LTI. Victor Klemperer

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LTI - Victor Klemperer Reclam Taschenbuch

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hörten danach noch mehrmals die Tante über die Entwicklung des Neffen berichten. Er war als Fliegeroffizier ein [38]großer Herr geworden. Verschwenderisch und skrupellos, von seinem Herren- und Heldenrecht durchdrungen. Er trieb Luxus mit Stiefeln und Kleidung und Weinen. Er hatte Aufträge für ein Kasino zu vergeben, dabei fiel manches für ihn ab, was man in tieferen Regionen Schmiergelder nannte. »Wir haben ein Recht auf gutes Leben«, schrieb er, »wir setzen ja das eigene Leben täglich ein.«

      Nicht nur das eigene: der gutmütige Junge spielte nun auch mit dem Leben seiner Leute. Er spielte so gewissenlos damit, daß es selbst seinen Lehrern und Vorbildern zuviel wurde. Als Chef eines Geschwaders ließ er bei ungünstigstem Wetter einen so strapaziösen und gefährlichen Übungsflug durchführen, daß ihn drei Leute mit ihrem Leben bezahlen mußten. Da der Unglücksfall auch zwei kostbare Flugzeuge vernichtete, endete die Sache mit einem Prozeß gegen den nunmehrigen Hauptmann. Das Urteil lautete auf Entfernung aus dem Heer. – Kurz danach brach der Krieg aus; ich weiß nicht, was aus M. geworden ist, man wird ihn wohl zur Truppe zurückgeholt haben. –

      Der »Partenau« wird in der künftigen Dichtungsgeschichte kaum genannt werden; eine um so größere Rolle sollte ihm in der Geistesgeschichte zufallen. In Ranküne und Ehrgeiz enttäuschter Landsknechte, zu denen eine jüngere Generation aufblickte wie zu tragischen Helden, steckt eine tiefe Pfahlwurzel der LTI.

      Und zwar sind es spezifisch deutsche Landsknechte. Es gab vor dem ersten Weltkrieg einen verbreiteten völkerpsychologischen Witz: Angehörigen verschiedener Nationen wird zu freier Behandlung das Thema »Der Elefant« gestellt. Der Amerikaner schreibt einen Aufsatz: »Wie ich meinen tausendsten Elefanten schoß«, der Deutsche berichtet »Von der Verwendung der Elefanten im Zweiten Punischen Kriege«. In der LTI gibt es sehr viele Amerikanismen und andere fremdländische Bestandteile, so viele, daß man gelegentlich fast den deutschen Kern übersehen könnte. Aber er ist vorhanden, fürchterlich entscheidend vorhanden – niemand kann entschuldigend sagen, daß es sich nur um eine von außen her angeflogene Infektion gehandelt habe. Der Landsknecht Partenau, kein [39]Phantasiegeschöpf, sondern das klassisch typisierende Porträt vieler Zeit- und Berufsgenossen, ist ein gelehrter Mann, auch nicht nur zu Hause in den Werken des deutschen Generalstabs: er hat auch seinen Chamberlain gelesen und seinen Nietzsche und Burkhardts »Renaissance« usw. usw.

      [40]V Aus dem Tagebuch des ersten Jahres

      Ein paar Seiten, wie das so allmählich, aber unaufhörlich auf mich eindringt. Bisher ist die Politik, ist die vita publica zumeist außerhalb des Tagebuchs geblieben. Seit ich die Dresdener Professur innehabe, habe ich mich manchmal gewarnt: du hast jetzt deine Aufgabe gefunden, du gehörst jetzt deiner Wissenschaft – laß dich nicht ablenken, konzentriere dich! Und nun:

      21. März 1933. Heute findet der »Staatsakt« in Potsdam statt. Wie soll ich darüber hinweg arbeiten? Es geht mir wie dem Franz im »Götz«: »Die ganze Welt, ich weiß nicht wie, Weist immer mich zurück auf sie.« Doch, ich weiß schon wie. In Leipzig haben sie eine Kommission zur Nationalisierung der Universität eingesetzt. – Am Schwarzen Brett unserer Hochschule hängt ein langer Anschlag (er soll in allen andern deutschen Hochschulen ebenso aushängen): »Wenn der Jude deutsch schreibt, lügt er«; er solle künftig gezwungen sein, Bücher, die er in deutscher Sprache veröffentliche, als »Übersetzungen aus dem Hebräischen« zu bezeichnen. – Für den April war hier in Dresden der Psychologenkongreß angesagt. Der »Freiheitskampf« brachte einen Brandartikel: »Was ist aus Wilhelm Wundts Wissenschaft geworden? … Welche Verjudung … Aufräumen!« Daraufhin ist der Kongreß abgesagt worden … »um Belästigungen einzelner Teilnehmer zu vermeiden«.

