte, seine nazistische Infektion deutlich. Sippe, ein neutrales Wort der älteren Sprache für Verwandtschaft, für Familie im weiteren Sinn, danach zum Pejorativ herabsinkend wie August, hebt sich zu feierlicher Würde, Sippenforschung wird Ehrenpflicht jedes Volksgenossen.
Die Tradition wird dagegen rücksichtslos beiseite geschoben, [96]wo sie dem nationalen