      27. März. Neue Worte tauchen auf, oder alte Worte gewinnen neuen Spezialsinn, oder es bilden sich neue Zusammenstellungen, die rasch stereotyp erstarren. Die SA heißt jetzt in gehobener Sprache – und gehobene Sprache ist ständig de rigueur, denn es schickt sich, begeistert zu sein – »das braune Heer«. Die Auslandsjuden, besonders die französischen, englischen und amerikanischen, heißen heute immer wieder die »Weltjuden«. Ebenso häufig wird der Ausdruck »Internationales Judentum« angewandt, und davon sollen wohl Weltjude und Weltjudentum die Verdeutschung bilden. Es ist eine ominöse Verdeutschung: in oder auf der Welt befinden [41]sich die Juden also nur noch außerhalb Deutschlands? Und wo befinden sie sich innerhalb Deutschlands? – Die Weltjuden treiben »Greuelpropaganda« und verbreiten »Greuelmärchen«, und wenn wir hier im geringsten etwas von dem erzählen, was Tag für Tag geschieht, dann treiben eben wir Greuelpropaganda und werden dafür bestraft. Inzwischen bereitet sich der Boykott jüdischer Geschäfte und Ärzte vor. Die Unterscheidung zwischen »arisch« und »nichtarisch« beherrscht alles. Man könnte ein Lexikon der neuen Sprache anlegen.

      In einem Spielzeugladen sah ich einen Kinderball, der mit dem Hakenkreuz bedruckt war. Ob solch ein Ball in dies Lexikon hineingehört?

      (Bald danach kam ein Gesetz »zum Schutz der nationalen Symbole« heraus, das solchen Spielzeugschmuck und ähnlichen Unfug verbot, aber die Frage nach der Abgrenzung der LTI hat mich dauernd beschäftigt.)

      10. April. Man ist »artfremd« bei fünfundzwanzig Prozent nichtarischen Blutes. »Im Zweifelsfalle entscheidet der Sachverständige für Rassenforschung.« Limpieza de la sangre wie im Spanien des sechzehnten Jahrhunderts. Aber damals ging es um den Glauben, und heute ist es Zoologie + Geschäft.

      Übrigens Spanien. Es kommt mir vor wie ein Witz der Weltgeschichte, daß »der Jude Einstein« ostentativ von einer spanischen Universität berufen wird und den Ruf auch annimmt.

      20. April. Wieder eine neue Festgelegenheit, ein neuer Volksfeiertag: Hitlers Geburtstag. »Volk« wird jetzt beim Reden und Schreiben so oft verwandt wie Salz beim Essen, an alles gibt man eine Prise Volk: Volksfest, Volksgenosse, Volksgemeinschaft, volksnah, volksfremd, volksentstammt …

      Jämmerlich der Ärztekongreß in Wiesbaden! Sie danken Hitler feierlich und wiederholt als dem »Retter Deutschlands« – wenn auch die Rassenfrage noch nicht ganz geklärt sei, wenn auch die »Fremden« Wassermann, Ehrlich, Neißer Großes geleistet hätten. Es gibt unter meinen »Rassegenossen« in meiner nächsten Umgebung Leute, die dieses doppelte »Wenn« schon für eine tapfere Tat [42]erklären, und das ist das Jämmerlichste an der Sache. Nein, das Allerjämmerlichste daran ist, daß ich mich ständig mit diesem Irrsinn des Rassenunterschiedes zwischen Ariern und Semiten beschäftigen muß, daß ich die ganze grauenhafte Verfinsterung und Versklavung Deutschlands immer wieder unter dem einen Gesichtspunkt des Jüdischen betrachten muß. Mir erscheint das wie ein über mich persönlich errungener Sieg der Hitlerei. Ich will ihn ihr nicht zugestehen.

      17. Juni. Was ist Jan Kiepura eigentlich für ein Landsmann? Neulich wurde ihm ein Konzert in Berlin verboten. Da war er der Jude Kiepura. Dann trat er in einem Film des Hugenbergkonzerns

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